Illegale Bars: Die Bar muss reisen
In Zürich verunsichert die Schliessung zweier langjähriger Treffpunkte die subkulturelle Szene.
«Wo ist unser Klub geblieben?», fragt «Electroboy» auf einem Flyer, der im Internet kursiert. Diese Frage stellten sich in den letzten Wochen nicht wenige FreundInnen illegaler Bars in Zürich. Wer bisher am Montag in der Boschbar in die Woche startete oder am Wochenende gelegentlich an der Elisabethenstrasse vorbeischaute, steht seit Anfang Mai vor verschlossenen Türen. Beiderorts haben Polizeieinsätze dem jahrelangen kreativen Treiben ein unerwartet abruptes Ende bereitet.
Begonnen hatte alles am 3. April - mit einer Razzia in den beiden Technoklubs Spidergalaxy und Stoffwechsel. Nach Gründen dafür musste man nicht lange suchen: Die Probleme der beiden Klubs mit Drogen waren weit herum bekannt. Kaum jemand dachte deshalb, dass die härtere Gangart auch unkommerzielle Veranstaltungsorte treffen könnte.
Doch am 9. Mai geriet mit der Boschbar genau ein solcher Klub ins Visier der Polizei. Drogen fanden die Beamten zwar so gut wie keine, dafür wurden die BetreiberInnen der Bar verzeigt, weil sie illegal gewirtet, einen Gewerberaum widerrechtlich genutzt und feuerpolizeiliche Vorschriften verletzt hätten. Mit ähnlichen Vorwürfen sieht sich auch der Verantwortliche an der Elisabethenstrasse konfrontiert. Nur fünf Tage nach dem Einsatz in der Boschbar kreuzte die Polizei dort ebenfalls auf.
In der Szene reibt sich ob der jüngsten Ereignisse so mancher die Augen. Die vorsichtigeren AktivistInnen haben ihre Anlässe abgesagt oder kurzfristig verlegt. Andere haben ihre Aktivitäten wie geplant durchgeführt. Die Boschbar ihrerseits ging ins Exil. Verschiedene offizielle Klubs haben ihr inzwischen Asyl gewährt. Fast ohne Probleme verlief auch eine der ersten Openair-Veranstaltungen in diesem Jahr am See. Erst kurz vor 22 Uhr erschien am letzten Sonntag eine Polizeipatrouille und setzte dem friedlichen Event, der bereits seit Mittag dauerte, ein Ende. Anfang dieser Woche haben sich «BetreiberInnen einiger Treffpunkte» mit einem Rundschreiben gegen das polizeiliche Vorgehen der letzten Wochen gewandt. Sollte es zu weiteren Razzien kommen, «werden wir uns überlegen müssen, in welcher Form wir dieser Politik entgegentreten wollen», heisst es darin.
Doch die Frage bleibt: Wie sind die Ereignisse der letzten Wochen einzuschätzen? «Die Razzien basieren keineswegs auf einem neuen Umgang mit der Subkultur», sagt Erich Maag von der Stadtpolizei. Langjährige SzenegängerInnen widersprechen dieser Einschätzung. Die Zeiten hätten sich geändert. Bis anhin seien illegale Bars, die nicht kommerziell wirtschafteten und nicht gross durch Lärmklagen aufgefallen seien, geduldet worden. Die Boschbar beispielsweise sei als langjähriger und umtriebiger Szenetreff selbst der Polizei kaum unbekannt gewesen.
Sind die Polizeieinsätze ein weiteres Indiz für eine neue Nulltoleranzpolitik gegenüber Anderslebenden und Randständigen in Zürich? Die Vorsteherin des Polizeidepartements, Esther Maurer (SP), will davon nichts wissen. «Eine Stadt, die auf Nulltoleranz setzt, wäre mir ein Gräuel», sagt Maurer. Und fügt hinzu: «Toleranz ist der Verdacht, der andere könne Recht haben.» Wer diesen Satz von Kurt Tucholsky ernst nehme, könne auf Toleranz nicht verzichten. Allerdings weisen weder die Forderung nach einem Wegweisungsartikel in der Zürcher Polizeiverordnung noch die präventive Verhaftung von Fussballfans auf das Vorhandensein dieses «Verdachts, der andere könne Recht haben» hin. Vielmehr dient hier der Verdacht, andere könnten Recht überschreiten, als offenbar ausreichende Rechtfertigung für ein polizeiliches Einschreiten.
«Mit dem schärferen Vorgehen bei Besetzungen und der Schliessung der Boschbar sowie der Bar an der Elisabethenstrasse zementiert die Stadt den Weg in eine leblosere Zukunft», findet der Direktor des Cabaret Voltaire, Philipp Meier, in einem Leserbrief im «Tages-Anzeiger». Wer den «subkulturellen Nährboden» beschneide, so Meier, schaffe in der Folge eine tote Stadt. Nun ist Zürich nicht nur um zwei Szenetreffs ärmer geworden, die Stadt hat auch zwei lebendige Orte für künstlerische Experimente verloren, ein Umfeld, das nicht aus ökonomischen Zwängen konventionelle Hörgewohnheiten bedienen muss.