Atomstrom: Bei Bedarf wieder voll da

Nr. 40 –

Roland Meyer, Atomenergiegegner der ersten Stunde, tritt zurück. Ein Rückblick auf vergangene Kämpfe und ein Ausblick darauf, was kommt.

«Strom ohne Atom» - der Kleber hat Geschichte gemacht. «Als wir mit unserem Slogan zu Piatti gingen, hat er sofort zugesagt.» Roland Meyer lächelt. Lang, lang ists her - um die dreissig Jahre. Als 1977 in Basel die Volksinitiative zum Schutz der Bevölkerung vor Atomkraftwerken lanciert wurde, steuerte Roland Meyer den eingängigen Slogan «Strom ohne Atom» bei. Der grosse Schweizer Grafi-ker Celestino Piatti integrierte ihn in die Strahlen einer Sonne. Der Slogan hat überlebt und ist heute noch rege im Gebrauch.

Roland Meyer ist dieses Jahr aus dem Vorstand der Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst (GAK, vgl. Kasten) zurückgetreten. Es sei allerdings eher «ein Rücktritt aus der Reserve» gewesen, denn besonders viel war in den letzten Jahren nicht mehr zu tun. Meyer hat sich den Rücktritt gut überlegt wie auch die Argumente, die eine Zeit lang für die Auflösung des Vereins sprachen. «Angesichts der neusten Entwicklungen würde ich einer Auflösung nicht mehr zustimmen», sagt Roland Meyer. «Die Diskussion um neue AKW kommt mit gewaltiger Intensität auf uns zu. Und was zurzeit läuft, ist eine Art Erpressung. Es geht darum, die Schweiz weich zu klopfen, um dem Ersatz alter Atomkraftwerke zuzustimmen.»

Und plötzlich mittendrin

Der altgediente AKW-Gegner sieht einiges an Arbeit auf jene zukommen, die auf Strom ohne Atom setzen: «Der Informationsstand der Bevölkerung ist minimal.» Positiv sei jedoch, dass AKW-GegnerInnen heute nicht mehr gleich in die Ecke der Systemveränderer oder gar KommunistInnen gestellt würden wie früher. «Ich weiss von einem, der sich damals in Thun als Bademeister bewarb. Eine der Fragen war, ob er für oder gegen AKW sei.»

Die AKW-Gegnerschaft war für den Physiklehrer nicht selbstverständlich. Anfänglich versuchte er noch, seinen SchülerInnen die Angst vor der Atomenergie zu nehmen. Aufgrund einer Kolumne im Basler Gratisanzeiger «Doppelstab» begann Roland Meyer, sich eingehender mit dieser scheinbar so wunderbaren Energiequelle zu befassen. Er bemerkte Fakten und Zusammenhänge, die ihm vorher nicht aufgefallen waren. Er nahm die Behauptungen der AKW-GegnerInnen über die Gefährlichkeit der Strahlung, die ungelöste Abfallfrage, die vertuschten Unfälle ernst.

1975 schliesslich, kurz vor der Besetzung in Kaiseraugst, kam es zum ersten persönlichen Kontakt mit leibhaftigen GegnerInnen. Warum er selber aktiv wurde? «Aus verschiedenen Gründen. Die Atomenergie schien mir eine zentrale Frage in der damals beginnenden Umweltdiskussion zu sein. Als Lehrer war ich zudem weniger Repressionen am Arbeitsplatz ausgesetzt als andere. Und als politisch eher rechts Stehender schien es mir wichtig, zu zeigen, dass auch bürgerlich denkende Leute diese Technologie ablehnen.»

Und plötzlich war Roland Meyer, Sekundarlehrer und FDP-Gemeindepolitiker in Arlesheim, mittendrin. So zum Beispiel 1977 als Abstimmungskampfstratege für die Basler Volksinitiative. Das Rohkonzept der Kampagne war in weiten Teilen von Hand geschrieben, das Budget bescheiden. Für die Kampagne in Basel waren Aufwendungen von 36 000 Franken vorgesehen. Das Postcheckheft zeigte einen Saldo von 841.23 Franken. Dass es trotzdem gereicht hat - und zwar bei weitem - zeigt ein Blick aufs Abstimmungsresultat: Die Atomschutz-Initiative wurde mit 47633 Ja- zu 14816 Nein-Stimmen haushoch angenommen. In allen Stimmlokalen gab es Ja-Mehrheiten - einzig im Militär-Wahllokal stimmten zwei dafür und zwei dagegen.

Heute profitieren die EinwohnerInnen des Kantons Basel-Stadt von ihrer Atomfreiheit. Der Kanton hat eine kluge Energiepolitik entwickelt, die Stromtarife sind tief. Und trotzdem ist es schwierig, eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung zur Abkehr vom Atomstrom zu bewegen. Roland Meyer: «Es ist quasi eine religiöse Frage, deshalb sind die Befürworter Vernunftgründen gar nicht zugänglich.» Dabei sollten allein schon die Kosten eigentlich abschreckend wirken. «Ein neues AKW kostet mehr als die ganze Bahn 2000! Der Strom, den es produziert, ist so teuer, dass man ihn sich gar nicht leisten kann. Man muss nur die Energieeffizienz des atomaren Kreislaufs ansehen.»

Verwedeln und verharmlosen

Aber eben: Mit Vernunft habe diese Diskussion am wenigsten zu tun. «Die Atomlobby stellt einfach irgendwelche Zahlen in den Raum, die ihr nützen.» Damit verwedele sie Tatsachen, wie sie auch mit der Wortwahl Unliebsames verharmlose: «Das Wort «Atom» nimmt keiner in den Mund, konsequent gehts um «Kern». Wiederaufbereitungsanlagen und Endlager, die zu den gefährlichsten Anlagen der Welt gehören, werden in harmlose «Entsorgungsparks» umbenannt. Unfälle und Katastrophen finden keine statt, es gibt höchstens mal einen «Störfall» oder ein «Ereignis».» Unfreiwillig komisch findet Meyer das Argument der immer sichereren Reaktoren - «dabei sind doch angeblich schon die Reaktoren, die wir haben, bombensicher ...»

Roland Meyer kann sich immer noch in Rage reden. Und trotz aller Widrigkeiten hat er überhaupt nicht resigniert. «Ich bin sicher, dass in der Schweiz kein einziges der alten AKW ersetzt wird.» Auch wenn das Argument, die Schweiz würde dank AKW bei der Stromherstellung so gut wie kein CO2 produzieren, auf den ersten Blick überzeugend wirke, verliere es sofort an Stichhaltigkeit, wenn man die Gesamtbilanz eines AKW anschaue. «Zudem ist das Klima ja nicht einfach schweizerisch oder aargauisch.» Allerdings ortet er auch ein grosses Desinteresse bei den neuen Generationen: Die Menschen seien so sehr mit ihren eigenen, materiellen Ansprüchen beschäftigt, dass für anderes kaum Zeit oder Interesse bleibe. «Und jene, die heute politische Verantwortung tragen, sind vielfach problematische Figuren. Andere stellen sich schon gar nicht mehr zur Verfügung.»

Dass die Diskussion um die Zukunft der Energieversorgung jetzt neu lanciert werde, sei ein Vorteil «für unsere Seite», meint Roland Meyer: «Das gibt uns die Möglichkeit, unsere Argumente wieder in Umlauf zu bringen.» Was, wenn es hart auf hart geht? «Schwierig zu sagen. Volksentscheide sind häufig ereignis- und situationsabhängig.» Er hofft, die Lancierung der Diskussion zum jetzigen, doch noch sehr frühen Zeitpunkt führe zu einem «Steter Tropfen ...»- Effekt. «Die Atomindustrie will die alten AKW ersetzen, dabei gibt es heute sicherere, billigere und sauberere Alternativen.» Aber gerade hier zeige sich, dass es um eine Glaubensfrage gehe, «denn es gibt ganz einfach keinen einzigen vernünftigen Grund für die Verwendung der Atomenergie».

Bei allen Zweifeln ist Roland Meyer überzeugt, dass es in der Schweiz keine neuen AKW mehr geben wird. Wenn er über die Grenze nach Deutschland schaut, ist er weniger zuversichtlich. «Bei einem Regierungswechsel wird der Ausstieg aus der Atomenergie wohl als etwas vom Ersten rückgängig gemacht.»

Neuer Lebensabschnitt

Das Schweizervolk hat schon zweimal den Verzicht auf Atomkraftwerke abgelehnt. Roland Meyer hat an beiden Abstimmungskampagnen aktiv mitgearbeitet. Um die Kasse für die Abstimmung von 1979 zu füllen, wurde die Aktion «Schweizer Künstler für eine sichere Zukunft» ins Leben gerufen, für die der bekannte Basler Galerist Ernst Beyeler die Organisation übernahm. Originalgrafiken von Samuel Buri, Herbert Leupin und anderen wurden für 100 bis 180 Franken verkauft. An vier Ausstellungen gab es Werke von Bill, Buri, Dürrenmatt, Lohse, Luginbühl und Giger zu kaufen, um nur einige zu nennen. Als Rarität auch zwei Originalaquarelle von Hermann Hesse. Die Kunstaktion trug stolze 120 000 Franken zur Kampagne bei.

1997 hat der heute 68-Jährige aufgehört, voll zu arbeiten. Untätig ist er aber nicht: Der Mathematiker und Naturwissenschaftler ist an der Entwicklung eines Mathematikleitfadens für die Lehrerschaft beteiligt - eine Aufgabe, die ihm richtig Freude mache. Er ist beim lokalen Kulturveranstalter «Theater auf dem Lande» engagiert. Mit Hilfe eines ehemaligen Schülers hat er aus den schriftlichen Erinnerungen seiner Mutter ein schönes Buch kreiert. Ausserdem verbringt er jetzt viel Zeit mit seiner Frau im eigenen Haus in der Toskana. Zeit haben, nicht durchprogrammiert sein, für Freunde da sein, offen bleiben - das sind die Qualitäten, die Roland Meyer an seinem jetzigen Lebensabschnitt vor allem schätzt.

Dass die heutige Generation der AKW-GegnerInnen auf Roland Meyer zählen kann, wenn die Diskussion in eine heisse Phase tritt, ist sicher: «Wenn Bedarf ist, werde ich mit Rat und Tat und meiner ganzen Erfahrung wieder da sein.»

Der Energieexpress

Das obenstehende Porträt von Roland Meyer wurde aus der neusten Ausgabe des «EnergieExpress» übernommen, den die Gewaltfreie Aktion Kaiseraugst (GAK) herausgibt. Die GAK wurde im November 1973 in der Nordwestschweiz gegründet, um den Bau neuer Atomkraftwerke zu verhindern. In jener Zeit waren am unteren Rhein vierzehn neue Reaktoren geplant, einer in Kaiseraugst in der Nähe von Basel, acht in Frankreich (Fessenheim) und fünf in Deutschland (Whyl, Schwörstadt). Schliesslich wurden nur zwei in Fessenheim gebaut.

Die GAK spielte 1975 bei der Besetzung des Baugeländes in Kaiseraugst AG eine massgebliche Rolle. Heute hat die Organisation rund zehntausend Mitglieder.

GAK-Präsidentin Heidi Portmann gilt als die Grande Dame der Antiatombewegung. Sie tritt seit über zwanzig Jahren mit Elan gegen die Atomindustrie an und ist verantwortlich für die Redaktion des «EnergieExpress». Die achtseitige Zeitung erscheint viermal jährlich und beschäftigt sich auch eingehend mit Energieeffizienz und erneuerbaren Energien.



EnergieExpress, GAK, Nullenweg 31, 4144 Arlesheim. Jahresabonnement: 15 Franken.