«Wer braucht eine linke Zeitung?»: Teure Träume

Nr. 19 –

Die WOZ fragt nach ihrer Zukunft, ein prominent besetztes Podium hat in Zürich nach Antworten gesucht - und neue Fragen aufgeworfen.

Der Rapper Greis kanns nicht fassen: Da bezeichne sich doch fast die Hälfte der Bevölkerung als links, und trotzdem habe die WOZ nur eine Auflage von 14 000 Stück. «Warum ist das so? Ich weiss es wirklich nicht», sagt er über Lautsprecher vom hellen Podium in die abgedunkelte Schiffbauhalle des Zürcher Schauspielhauses. Und nach einer Kunstpause: «Die Zeitung braucht eine Vorwärtsstrategie, sie muss weitermachen.»

Aus Anlass ihrer akuten Finanzkrise lud die WOZ letzten Montag mit der Frage «Wer braucht eine linke Zeitung?» zu einer prominent besetzten Podiumsveranstaltung ein. Zumindest eines wurde schnell klar: Die Podiumsgäste brauchen eine linke Zeitung, sie lesen allesamt die WOZ - was nicht weiter verwunderlich ist, da sie zum Teil eng mit ihr verbunden sind. An Sympathiebekundungen mangelte es denn auch nicht: Der Relaunch sei geglückt, eine einzigartige Zeitung sei sie und ein Wunder, dass sie nach wie vor existiere. «Sie ist gerade in den letzten Monaten in ein Vakuum gesprungen, hat komplexe politische Themen aufgegriffen und notwendige innerlinke Diskussionen angestossen», lobte die an der Uni St. Gallen lehrende Philosophin Katrin Meyer.

Auch darin war sich das Podium einig: Die WOZ soll sich weiterhin von der politischen Mitte fern halten, nicht auf die anderen Medien schielen und jegliche Boulevardeffekte und Verwässerung vermeiden, sie soll vermehrt selber Themen setzen und sich noch stärker, aber aus kritischer Distanz mit den Themen und Problemen der Linken in diesem Lande beschäftigen. Paul Rechsteiner, SP-Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, ging so weit, sich die Vorreiterrolle auszumalen, die diese Zeitung heute für eine «Linkswende» spielen könnte, die unter den gegebenen «politisch labilen Verhältnissen» durchaus möglich sei. Nur: «Die Linke gibts nicht, und die Linke weiss nicht mehr, wo sie steht», gab Redaktionsleiterin Susan Boos, die auch über den steinigen Restrukturierungsweg des Blattes berichtete, zu bedenken. «Wie kann man heute linke Diskussionen vermitteln?»

Doch die Diskussion wollte nicht so recht in Gang kommen, trotz der Aufforderung des moderierenden WOZ-

Redaktors Stefan Keller, mit Kritik nicht hinter dem Berg zu halten, und trotz der munteren Voten des jungen Politikers Balthasar Glättli, Kopräsident der Grünen des Kantons Zürich: Die WOZ lasse ihr Potenzial brachliegen, wälze sich manchmal «im linken Befindlichkeitssumpf» und sei für die politischen Linken «kein Referenzmedium», was sich dringend ändern müsste. Die Zeitung solle sich vermehrt auf Marktlücken konzentrieren, wie sie das bei den Grundrechten getan habe, lautete sein strategischer Rat.

Ob es an der Zusammensetzung oder der Sitzordnung lag, welche die Runde an die Front eines langen Tisches zwang, dass die Podiumsgäste kaum kontrovers ins Gespräch kamen? Oder wirkte sich das schwarze Finanzloch, das die Veranstaltung überschattete, lähmend aus? Der Journalist Jürg Frischknecht jedenfalls, früher enger Mitarbeiter dieser Zeitung, brachte sein einschüchterndes Realitätsprinzip mehrmals leicht gereizt vor. Es sei alles gesagt: Wer diese Zeitung brauche und wie sie aussehen müsste. Wie sie verbessert und redimensioniert werden könne, sei sekundär: «Wir diskutieren den falschen Punkt. Das Problem ist, dass das Geld fehlt.» Seit zehn Jahren, rechnete er vor, werde jede Ausgabe der WOZ mit knapp 10 000 Franken Spendengeldern finanziert. Daran werde sich nicht viel ändern, auch wenn sich die WOZ jetzt darauf einrichten müsse, dass es in Zukunft weniger sei.

Das hielt die Podiumsgäste aber nicht davon ab, sich ihre Traum-WOZ auszudenken. Greis ging aufs Ganze. Ihm schwebt nicht weniger als ein neues Stadtbild vor: Viele junge Menschen, die stolz mit der WOZ unter dem Arm flanieren, weil sie dieses hippe Blatt lieben und lesen, und die überall WOZ-Kleber anbringen - ob legal oder illegal: «Für Bussenopfer mache ich ein Benefizkonzert.» Katrin Meyer wiederum wünschte sich eine freche Zeitung, die andere Zeitungslektüren überflüssig mache und die sie zum Denken und Lachen anrege. «Ich will der WOZ vertrauen können, dass sie um den richtigen Weg ringt und dass die Themen, die sie mir zumutet, für die Linke relevant sind», sinnierte sie. Doch ihre Traum-WOZ wäre eine WOZ, die es nicht mehr brauche, weil die Realität eine bessere geworden sei. Ob die WOZ das wirklich will?

Das WOZ-Kollektiv dankt dem Schauspielhaus Zürich für die Gastfreundschaft im Schiffbau.

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