«Sucht mein Angesicht»: Dosen und Pinsel

Nr. 10 –

In seinem neuen Roman beschreibt John Updike die heroische Zeit des Abstrakten Expressionismus bis hin zur Pop-Art - durch die Augen einer Frau.

«Dieser betrunkene Kerl hat mich gepackt und gefragt, ob ich ficken will, er hat genau dies Wort benutzt, und das galt damals noch als ziemlich unanständig, auch unter so genannten Bohemiens. Er tat so, als ob er tanzen wollte, und drückte seinen Körper gegen meinen, ich sollte fühlen, dass er eine Erektion hatte, und ich habe ihm eine Ohrfeige gegeben. Das schien ihn aufzuwecken, denn er wurde plötzlich sehr höflich, wie ein kleiner Junge.» So forsch und direkt schildert die nahezu achtzigjährige Hope im neuen Roman von John Updike ihre erste Begegnung mit Zack, ihrem späteren Ehemann. Kathryn, eine junge Kunsthistorikerin, ist zu ihr ins ländliche Vermont gefahren, um sie über ihr Leben und insbesondere über ihre berühmten Männer zu befragen. Vor allem interessiert sie sich für Zack McCoy - ein durchsichtiges Pseudonym für den Maler Jackson Pollock -, und mehr oder weniger willig gibt Hope ihre Erinnerungen preis.

Nur als Ehefrau

Kenntnisreich durchstreift John Updike, der nach einem Englischstudium in Harvard 1954/55 eine Kunstschule London besucht hatte und als Kritiker und Essayist immer wieder über Kunst schrieb, mit der Figur von Hope Chafetz (nur vage Pollocks Ehefrau und Malerin Lee Krasner nachempfunden) die heroische Zeit der amerikanischen Malerei - ein Kunstgriff, der es ihm erlaubt, einen subjektiven Standpunkt einzunehmen und gleichzeitig ganz nahe an das Geschehen ranzugehen.

«Er hat in uns die Überzeugung geweckt, dass Kunst zu schaffen die höchste und reinste aller menschlichen Tätigkeiten sei und wir damit in die nächste Nähe zu Gott rückten, zu dem Gott, der sich selbst erschafft in diesem 'Push and Pull' von Farben», erinnert sich Hope an ihren Lehrer Hochmann (alias Hans Hofmann). Doch für Hope ist in dieser Welt kein Platz. Nur als Ehefrau und Geliebte ist sie geduldet, erst im Alter - an der Seite ihres dritten Ehemannes, eines erfolgreichen Geschäftsmannes und Kunstsammlers - bringt sie es als Malerin zu mässigem Ruhm. Genüsslich breitet Updike die Widerwärtigkeiten aus, zu denen der gottähnliche Künstler im Beziehungsalltag fähig ist. Ihrer Interviewpartnerin gegenüber zeichnet Hope ihren ersten Ehemann Zack als schweren Alkoholiker, impotenten Bettnässer und lebensunfähigen Psychopathen. «Fotzen können nicht malen. Es gibt Dosen, und es gibt Pinsel. Dosen malen nicht. Sie ragen nicht vor. Stöcke und Pinsel malen», schleudert ihr Zack einmal ins Gesicht. Demütig fügt sich Hope in die ihr zugedachte Rolle. Immer wieder betont sie, dass Zack erst durch sie, die aufopfernde Ehefrau, als Künstler seinen Durchbruch schaffte. «Fünf herrliche Jahre voll harter Arbeit, Hopes Meisterwerk als Ehefrau», kommentiert Updike trocken aus dem Off. Noch bevor Zack mit seinem Auto in einen Baum rast und stirbt, findet Hope Trost in den Armen von Bernie Nova, einem Double des Malers Barnett Newmann.

Die Liste von Hopes Eroberungen liest sich wie ein Who is Who der damaligen Kunst: Hinter Ruk, ihrem ersten Liebhaber, verbirgt sich Mark Rothko. Ihr zweiter Ehemann Guy Holloway ist ein eigenartiges Konstrukt aus Andy Warhol, Robert Rauschenberg, Claes Oldenburg und Jasper Johns. Spätestens hier wird die Anlage des Romans - mit einer einzigen Figur die Geschichte der neueren amerikanischen Kunst abzuschreiten - ziemlich prekär. Denn der Spagat, den der latent homosexuelle Popartist Guy zwischen seiner subversiv-verruchten Factory und dem bürgerlichen Heim mit Frau und drei Kindern vollziehen muss, ist definitiv zu gross.

Hoffnungslose Hope

«Er war alles, was Zack nicht war, und war doch auch ein Genie, auf seine Weise, und ich - nun ja, was mag er in mir gesehen haben. Wahrscheinlich seine Mutter, mit der er ins Bett steigen konnte, ganz klassisch», so versucht Hope, einigermassen hoffnungslos, ihrer Interviewpartnerin diese Beziehung plausibel zu machen.

Die menschliche Erfahrung, so formulierte es Updike einmal, enthält drei grosse Geheimnisse: Sex, Kunst und Religion. In seinem zwanzigsten Roman ging es ihm offenbar darum, diese Kräfte zur Deckung zu bringen. Der Versuch ist etwas gar konstruiert ausgefallen. Immerhin einen guten Ratschlag gibt Hope ihrer Gesprächspartnerin am Schluss auf den Weg: «Leben Sie Ihr Leben (...). Lassen Sie es nicht zu, dass (...) irgendein (...) Mann es Ihnen wegnimmt.»

John Updike: Sucht mein Angesicht. Rowohlt Verlag. Hamburg 2005. 320 Seiten, Fr. 34.90