Personenfreizügigkeit: «Ich bin schliesslich nicht zum Vergnügen hier»

Nr. 35 –

Viele OsteuropäerInnen wollen nicht bis 2011 warten, um in den alten EU-Ländern arbeiten zu können. Sie reisen als TouristInnen ein und bleiben als SchwarzarbeiterInnen. Wie lebt es sich als osteuropäischer Schwarzarbeiter in Wien?

Wer Pawel sieht, wie er in einer Wiener Altbauwohnung behutsam morsche Stücke aus einem alten Parkettboden herauslöst und durch neue ersetzt, würde ihm alle möglichen Berufe unterstellen: Bodenleger, Restaurateur, Tischler. Aber Bauer? Sicher nicht. Und doch: Offiziell ist der 38-jährige Pole Bauer. Weil er einen Hektar schlechtes Weideland nahe seiner Heimatstadt gekauft hat, kommt er in den Genuss der günstigen polnischen Bauernsozialversicherung – auch wenn er noch nie auf einem Traktor gesessen ist. So kann Pawel mit einem Urlaubskrankenschein notfalls auch in Wien zum Arzt gehen, obwohl er eigentlich ein Illegaler ist, ein Schwarzarbeiter.

Wie viele OsteuropäerInnen versucht Pawel, sich schon jetzt zu holen, was ihm anlässlich der EU-Erweiterung versprochen wurde: das Recht, in den alten EU-Ländern zu arbeiten. Denn während die Freizügigkeit im Personenverkehr für alle OsteuropäerInnen seit dem 1. Mai 2004 Realität ist, bleiben die meisten Arbeitsmärkte wegen Übergangsbestimmungen noch bis 2011 geschlossen, mit Ausnahme von Irland, Grossbritannien und Schweden (vgl. Seite 9). Wie eh und je gilt daher: Wer keine der begehrten Arbeitsbewilligungen bekommt, reist als TouristIn ein und bleibt als SchwarzarbeiterIn. Die Einreise gehe im Gegensatz zu früher völlig problemlos, sagt Pawel.

Weil Pawel, der als Multitalent Wohnungen in Eigenregie saniert, ebenso praktisch wie nostalgisch veranlagt ist, hat er sich für Wien entschieden: «Von dem kleinen Ort in Südpolen, wo ich wohne, bin ich in wenigen Stunden hier. Und Wien, das habe ich mir immer so schön, so romantisch vorgestellt. So eine Art Museum in Echt.» Anders als die meisten seiner Kollegen bemüht sich Pawel daher, wenigstens das von Wien zu sehen, wofür man keinen Eintritt zahlen muss, die Gebäude, die Parks, die unterschiedlichen Bezirke. «Trotzdem gebe ich natürlich keinen Cent mehr aus als nötig. Ich bin ja nicht zum Vergnügen hier.» Ansonsten gilt auch für Pawel das strenge Schwarzarbeiterregime: drei, vier Monate Arbeit in Österreich, dann eine, selten zwei Wochen Heimatpause und dann das Ganze wieder von vorne.

Dass Pawel in Österreich Böden abschleift, Fliesen verlegt, Wände aufstemmt und Elektroleitungen legt, statt mit seiner Frau und den zwei Töchtern abends vor seinem idyllisch gelegenen Einfamilienhaus zu sitzen, liegt an den Wirren des polnischen Neokapitalismus. Vor zehn Jahren machte sich Pawel im Rausch der Freiheit mit einer Firma selbständig, die auf Wohnungssanierung spezialisiert war. Fünf Jahre später ging er Pleite – und wurde zum Schwarzarbeiter in Österreich: «Es ist die einzige Möglichkeit für mich, die Schulden zurückzuzahlen und meine Familie zu erhalten. Zwei, drei Jahre werde ich noch hier bleiben müssen.» Mit seiner «Kuhwiesenversicherung», wie er sagt, habe er inzwischen aber immerhin einen Vorteil: «Einmal habe ich mich ziemlich stark an der Hand verletzt. Da ist es nicht lustig, noch stundenlang im Bus nach Polen zu sitzen, bevor du zum Arzt kannst.»

Akute Rattenplage

Nicht nur seine gültige Krankenversicherung unterscheidet Pawel von den meisten osteuropäischen ArbeiterInnen in Wien; auch dass er manchmal bei einem Deutschlehrer im Austausch gegen diverse Reparaturarbeiten Sprachunterricht nimmt, ist eher ungewöhnlich. Den tristen Wiener Schwarzarbeiterquartieren entkommt er aber trotz bester Deutschkenntnisse nicht – es wäre zu teuer.

Und so haust Pawel wie andere auch: In einem Altbauhaus im 18. Wiener Gemeindebezirk teilt sich der Pole eine achtzig Quadratmeter grosse Wohnung mit vierzehn bis zwanzig Kollegen. Sämtliche Zimmer sind in schmale Kojen getrennt, in manchen stehen Kajütenbetten. Heimelig ist es hier nicht: Wo bis zu zwanzig körperlich schwer arbeitende Männer auf engstem Raum wohnen, riecht es weder besonders gut noch sind Küche und Toilette wirklich benutzbar. Und weil in anderen Wohnungen ähnlich prekäre Verhältnisse herrschen, leidet das Haus auch an einer akuten Rattenplage.

«Mein Glück ist, dass ich Wohnungen instand setze. Da schaue ich, dass das Bad immer als Erstes so weit ist, dass ich mich dort nach der Arbeit duschen kann.» Auch eine Dose mit dem geliebten Nescafé hat Pawel samt Waschzeug stets in seinem kleinen blauen Rucksack dabei. Ab und zu gibt es so eine ruhige Kaffeepause – schliesslich renoviert Pawel ja auch Küchen.

Wochenlanges Wohnen auf engstem Platz, null Privatsphäre, Arbeit rund um die Uhr, bis der nächste Heimaturlaub kommt – trotz alledem gehört Pawel zur Elite der polnischen ArbeiterInnen in Wien. Während Leute, die auf dem Bau arbeiten, mit dreieinhalb bis maximal fünf Euro pro Stunde entlohnt werden, werkt Pawel für zehn Euro – und gilt bei den Kunden wegen seiner Allround-Fähigkeiten dennoch als günstig. Um Aufträge zu bekommen, ist er auch nicht auf die «Strassenprostitution» angewiesen, wie das Warten an stadtbekannten Punkten genannt wird, an denen Baufirmen OstarbeiterInnen schwarz engagieren. Pawel wird längst durch Mundpropaganda weitergereicht, die Nummer seines Prepaid-Handys ist gewissermassen ein Insidertipp. Manchmal drängen die Termine gar so stark, dass Pawel zwei Kollegen als Aushilfe mitnimmt: «Ich bin ja fast schon Unternehmer», lacht er.

Das Schlupfloch der Scheinselbständigkeit zu nützen, also in Polen eine Einmannfirma zu gründen, die ihre Dienste in Österreich anbietet, was im Gegensatz zu unselbständiger Arbeit nicht unter die Übergangsbestimmungen fallen würde – daran hat er trotzdem nie gedacht. «Ich hatte schon eine Firma, danke, das genügt. Ich will ja diesen Renovierungsjob nicht auf Dauer machen. Ich will, wenn ich endlich ausreichend verdient habe, nach Hause.»

Beide Seiten sind zufrieden

Dass aus den OsteuropäerInnen, die seit der EU-Erweiterung in Wien arbeiten, nur in den seltensten Fällen dauerhafte ImigrantInnen werden dürften, bestätigt auch Ernö Déak, Historiker an der Wiener Akademie der Wissenschaften und stellvertretender Vorsitzender des Volksgruppenbeirates der Ungarn, die Schätzungen zufolge übrigens die meisten osteuropäischen ArbeiterInnen in der Stadt stellen: «Diejenigen, die heute nach Österreich kommen, haben nicht die Absicht, sich in Wien dauerhaft niederzulassen oder gar die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben.»

Manche denken nicht einmal daran, sich für die Zeit ihres Jobs in Österreich eine Wohnung zu nehmen. Wie etwa die Programmierer Juraj und Marian. Die beiden Slowaken fahren von Montag bis Freitag jeden Tag aus Bratislava ins nahe Burgenland, um einer dortigen Internetfirma ihr Wissen zur Verfügung zu stellen. Über die Modalitäten der Bezahlung wollen sie nicht sprechen. Klar ist bloss: Die Sache läuft inoffiell, beide Seiten sind zufrieden. Was ist mit den österreichischen ProgrammiererInnen, die nun eine unfaire Konkurrenz haben, weil der Chef die SchwarzprogrammiererInnen schlechter bezahlen kann und auch noch die Kranken- und Sozialversicherungsbeiträge spart? Die beiden zucken mit der Schulter: «Wir haben in der Slowakei dasselbe Problem, da kommen immer mehr Leute aus der Ukraine. Die arbeiten für ein Drittel des slowakischen Lohns – vielleicht nicht in der IT-Branche, aber in anderen Sektoren.»

Doch die Slowakei hat auch ohne ukrainische BilligarbeiterInnen mit Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Das slowakische Arbeitsministerium denkt zurzeit sogar über Prämien für Leute nach, die Arbeit im Ausland suchen. Die Prämie soll die Reisekosten zum neuen Arbeitsplatz decken und von den lokalen Arbeitsämtern ausgezahlt werden. Zunächst will man das System in einem auf 4000 Personen begrenzten Probelauf testen.

Arbeitslosigkeit und Lohndruck zu Hause – das sind die gängigsten Motive für die Jobsuche im Westen. Für die meisten osteuropäischen ArbeiterInnen ist das Leben hier nur selten die Erfüllung eines Wunschtraums, eher eine Notwendigkeit, das kleinere Übel. «Natürlich», sagt Beata aus dem polnischen Lipno, die in Wien als Putzfrau arbeitet, «könnte ich auf dem Bauernhof meiner Eltern sitzen und auf bessere Zeiten warten. Darauf, dass es wieder Jobs gibt in der Gegend.» Knapp vor der Wende lernte sie einen Ingenieur aus Ägypten kennen. Der hatte gerade sein Studium in Polen absolviert, blieb wegen Beata noch zwei Jahre im Land. Als ein Kind unterwegs war, entschlossen sich die beiden, zu heiraten und nach Ägypten zu gehen.

Chance für neuen Start

Doch der in Polen so charmante, zuvorkommende und liberale Mann verwandelte sich in seiner Heimat binnen weniger Tage in einen Tyrannen. Er nahm Beata ihren Pass ab, nach einigen Wochen durfte sie das Haus nicht mehr alleine verlassen. Die Flucht gelingt ihr, als der Mann eines Tages vergisst, das Haus abzusperren. Zum Glück ist die polnische Botschaft nicht weit – drei Tage später ist sie in Warschau, das Kind kommt in Polen auf die Welt. Von ihrem Mann lässt sie sich in dessen Abwesenheit scheiden.

Österreich bietet für sie nun die Chance, wieder von vorne anzufangen. «Meinen Sohn sehe ich nur alle paar Wochen, wenn ich heim nach Lipno fahre. Andererseits: So verdiene ich gutes Geld und kann ihm mehr bieten als nur den Grundschulabschluss und die Arbeitslosigkeit.» Zurzeit besucht Beatas Sohn ein Gymnasium, wohnt im Internat, am Wochenende ist er bei den Grosseltern. Und Beata macht, was sie zwar gut kann, eigentlich aber nie machen wollte: Wohnungen putzen. «In Polen habe ich eine Bibliothekarsausbildung absolviert. Aber gerade in der Provinz, wo ich herkomme, wird aus Geldmangel eine Gemeindebibliothek nach der anderen zugesperrt.»