Adelheid Duvanel: Sprachkosmos
«Kaspar liebte es nicht, wenn der Nebel die Kronen der Bäume versteckte und der Wind den Blumen den Mund zuhielt ...». Dies ist nur eine Kostprobe der hinreissenden Metaphorik in der Prosa Adelheid Duvanels. Geboren 1936, lebte und arbeitete sie als Textilzeichnerin und Journalistin in Basel, wo sie 1996 starb. Sie schluckte Medikamente, verkroch sich im Wald und erfror in einer eiskalten Nacht mitten im Sommer. Sie hat wenige Gedichte geschrieben, hat gezeichnet und gemalt, ihre eigentliche Kunst aber ist die Kurzgeschichte. Es sind Geschichten über Menschen, die am Abgrund leben, die es im heutigen Verständnis «nicht geschafft haben». Männer, die es nicht fertig bringen, ihre Liebe zu äussern, die versehentlich aus dem Fenster springen, weil sie sich im falschen Raum wähnen; Frauen, die ihre nächtlichen Träume dem lieben Gott abkaufen; Taschendiebe, die ihren Töchtern die Kämme aus der Hosentasche klauen: «Ich bin kein Hase unter Hasen, sondern ein Chamäleon, das sich mit seiner Farbe den Hasen anpasst.» Die Texte sind bis ins Extrem verdichtet, bisweilen surrealistisch erinnern sie an die taggeträumten Visionen einer Leonora Carrington. Ein Nachwort von Peter von Matt führt liebevoll ein in Adelheid Duvanels kunstvollen Sprachkosmos, obwohl man ihm nicht immer so recht glauben mag, dass die verlorenen Menschen der Geschichten ihre Würde im Unglück wiederfinden.
Adelheid Duvanel: Beim Hute meiner Mutter. Nagel und Kimche. Zürich 2004. 174 Seiten. 36 Franken