Uncool Festival Poschiavo: Zwischen Nippon und Saturn

Nr. 18 –

Die drei Bigbands Root Down, The Sun Ra Arkestra und das Shibusashirazu Orchestra aus Japan auf kosmischer Reise.

Das Uncool-Festival im Puschlav findet seit 1999 alle zwei Jahre am Auffahrtswochenende statt. Zu den Highlights der vergangenen Jahre gehörten Cecil Taylor, Roscoe Mitchell und Andrew Cyrille, das Celestrial Communications Orchestra von Alan Silva, MusikerInnen aus Tuva, das auch dieses Jahr wieder aufspielende Sun Ra Arkestra und vieles mehr. Es beschert der wunderbar gelegenen Talschaft auf der Südseite der Alpen jedesmal einen ziemlich furiosen Saisonauftakt. MusikerInnen aus aller Welt beleben den Alltag schon Tage vor dem eigentlichen Festival. Die MusikerInnen sind jeweils in Schulen präsent, halten Workshops für Kinder ab, wandern um den Lago di Poschiavo bei Le Prese oder sitzen in den Strassencafés der Plazza da Cumün von Poschiavo bei einem Glas Wein oder einer Glace von Semadeni.

Dieses Jahr wird es zwischen dem Zelt am See bei Le Prese (962 m ü. M.), in Poschiavo und der auf 2065 Meter über Meer gelegenen Alp Grüm wohl noch etwas bunter zugehen als in den Jahren zuvor. Das Festival ist dem brasilianischen Gitarristen Egberto Gismonti gewidmet, der gleich mit seiner Familie anreist und sich solo, im Duo und Trio präsentiert. Nebst den kleineren Formationen Steamboat Switzerland und dem Quartett der Saxofonistin Kali Z. Fasteau stechen natürlich die drei Bigbands Root Down, The Sun Ra Arkestra und Shibusashirazu aus Japan ins Auge, die zum Teil gleich zweimal aufspielen. Im Rahmenprogramm findet sich eine Klanginstallation von Frédéric Le Junter; eine Fotoausstellung mit Aufnahmen aus der Geschichte des Uncool und DJ Della Valle sorgt für den Ausklang unter freiem, sternenklarem Himmel.

Das Bigbandprojekt Root Down des Saxofonisten Tommy Meier hatte vergangenen November im Rahmen des Unerhört-Festivals in Zürich Premiere. Die sechzehnköpfige Band versammelt die Creme der Schweizer Szene, da spielt Co Streiff neben Peter Landis, Hans Koch und Peter Schärli, am Piano sitzt Irène Schweizer, am Keyboard Chris Wiesendanger und hinter den Schlagzeugen Fredi Flükiger und Marco Käppeli. Die NZZ schrieb dazu: «In der Bigband Root Down mischt Tommy Meier geschickt Eigenkompositionen mit Stücken von Feli Kuti und Chris McGregor. Die prominent besetzte Grossformation variiert beherzt und konzentriert freie, klangmalerische Passagen mit Afrobeat und hymnischem Jazz.»

The Sun Ra Arkestra

«Schönheit ist unerlässlich für das Überleben dieses Planeten», sagte der kosmische Jazzbotschafter Sun Ra 1983. Solche Statements stiessen schon in den fünfziger Jahren auf Unverständnis, als der Pianist Herman Blount den Namen eines alten Sonnengottes annahm und eine musikalisch-philosophische Reise antrat, die ihn - und das gleichzeitig! - nach Ägypten und in die weitesten Weiten des «Omniversums» führte. Sun Ra, der 1993 den Planeten Erde verliess, war ein Phänomen: Dem zeitgenössischen Jazz der fünfziger Jahre einerseits weit voraus - durch seltsame Harmonien und ungewöhnliche Orchestrierungen -, hatte er andererseits unbändiges Vergnügen am damals als veraltet geltenden Bigband-Swing seiner Jugendjahre. Diese Balance zwischen kaum vorstellbarer wilder Zukunft und tanzbarer, synkopierter Vergangenheit, hergestellt von «Tone Scientists» in glitzernden Afro-Science-Fiction-Gewändern, machte fast vierzig Jahre lang die Konzerte von Sun Ra und seinem Arkestra aus.

Seit 1995 wird das Arkestra vom mittlerweile 81-jährigen Altsaxofonisten Marshall Allen geleitet, der sich bereits 1957 Sun Ras Kosmos anschloss. Er hat dafür gesorgt, dass das Arkestra nicht zu einer «Ghost Band» wurde, die nur traditionsgetreu wieder und wieder die alten Klänge aufleben lässt. Allens Kompositionen, die einen Teil des Repertoires ausmachen, besitzen eine ihm eigene Lyrik und Schönheit, können den Geist des abgereisten Meisters aber nicht verleugnen. Das ist allerdings auch kein Wunder: «Wenn wir spielen», so Marshall Allen vor zwei Jahren am Uncool-Festival, «ist Sun Ra immer mit uns auf der Bühne». Unter den fünfzehn anderen Musikern des aktuellen Arkestra finden sich Sun-Ra-Veteranen wie Sänger Art Jenkins, Posaunist Tyrone Hill, die Trompeter Fred Adams und Michael Ray sowie der Schlagzeuger Luqman Ali.

Shibusashirazu aus Japan

Shibusashirazu ist ein Projekt des Bassisten und Bandleaders Fuwa Daisuke. Der Begriff «Bigband» greift bei dieser Formation, die zwischen fünf und fünfzig AkteurInnen umfassen kann, eindeutig zu kurz. Es ist Performance, Klamauk, Butoh, Gogo, Kabuki, Pop-Enka, Tanz und fernöstlich modifizierter Bigbandjazz in einem. Es soll sich niemand wundern, wenn eine Figur wie aus einem Film Noir der sechziger Jahre mit hochgeschlagenem Regenmantelkragen und tief ins Gesicht gezogenem Hut über die Bühne schleicht, ein Nummerngirl das nächste Stück ankündet oder ein Heliumdrachen über der Bühne schwebt. Auf der musikalischen Ebene ist von Freefunk bis zu Pop-Enka so ziemlich alles möglich und auf der visuellen noch etwas mehr.

Die 1989 gegründete Jazzband hat auf kleinen Theaterbühnen in Tokio begonnen, sich von Shibusa Chibizu (5 bis 10 Leute) über Shibusashirazu (zwischen 10 und 20) bis zum Shibusashirazu Orchestra (bis 50 Beteiligte) entwickelt. Ihr Multimediaspektakel hat über die Jahre in Japan Kultstatus erreicht und war in Europa erstmals 1998 unterwegs. Shibusashirazu greift ins politische Geschehen ein, spart nicht mit scharfzüngigen Kommentaren, und Fuwa Daisuke, der Kopf dahinter, wurde schon oft mit Frank Zappa verglichen. Sie füllen inzwischen die grössten Hallen und fehlen an keinem Openair in Japan. Das Shibusashirazu Orchestra, das dürften wohl um die vierzig MusikerInnen, ArtistInnen und einige Butohtänzer der Gruppe Dairakuadakan sein, die während Wochen in ganz Europa unterwegs sind und auch hier für ähnlichen Furor sorgen und das Publikum - wie das Sun Ra Arkestra - in ferne Galaxien entführen werden.

Uncool-Festival in: Poschiavo, Le Prese, Cantone, Alp Grüm, diverse Orte, Do, 4. bis So, 8. Mai. Infos: www.uncool.ch