SF DRS: TV für Arbeitslose

Nr. 12 –

Ingrid Deltenre ist als Nachfolgerin von Peter Schellenberg seit Anfang 2004 Direktorin von Schweizer Fernsehen DRS. Sie glaubt, dass Arbeitslose viel von der neuen Sendung «Traumjob» lernen können, und will den Nachwuchs besser fördern.

WOZ: Trifft man in den Gängen von SF DRS auf ältere Mitarbeitende, fällt der seltsame Gang auf - ein Anstaltsgang, ähnlich wie in psychiatrischen Kliniken oder im Gefängnis. Prägt das Fernsehen mit seinen grossen Strukturen und langsamen Abläufen die Menschen mit der Zeit?

Ingrid Deltenre: Ich kann verstehen, was Sie meinen (lacht). Allerdings glaube ich nicht, dass wir besonders langsam sind. Wenn ich gewisse Abteilungen sehe, habe ich sogar den Eindruck, dass wir sehr viel Drive haben. Aber es ist schon so, es gibt nur ein einziges Schweizer Fernsehen. Dadurch ist die Fluktuationsrate sehr tief. Wenn man mal im Unternehmen ist, dann ist man hier. Das prägt ein Unternehmen.

Sie promoten Ihre neue Sendung «Traumjob». Ist es vertretbar, die Arbeitslosenproblematik als Realitysoap abzuhandeln?

Die Sendung wird sicher interessant für Arbeitslose.

Ja? Hoch qualifizierte Manager buhlen um einen 200 000-Franken-Job bei Jürg Marquard. Was lernt da eine junge arbeitslose Frau, die soeben ihre KV-Lehre abgeschlossen hat?

Wenn sie je eine Führungsfunktion haben will, dann wird sie lernen, dass es in gewissen Situationen Rückgrat braucht. Sie wird lernen, dass es wichtig ist, für gewisse Aufgaben gewisse Ziele zu formulieren und Strategien, wie man das umsetzen will. Zudem: Es gibt ja auch ganz viele Leute, die haben «MusicStar» geschaut und sind nicht in eine Depression gefallen, nur weil sie selber nicht so gut singen können oder nicht diese Plattform haben.

Nicht singen können ist auch nicht ganz so existenziell wie keinen Job haben.

Die Sendung ist für mich ethisch überhaupt nicht problematisch, weil die Kandidaten einen sehr guten Umgang mit dem Medium haben. Und wenn jemand, der arm ist, einen Hollywoodstreifen schaut, der in einem reichen Milieu spielt, dann wird er deshalb auch nicht neidisch sein.

Warum werden so viele Sendeformate aus dem Ausland eingekauft?

Was heisst so viele? Neben «MusicStar» und «Deal or No Deal» ist das nur «Traumjob». Also drei. Im Bereich Kultur und Unterhaltung machen wir 54 eigene Sendungen. Ich finde es zudem überheblich, zu meinen, man müsse alles selber erfinden. Ist etwas im Markt erfolgreich, wollen wir von diesem Know-how profitieren. Ausserdem kaufen wir ein und bringen dann viel Swissness in die eingekauften Sendungen, anstatt einfach zu kopieren - was früher durchaus gemacht wurde.

Wie hoch ist das Honorar für «Traumjob»-Moderator Jürg Marquard?

Jürg Marquard ist nicht auf jeden Rappen angewiesen, wir bezahlen ihm kein überrissenes Honorar. Man denkt oft, das Schweizer Fernsehen bezahle unglaubliche Summen, aber das stimmt nicht. Das ist der einzige Vorteil davon, keine Konkurrenz auf dem gleichen Level zu haben: dass man sich nicht die Leute mit riesigen Honoraren abjagen muss.

Ihr Vorgänger Peter Schellenberg hat die schweizerische Konkurrenz erfolgreich aus dem Weg geräumt.

Sie tun Peter Schellenberg Unrecht - er hatte durchaus Freude an TV3.

Die Freude einer Katze mit der Maus ...

Dass er TV3 aus dem Weg geräumt hat, ist ein Trugschluss. Wer Fernsehen macht, braucht Geld. Und für das Programm eine Nische. Aber wenn Sie versuchen, den Grössten im Markt zu konkurrenzieren, indem Sie dasselbe machen, fallen Sie auf die Nase, das ist logisch. Weil der Markt dafür zu klein ist. Sie können heute auch keine zweite NZZ lancieren oder einen zweiten «Tagi». «20 Minuten» zu lancieren, das funktionierte, und ich bin froh, dass es die WOZ noch immer gibt. Das sind aber andere Produkte mit einem anderen Anspruch. Ausserdem ist bei uns die Liberalisierung des Radio- und Fernsehgesetzes erst 1992 gekommen. In den meisten europäischen Ländern gab es schon zehn Jahre früher Privatfernsehen. Da hinkt die Schweiz immer noch hinterher.

Sie hätten die Liberalisierung gerne etwas früher gehabt?

Natürlich.

Wären Sie Direktorin eines Privatfernsehens: Würde das mehr oder weniger Spass machen?

Eindeutig: weniger.

Weshalb? Sie könnten jeden Kulturballast radikal auf Quote setzen.

Weil ich hier ein anspruchsvolleres Programm machen kann. Und weil ich mehr Ressourcen zur Verfügung habe.

Bei den SF-DRS-News springen die jungen Zuschauerinnen ab. Wird es bald neue, verjüngte Sendungskonzepte geben, «20 Minuten»-Nachrichten?

Nein, sicher nicht auf SF 1. Ob auf SF 2 allenfalls einmal, in Form eines Newsflashs, das würde ich nicht ausschliessen.

Jüngere Zuschauer und Zuschauerinnen interessieren sich nicht sehr stark für klassische Nachrichtensendungen. Aber wir haben auch Marktanteile verloren, weil die Nachrichtensituation eine andere ist. Wenn Sie einen Terroranschlag, einen Irakkrieg, Naturkatastrophen etc. haben, dann gehen die Zuschauerzahlen sofort rauf. Bei der Tsunami-Katastrophe hatten wir sofort über siebzig Prozent Marktanteil.

Ist es ein Zufall, dass auch wir öfter die Sitcom «King of Queens» auf Kabel 1 sehen als die «Tagesschau» - und das als Newsjunkies? Und dass es selten in der WOZ heisst: «Hast du dies oder jenes bei ' vor 10' gesehen»?

Das ist Ihre Sicht. Die Sendung hat sehr gute Zahlen. Wir haben dort einen personellen Wechsel vorgenommen, weil wir den Eindruck hatten, dass Relevanz und Glaubwürdigkeit noch verbessert werden können. Hansjörg Utz macht das jetzt, das ist bereits spürbar.

Seinen Vorgänger Klaus Vieli hat man nach diversen Skandalen entlassen ...

... er ist nicht mehr hier ...

Eine ganze Generation von Recherchierjournalisten - von Vieli bis Jürg Wildberger - ist mittlerweile ausser Amtes. Schadet der recherchierte Boulevard, kaum passieren erste Fehler, der Marke?

Nein. Boulevard- und Recherchierjournalismus schliessen sich nicht aus, schon gar nicht im Fernsehen. Die Geschichten müssen einfach stimmen und relevant sein.

Die Struktur der SRG und Ihr Chef Armin Walpen wurden jüngst stark angegriffen. Setzt Sie das unter Druck?

Nein, es zeigt mir einfach auf, wie weit der Konzernjournalismus in der Schweiz geht. Wenn man andere Medien kritisiert, wird man immer auf die Unabhängigkeit der Redaktion hingewiesen. Aber wenn es um eigene Interessen geht, scheint man sich doch Gehör verschaffen zu können in den Redaktionen.

Sie sprechen das angekündigte Internetportal an, wogegen alle Verleger Sturm gelaufen sind.

Ja. Das ist abstrus: Was heisst schon Internetportal? Und zweitens: Dem Fernsehen zu sagen, es dürfe im Internet nichts machen, das ist eine Verkennung der Entwicklung von Medien und Netzen - und reine Verlagspolitik. Unsere Website ist ein Problem, Sie finden dort kein Wort darüber, dass Regierungsratswahlen waren oder dass Salome Clausen Musicstar wurde. Das ist nicht professionell.

Warum konnten Sie Ihren wichtigsten Mann, den Programmentwickler Christoph Bürge, nicht halten?

Christoph Bürge ist erst 43 Jahre alt. Er möchte eine internationale Karriere machen.

Christoph Bürge kam von TV3. Warum werden nicht interne Mitarbeitende gefördert?

Die Nachwuchsförderung hat gelitten. Da würde ich, im Sinne einer Selbstkritik, sagen, dass das wahrscheinlich unsere wichtigste Herausforderung ist bei SF DRS.

Wie oft kann ein Journalist bei SF DRS einen Fehler machen?

Gewisse darf man nur einmal machen.

Welche?

Fehler, die aufgrund einer Charakterschwäche entstehen. Ich rede vom Thesenjournalismus. Ich verachte es, wenn jemand wissentlich nur die halbe Wahrheit bringt, weil er sich instrumentalisieren und korrumpieren liess. Da bin ich enorm allergisch. Die Berichterstattung über meine Person hat mich dafür sensibilisiert.

Hören Sie oft Kritik an einzelnen Sendungen oder ModeratorInnen?

Ja. Wo immer ich hinkomme, sagen mir die Leute, was sie gut fanden und was nicht.

Was entgegnen Sie, wenn ich über die Sportreporter motze?

Die Sportreporter sind wahrscheinlich die professionellste Truppe im Schweizer Fernsehen.