Berner Tanztage: Getanzter Körperwitz
Die 18. Auflage setzt ganz auf Satire und Komik im heutigen Tanzschaffen der freien Szene.
Es ist noch gar nicht so lange her, da ging ein Gestöhne durch die Kunstwelt: Es muss endlich fertig sein mit den anbiedernden künstlerischen Spässchen, diesem Publikumserfolg versprechenden Blabla von so genannt witzigen Gestaltungen und Geistreicheleien! Die Welt ist ernst und die Kunst ihr Spiegel. Diese bierernste Grundhaltung mancher Kunst- und Theaterschaffenden scheint glücklicherweise überwunden zu werden. Denn schliesslich ist Witz ein guter Nährboden für gesellschaftskritische Ansätze.
Die 18. Berner Tanztage scheinen diese Erkenntnis zu bestätigen. Ihr Programm steht unter dem Generalthema Körperwitz. Fünf internationale und drei Schweizer Compagnien präsentieren unterschiedliche Facetten zum Thema Komik im Tanz. Der alljährlich stattfindende Tour d’Horizon durch die aktuelle Tanzszene der freien Gruppen findet während rund zweier Wochen konzentriert in Bern statt, verteilt auf die Spielstätten Schlachthaus Theater und Dampfzentrale, ergänzt durch die Filmpodien im Kornhausforum und der Cinematte. Die Bundeshauptstadt wird bereits im Vorfeld der Berner Tanztage einschlägig eingestimmt, ja vielleicht gar vom Tanzfieber befallen mit der Ausrichtung des «Bal moderne», bei dem sich hunderte beteiligen können. Die Idee von mit Laien öffentlich einstudierten fünf Choreografien durch professionelle ChoreografInnen aus dem Umfeld von Rosas aus Belgien wird dieses Jahr bereits zum vierten Male umgesetzt. Nach dem Auftakt unter freiem Himmel auf dem Bundesplatz am 25. Mai findet der «Bal moderne» vom 26. bis 28. Mai im Kornhausforum seine Fortsetzung. Begrüssenswert ist auch die Idee der «Begegnungen» mit TänzerInnen und ChoreografInnen nach ausgewählten Vorstellungen während des ganzen Festivals.
Die verständliche Sprache
Die Compagnie Grenade unter Josette Baïz hat die Ehre, die Tanztage zu eröffnen. Die Provenzalen legen die ungewöhnliche Bearbeitung eines klassischen Musicalstoffes vor, Leonard Bernsteins «West Side Story». Synthesizerklänge und Samplereinspielungen, Breakdance, Ballett und multikulturelle Tanzformen führen die Vielfalt von Ausdrucksweisen im zeitgenössischen Tanztheater plastisch vor Augen (1.-3. Juni). Unter den die Livevorführungen sinnvoll ergänzenden fünf Filmabenden befinden sich ebenfalls Musicals und amerikanische Musikfilme - romantische Reminiszenzen grosser Musikfilmgeschichte. Dem «Humor im Tanz» ist im Vorfeld des Festivals ein Videoabend gewidmet, dessen Höhepunkt der neueste Film der britischen Kultgruppe DV8 bildet (30. Mai).
Die künstlerische Sprache des Tanzes hat den übrigen Theatersparten voraus, dass sie international verständlich ist. Auch Publikumsansprüche sind dies offenbar. Denn die australische Gruppe Chunky Move nimmt genau diese aufs Korn mit ihrer Arbeit «Wanted: Ballet for a Contemporary Democracy». Nicht nur parodistisch, sondern durchaus kritisch aufs Korn genommen werden dabei die in einer realen Umfrage erfassten Publikumswünsche und Erwartungshaltungen: Was soll zeitgemässer Tanz und/oder Ballett heutzutage beinhalten, was möchte das Publikum sehen? Pas de deux, Flamenco oder Riverdance oder was? Der in Australien für seinen satirischen Humor bekannte Leiter der Gruppe, Gideon Obarzanek, versteht die Umsetzung der Ergebnisse in dieser Arbeit auch als politische Manifestation: Das Ergebnis kann nur ein Zerrbild sein (9.-11. Juni). Satire muss aber nicht unbedingt vordergründig daherkommen. Den Beweis dafür tritt die wohl ausgefallenste der drei teilnehmenden Schweizer Compagnien an, die Genfer Tanz- und Performancetruppe Foofwa d’Imobilité. Sie und der Franzose Thomas Lebrun untersuchen in ihrem Tangostück «Un-Twomen-Show» clownhaft und skurril einen Teil der Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts, nicht ohne während dieser rasanten Mixtur auch sozialkritische Hiebe auszuteilen. Diese Tanzcollage wird von Filmeinspielungen begleitet (7./8. Juni).
Der verständliche Witz
Selbstverständlich gibt es auch Variationen in der Auffassung von Witz. So dürfte es spannend sein zu beobachten, inwieweit sich Formen des schrägen Humors unterscheiden. Zum Beispiel zwischen der Gruppe des Dänen Granhøj Dans mit der Uraufführung seines «Obstructsong», eines eher rituellen Werks, bei dem auch die Stimme einbezogen wird (3.-5. Juni), und der Basler Compagnie Treff mit ihrem Stück «mindestMann». Norbert Steinwarz und Martin Müller untersuchen darin ironisch männliche Vorbilder, Männerrollen von der Antike bis hin zu Superman (7./8. Juni). In die Sparte von Comicfiguren fällt auch die Arbeit des Bremer Tanztheaters mit Urs Dietrich. Slapstickartige Bewegungen und Überlagerungen kennzeichnen diese nicht vordergründig komische, aber in ihrem Bewegungswitz eindrückliche Arbeit (4./5. Juni). In eine ähnliche Richtung weist die neue Arbeit «Projekt 05» des Berner Tänzerduos Delgado Fuchs, das bereits letzte Saison unter dem Namen Cie Defu Aufsehen erregte. Die beiden interessiert das ambivalente Spannungsverhältnis zwischen Publikum und Interpreten - ein variationenreicher und provozierender Dialog (7./8. Juni). Bereits Kultstatus erreicht hat das französisch-österreichische Künstlerkollektiv Supe-ramas mit seinen überdrehten Shows und Performances. Nicht im eigentlichen Sinne als Tanztheater führen die Superamas mit «Big Second Episode» nicht nur den Schönheitswahn der westlichen Gesellschaft vor, sondern auch den fliessenden interdisziplinären Übergang zwischen den Theatersparten (9./10. Juni).
Tanz- und Choreografiepreis
Einen Glanzpunkt der besonderen Art setzt die Gala zur Verleihung des Schweizer Tanz- und Choreografiepreises, der vom Verein ProTanz geschaffen und 2002 zum ersten Male ausgeschrieben worden war. Bisher haben ihn Noëmi Lapzeson, Fumi Matsuda und Philippe Saire erhalten. Diesmal werden also nicht wie bisher verdiente Tanzschaffende ausgezeichnet, sondern - zur Ermunterung für die Konsequenz seines Schaffens - der 38-jährige Solothurner Thomas Hauert, der seit 1997 in Brüssel seine Compagnie ZOO leitet (6. Juni). Last, not least: Zusammen gefeiert wird an der Eröffnungs- und der Schlussparty und auch noch zwischendurch, jeweils freitags und samstags im Foyer der Dampfzentrale. Auf dass das Tanzfest ein Fest für alle sei. Es scheint wenig Grund zur Besorgnis für die Zukunft des Tanztheaters zu geben: Es lebt und pulsiert - und lacht auch bisweilen ganz herzhaft.
18. Berner Tanztage in: BERN Dampfzentrale, Schlachthaus Theater, Cinematte und Kornhausforum, Mi, 25. Mai, bis Mo, 13. Juni. «Bal moderne» auf dem Bundesplatz: Mi, 25. Mai, 16-21 h; im Kornhausforum: Do, 26., bis Sa, 28. Mai, jeweils 19 h (Teilnahme kostenlos). Infos: Tel. 031 376 03 03, www.tanztage.ch