Feministische Aussenpolitik: «Wir stehen am Anfang»

Nr. 2 –

Warum braucht es mehr Frauen mit Macht? Die Politikwissenschaftlerin Leandra Bias über inklusive Aussenpolitik, Feminismus in der Uno und den patriarchalen Backlash.

WOZ: Frau Bias, Sie plädieren für eine feministische Aussenpolitik. Was ist das?
Leandra Bias: Feministische Ideen betreffen nicht nur zwischenmenschliche Beziehungen, sondern auch jene zwischen Staaten. Unsere ganze Staatengemeinschaft funktioniert nach patriarchalen Prinzipien. Probleme werden oftmals mit Waffengewalt gelöst, alles andere gilt als schwach und «verweiblicht». Die Aussenpolitik, wie wir sie kennen, basiert auf einem kolonialen Erbe. Doch Abschreckung gewährt keine Sicherheit, und Grenzschutz führt nicht zu mehr Frieden – sondern zu mehr Gewalt. Das muss erkannt werden. Die feministische Friedensbewegung fordert schon seit über hundert Jahren Abrüstung, Demilitarisierung und die Überwindung von Unterdrückungsmechanismen.

Hätten wir mit einer US-Präsidentin, einer russischen Aussenministerin und einer Uno-Generalsekretärin tatsächlich eine friedlichere Welt?
Nicht unbedingt. Aber es ist erwiesen, dass bei einem höheren Frauenanteil am Verhandlungstisch eher Indigene oder Menschen mit Beeinträchtigungen mitgedacht werden. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass ein länger anhaltender Frieden wahrscheinlicher ist, wenn mehr Frauen an der Konfliktlösung beteiligt sind.

Aber Frauen sind doch nicht per se die friedvolleren Wesen mit besonders friedensstiftenden Fähigkeiten.
Es geht nicht um Biologie, sondern um gelebte Erfahrungen, basierend auf Merkmalen, wovon das Geschlecht ein wesentliches ist. Mehr Frauen im Militär bringen nicht mehr Frieden. Aber es ist empirisch erwiesen, dass, wenn Frauen aus der Zivilgesellschaft mitverhandeln, andere Bedürfnisse thematisiert werden, etwa wenn es um Waffenexporte geht. Und zwar weil ihre Realität eine andere ist als jene der bewaffneten Konfliktparteien. Uns, der feministischen Zivilgesellschaft, geht es nicht nur darum, mehr Frauen in der Aussenpolitik zu haben, sondern auch darum, dass konsequent jene miteinbezogen werden, die von den Entscheidungen betroffen sind. Der Feminismus des 21. Jahrhunderts ist intersektional. Es geht darum, verschiedene Machtverhältnisse – zwischen Geschlechtern, Herkunft, Klassen und Staaten – zusammen zu denken.

Vor 21 Jahren wurde die Resolution «Frauen, Frieden und Sicherheit» des Uno-Sicherheitsrats verabschiedet. Sie sieht die Teilhabe von Frauen in allen Aspekten der Konfliktprävention und der Friedensförderung vor. Doch sie ist vor allem ein Papiertiger, oder?
Nein. Denn sobald etwas auf Papier festgehalten ist, kann die Zivilgesellschaft damit Druck ausüben und Rechenschaft verlangen. 2013 hat die älteste feministische Friedensorganisation, die Women’s International League for Peace and Freedom, einen riesigen Erfolg erzielt: Sie hat das erste Abkommen zum internationalen Waffenhandel erstritten. Darin steht, dass alle Länder – auch die Schweiz – die geschlechtsspezifischen Gewaltrisiken eines Waffenexports berücksichtigen müssen. Seit einem Jahr gibt es zudem einen Uno-Vertrag zum Verbot von Nuklearwaffen. Auch wenn dieser erst von fünfzig Staaten unterzeichnet wurde – die Schweiz ist nicht dabei –, ist es dennoch ein riesiger Sieg. Die feministische Friedensbewegung hat sich in der Uno seit Jahren dafür eingesetzt – und so oft werden feministische Forderungen als illusorisch und naiv abgetan.

Trotzdem: Laut einer Uno-Studie von 2019 sind bei diplomatischen Treffen über Rüstungskontrollen achtzig Prozent der Teilnehmer:innen männlich.
Momentan befinden wir uns in einer merkwürdigen Situation: Die Bedürfnisse marginalisierter Menschen gewinnen mehr Sichtbarkeit, zugleich erstarkt ein antifeministischer Rückschlag. Die optimistische Auslegung ist, dass gerade weil viele Frauen und andere Benachteiligte mehr Sichtbarkeit bekommen und mitreden, das Patriarchat so unglaublich stark reagiert. Aber es macht mir Angst, wenn ich sehe, mit welcher Macht und welchen finanziellen Mitteln dieser Backlash durchgesetzt wird – und wie wenig er von der Staatengemeinschaft ernst genommen wird. Was aktuell in Polen passiert, kann auch in vielen anderen Ländern passieren.

Polen hat 2020 ein faktisches Abtreibungsverbot eingeführt, die Hetze gegen LGBTIQ* hat enorm zugenommen. Wie zeigt sich der antifeministische Backlash auf Uno-Ebene?
Der antifeministische Rückschlag geht mittlerweile so weit, dass die «Frauen, Frieden und Sicherheit»-Resolution von höchster Ebene angegriffen wird. So hat Russland zum 20. Jahrestag eine Schwesterresolution vorgeschlagen, die den Schutz der Frauenrechte in Konflikten abgeschwächt hätte. Der russische Uno-Botschafter befand, einzig die Familie sei schutzbedürftig und nicht die Frau als Individuum. Während der Amtszeit von Ex-US-Präsident Donald Trump wurden überdies viele Resolutionen für reproduktive Rechte vom Sicherheitsrat abgelehnt.

Was bedeutet das für Ihr Engagement?
Als Zivilgesellschaft stecken wir in einem Dilemma: Einerseits ist uns die Umsetzung nicht konsequent genug, andererseits sind wir derart unter Beschuss, dass wir an Schweden oder der Schweiz nicht die härteste Kritik üben. Denn am Ende sind es diese Staaten, die sich in der Uno überhaupt dafür einsetzen, dass doch noch einiges auf Papier bleibt.

2014 hat Schweden eine feministische Aussenpolitik eingeführt und gilt seitdem als Vorreiter. Zugleich exportiert Schweden Waffen, mitunter in Länder, die am Jemenkonflikt beteiligt sind. Das ist doch inkohärent.
Absolut. Die schwedische feministische Zivilgesellschaft kritisiert die Umsetzung dieser Aussenpolitik auch stetig. Es lässt sich eine gewisse Doppelmoral erkennen: Schweden hat zwar eine feministische Regierungsagenda und versucht, das Thema auch innenpolitisch aufzugreifen. Über den wichtigsten Punkt, die Abrüstung, wird aber kein Wort verloren.

Auch Kanada, Frankreich und Mexiko wollen eine feministische Aussenpolitik umsetzen. In Deutschland hat die neue Regierung dies nun im Koalitionsvertrag festgehalten. Aber auch diese Länder handeln mit Waffen. Wie wird eine solche Strategie genannt – Purplewashing?
Trotzdem, wenn ein Land sich mit dem Label «feministische Politik» schmückt, dann können wir damit arbeiten und es daran messen. Und es geschieht immer wieder Wegweisendes: So hat etwa Kanada 2017 als eines der ersten Länder bei der Umsetzung der «Frauen, Frieden und Sicherheit»-Resolution offiziell deklariert, dass der Frieden im eigenen Land für Frauen und die indigene Bevölkerung nicht gesichert ist. Kanada beginnt also, die feministische Definition von Sicherheit auch innerhalb der eigenen Landesgrenzen anzuwenden.

Davon ist die Schweiz weit entfernt. Hierzulande bleibt feministische Aussenpolitik eine akademische Theorie.
Wir sind noch im Anfangsstadium. Bisher haben sich erst wenige Stimmen für eine feministische Aussenpolitik starkgemacht. Vielen ist womöglich noch nicht bewusst, wie sehr dieses Thema ihr Leben beeinflusst. Wenn wir beispielsweise dem Verteidigungsdepartement sechs Milliarden Franken geben, dann bleibt für die Care-Ökonomie nicht mehr viel übrig. Da müssen wir ansetzen. Zu meinen Visionen gehört eine Umverteilung von Ressourcen – weg von einem Verteidigungsdepartement und hin zur Gründung eines Friedensdepartements.

Leandra Bias

Die Zürcher Politologin Leandra Bias (33) forscht zum gegenwärtigen autoritären und antifeministischen Backlash. Sie hat an der Universität Oxford promoviert, arbeitet bei der Friedensstiftung Swisspeace und lehrt an der Universität Basel. Zudem koordiniert Bias ein Projekt der Plattform für Friedensförderung KOFF, das sich für die Umsetzung der Uno-Resolution in der Schweizer Politik einsetzt.