Homosexualität in Serbien: Die Emanzipation ist weit weg

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Ihre einzige Disco muss von der Polizei beschützt werden: Von westeuropäischen Verhältnissen können Schwule und Lesben in Belgrad nur träumen.

An der ersten Belgrader Gay Pride im Juni 2001 nahmen nur einige Dutzend Personen Teil. Noch bevor der Umzug richtig starten konnte, wurde er von einer Horde organisierter Hooligans angegriffen. Chaos brach aus, es gab Verletzte. Ein Aufschrei ging damals durch die internationale schwul-lesbische Gemeinde. Wie steht es heute, dreieinhalb Jahre später, um die Situation von Schwulen und Lesben in Serbien?

Nicht viel besser als damals - dies ist jedenfalls die Meinung von Boris Milicevic. Der Dreissigjährige muss es wissen, er ist einer der wenigen serbischen Aktivisten der Szene. Milicevic bedauert, dass nicht gleich 2002 eine zweite Pride durchgeführt worden sei. Damals war Zoran Djindjic noch Premierminister. Milicevic erklärt, dass Djindjic von der «moderat nationalistischen» Demokratischen Partei die Einsicht gehabt hätte, dass ein Anlass wie die Pride nicht zuletzt für die internationale Reputation Serbiens von Nutzen gewesen wäre. Djindjic wurde im März 2003 aus dem Hinterhalt erschossen. Seine Regierung war gegenüber den Anliegen der schwul-lesbischen Gemeinschaft offener gewesen als die nachfolgende Regierung von Boris Tadic. 2004 nun war wieder eine Pride geplant. Die Polizei hätte zum Schutz vor Angreifern aufgeboten werden können, aber die Angst, dass sie sich - wie schon früher - bei einem Angriff passiv verhalten würde, war zu gross, und das Vorhaben wurde schliesslich fallen gelassen.

Doppelleben ist die Regel

Milos ist zusammen mit seiner Schwester und den Eltern auf dem Hof der Grosseltern in einer Kleinstadt nördlich der Hauptstadt Belgrad aufgewachsen. Der 28-Jährige ist schwul, er hat ausschliesslich sexuelle Kontakte mit Männern. Trotzdem weiss niemand aus seiner Umgebung, dass er Männer Frauen vorzieht, weder die Eltern noch der Onkel, bei dem er in Belgrad lebt, noch seine Kommilitonen an der Universität. Milos hat keine feste Beziehung. Seine Liebhaber findet er in der Regel im Chat einer serbischen schwul-lesbischen Webseite. Die Hälfte der Männer, die er zu einem Abenteuer trifft, sei verheiratet oder mit einer Freundin liiert, sagt er, und sie hätten in aller Regel auch kein Problem mit ihrem Doppelleben. Dieses Leben, das Milos und seine Partner führen, ist die Regel und nicht die Ausnahme, sogar in Belgrad, der pulsierenden Metropole mit offiziell 1,6 Millionen EinwohnerInnen. Diese versteckt gelebte Homosexualität erinnert vage an Zustände, wie sie westlich des Eisernen Vorhangs vor der sexuellen Revolution der Norm entsprachen. Eine Revolution, die auch das Selbstverständnis von Schwulen und Lesben stärkte. Auf der anderen Seite des Vorhangs hingegen herrschten andere Vorzeichen.

Schwule und Lesben sehen sich ganz allgemein in Ost- und Südosteuropa einer ausserordentlich stark patriarchal geprägten Gesellschaft gegenüber, in der die konservative, meist traditionell orthodoxe Kirche eine zentrale Rolle spielt. Homosexualität wird in einem solchen Umfeld tabuisiert. In Serbien ist die Situation noch um einiges komplexer. Während in andern Staaten Ost- und Südosteuropas die politischen, ökonomischen und sozialen Veränderungen die Gesellschaft schon Anfang der neunziger Jahre umkrempelten, verlor Serbien in seiner Entwicklung wichtige Zeit an einen blutigen Bürgerkrieg.

Milos hat weder in den verschiedenen Kriegen Angehörige verloren, noch war er selber zum Militärdienst eingezogen worden. Trotzdem spricht er von einem Gefühl der Lähmung und Depression, das das Land während der neunziger Jahre fest im Griff hatte. Damals sei es darum gegangen, wie die Familie überlebe, darum, dass etwas auf den Tisch komme - und nicht um sexuelle Orientierung. Vor diesem Hintergrund sei verständlich, dass die Emanzipation der Schwulen und Lesben in Serbien um Jahre zurückgeworfen wurde.

Junger Gay-Aktivismus

Die erste serbische Gay-Organisation, Arkadija, wurde 1990 gegründet. Erst als 1994 der Artikel 110 im Strafgesetzbuch, der homosexuelle Kontakte zwischen männlichen Partnern auch bei gegenseitigem Einverständnis verboten hatte, gestrichen wurde, konnte Arkadija legal agieren. In den späten neunziger Jahren lancierten Gay-AktivistInnen eine Kampagne gegen Homophobie. Ein weiterer Meilenstein der schwul-lesbischen Emanzipation war ein Kulturfestival, das im Jahr 2000 durchgeführt wurde. Es war das erste Mal, dass sich eine grössere Anzahl schwuler oder lesbischer Menschen an einem öffentlichen Ort zusammenfanden und so eine sichtbare Gruppe bildeten. Heute agieren in Serbien drei Organisationen, die über eine Infrastruktur verfügen, die von ausländischen Gruppen mitfinanziert wird. Das sind Gayten (Novi Sad), Labris (Organisation von Frauen) und New Age Rainbow.

Der Aufmarsch der Hooligans an der Pride 2001, denen notabene ein Geistlicher vorangeschritten war, ist nur einer von zahlreichen Übergriffen auf Schwule und Lesben. Der Aktivist Boris Milicevic ist auch Veranstalter von Gay-Partys, die alle zwei Wochen im Can-Can-Klub stattfinden. Der grosse Klub ist dann jeweils voll mit meist jungen Schwulen und Lesben, die ausgelassen tanzen, lachen, trinken - ein Klub wie jeder andere, wie es scheint. Erst auf den zweiten Blick sieht man die Gruppe von Polizisten, die diskret im Eingangsbereich stehen. Der Veranstalter hat sie aufgeboten. Diese Vorsichtsmassnahme sei sinnvoll, bekräftigt Milicevic, denn die Homophobie in Serbien sei gross und tätliche Angriffe auf Schwule und Lesben häufig. Es gebe eine hohe Dunkelziffer von Opfern, die aus Angst vor den Tätern von einer Anzeige absehen. In Serbien existiert zwar ein Informationsgesetz, das unter anderem Schwule und Lesben ausdrücklich vor Diskriminierung schützen soll und Hassreden verbietet, trotzdem hat die Homophobie in den letzten Jahren eher zu- als abgenommen.

Die Provinz erreichen

Im Moment wird in Serbien an einer neuen Verfassung gearbeitet. Wer genau daran schreibt und wie weit der Entwurf gediehen ist - und vor allem die Frage nach einem Diskriminierungsartikel -, vermag niemand konkret zu beantworten. Denn es gibt nur etwa dreissig schwule oder lesbische AktivistInnen in Serbien. Vielen von ihnen fehlt es an politischer Erfahrung. Hier könnten ausländische Gruppen einspringen, indem sie etwa Seminare zu Lobbying, Communitybuilding oder Fundraising anböten. Vor allem die Schaffung einer sichtbaren Community scheint ein zentrales Anliegen zu sein. Die serbischen AktivistInnen wünschen sich kulturelle Events wie Ausstellungen, Lesungen, Theater- und Filmfestivals oder auch Podiumsdiskussionen. Ausländische Hilfe, in welcher Form auch immer, darf aber nicht, wie so oft, an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbeiorganisiert werden. Die Frage muss beispielsweise gelöst werden, wie Schwule und Lesben in der Provinz erreicht werden können. Denn noch heute kommt es vor, dass sich ein Dreissigjähriger bei einer Gay-Organisation meldet, der noch nie einen anderen Schwulen getroffen hat.

www.gay-serbia.com ist eine Webseite, die über das schwul-lesbische Leben in Serbien informiert. Hier finden Interessierte Hinweise zu Organisationen, aber auch die Adresse des einzigen Gay-Klubs im Zentrum von Belgrad.

Die Seite bietet ausserdem Links zu andern Organisationen aus Ländern Ost- und Südosteuropas.