Fünfzig Jahre «Kaiseraugst»: Wo die Ökologie­bewegung der Schweiz begann

Nr. 14 –

An einem verregneten Dienstag besetzten ein paar junge Leute das Gelände des geplanten Atomkraftwerks Kaiseraugst. Fünf Tage später waren schon Tausende da. Das AKW wurde nie gebaut.

Besetzer:innen stehen auf einem Erdwall in Kaiseraugst, davor steckt ein Transparent in der Erde mit der Aufschrift «AKW-Gegner aller Länder vereinigt Euch!»
Auch aus Deutschland und Frankreich reisten Atomkraftgegner:innen an und solidarisierten sich mit den Besetzer:innen: Kaiseraugst am 9. April 1975.  Foto: Keystone
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Am 1. April 1975, an einem kalten und nassen Morgen um 6 Uhr, fanden sich einige Dutzend junge Männer und Frauen auf dem Jungholz ein, einer ebenen Wiese östlich von Basel, zwischen Rheinfelden und Kaiseraugst, wo die Motor Columbus AG ein Atomkraftwerk bauen wollte. Sie hatten Zelte und Rucksäcke mit Verpflegung dabei. Auf der Wiese standen ungeschlachte Schaufelbagger, denn es war geplant, mit dem Aushub an diesem Dienstag nach Ostern zu beginnen. «Heute gibt es nichts zu tun», sagten die Besetzer:innen den ankommenden Arbeitern. «Wir sind hier, um zu bleiben. Das ist eine Besetzung.» Einige der Arbeiter sympathisierten mit ihnen, andere waren wütend. Zu Handgreiflichkeiten kam es nicht.

Es war eine Besetzung mit Ansage. Die linksliberale Basler «National-Zeitung» hatte darüber geschrieben, die Besetzer:innen hatten Motor Columbus sogar direkt informiert. Doch da war niemand, der ihnen den Zugang verwehrte. Um 9 Uhr erschien ein Sprecher des Konzerns, sagte, man wolle sich nicht provozieren lassen. Die Polizei kam erst später. Ein Foto zeigt einige Polizeibeamte in Uniform, die so locker vor ihrem Wagen stehen, als seien sie wegen einer Lärmklage hier.

improvisierte Protestbaracken in Kaiseraugst, 1975
Gegen Profit auf Kosten der Sicherheit: Kaiseraugst, 1975. Foto: Heiri Strub, ­­Schweizerisches Sozialarchiv

Im Jahr 1972 hatte die Bevölkerung von Kaiseraugst den Bau eines Atomkraftwerks auf ihrem Boden mit 279 zu 88 Stimmen abgelehnt. Es war zu dieser Zeit die einzige direktdemokratische Entscheidung dazu, und sie wurde vom Regierungsrat des Kantons Aargau, vom Verwaltungsgericht und vom Bundesgericht mit formaljuristischen Argumenten desavouiert. Kurz nach dem Entscheid des Bundesgerichts wurde die Gewaltfreie Aktion Kaiseraugst (GAK), eine Ergänzung zum Nordwestschweizer Aktionskomitee gegen Atomkraftwerke (NWA), gegründet. In der GAK fanden sich Kaderleute der trotzkistischen RML und der leninistischen Poch, Sozialdemokrat:innen, Vertreter:innen der rechten Nationalen Aktion und gemässigte Naturschützer:innen aus dem Umfeld bürgerlicher Parteien. Die GAK zog auch Widerstandsformen ausserhalb des gesetzlichen Rahmens in Betracht, Steuerstreiks, Besetzungen. Die sollten aber, das wurde immer wieder betont, friedlich sein. Einige Mitglieder der GAK besuchten Kurse zu gewaltfreier Kommunikation und gewaltfreiem Widerstand.

Den ganzen ersten Tag der Besetzung über trafen Sympathisant:innen auf dem AKW-Gelände ein, und am Abend scharten sich 500 oder 1000 Personen – die Angaben gehen auseinander – um die Feuer des kleinen Zeltdorfs. 60 von ihnen blieben die ganze Nacht.

«An diesem Abend wusste niemand, wie lange die Besetzung dauern würde», sagt Florianne Koechlin, Biologin, Publizistin und Kunstmalerin, eine Besetzerin der ersten Stunde und eine der wenigen Frauen in der Kerngruppe. Wir sitzen in ihrer Küche in einem alten Arbeiterhaus. Holzböden, Steingutbecken, zusammengestiefelte Küchenmöbel.

«Die Besetzung war eine männerdominierte Sache, ganz klar. Aber das hat mich nicht gestört. Ich konnte mich genau so einbringen, wie ich wollte.» Für sie als Mitglied der Poch war damals vor allem der antimonopolistische Kampf gegen die Elektrokonzerne wichtig, doch heute sagt sie: «In Kaiseraugst wurde mir bewusst, wie wichtig der Schutz der Lebensgrundlagen ist. Dass es Menschen aus vielen Schichten und Lebenszusammenhängen braucht, um etwas zu verändern. Die Naturschützer:innen, die Politischen, die eher Bürgerlichen und wir Linken, wir mussten zusammen einen Konsens finden. Wir konnten nicht in unseren Bubbles verschwinden. Für mich war Kaiseraugst die Geburt der politischen Ökologiebewegung.»

In der ersten Woche etablierte sich auf dem besetzten Gelände so etwas wie eine Tagesstruktur. Nachrichten und Gerüchte wurden ausgetauscht. Es wurde gebaut, geputzt und gekocht. Plakate und Banner wurden gemalt. Und es wurde diskutiert, diskutiert, diskutiert. Am Nachmittag, in der vorbereitenden Kerngruppe und in der Vollversammlung, trafen die Meinungen und taktischen Vorstellungen heftig aufeinander. Da waren die redegewandten, überzeugenden Genoss:innen aus Poch und RML. Für sie war die Besetzung ein Druckmittel, um den Behörden und der Bauherrschaft Zugeständnisse abzuringen. Sie waren die «Harten», die «Politischen». Unter den «Weichen» waren bürgerliche und gemässigt linke Naturschützer:innen, das NWA, Idealist:innen. Sie sahen die Besetzung als symbolische Aktion, um einige Tage lang auf die Gefährdung von Menschen, Natur und Landschaft aufmerksam zu machen. Zur Verhinderung des AKW wollten sie vor allem die Mittel und Wege der direkten Demokratie nutzen.

mehrere Personen rollen gemeinsam eine grosse GAK-Flagge ein
Am 12. Juni rollte die GAK ihre Flagge ein – nach Verhandlungserfolgen räumte die Bewegung das Gelände freiwillig. Foto: Keystone

In einer Broschüre aus dem Jahr 2000 schildert André Froidevaux, ein ideologisch sattelfester Trotzkist, diese Auseinandersetzungen in erstaunlich poetischen Worten: «Es war ein Erlebnis, nicht nur aufreibend und stinkernst. Wir haben viel gelacht, wir waren oft erregt. Man fiel sich nach Siegen […] spontan in die Arme, man sprach mit wenig Hemmungen mit allen. Wir lebten im Durchschnitt einige Grade über der normalen Temperatur. […] Wenn man rasch in andere Teile der Schweiz musste, kamen einem die Leute matt vor; man hatte Mühe, das Besondere von Kaiseraugst zu vermitteln. Man musste eben mittendrin sein.»

Ruedi Berner, mit 24 Jahren eines der jüngeren Mitglieder der Kerngruppe, Confiseur und Sohn eines Confiseurs aus dem Umfeld der FDP, half vor allem bei der Versorgung des Lagers mit Essen und Trinken. In der kleinen, behelfsmässigen Confiserie, die er sich nach seiner Pensionierung eingerichtet hat, erzählt er von Anwohner:innen, die Nahrungsmittel brachten. Von Akademikerinnen, Handwerkern und Beamtinnen, die ihnen Geld zusteckten. Von Bauern der nahen Landwirtschaftsschule, die das Rundhaus aufstellten. Von heimlichen Sympathisant:innen.

Was hat die Besetzung mit ihm gemacht? «Ich fühlte mich verpflichtet, unsere Lebensgrundlagen zu schützen und zu erhalten.» Und was hat er in Kaiseraugst gelernt? «Dass Naturschutz wenig Sinn hat, wenn du nicht auch die Macht- und Entscheidungsstrukturen anschaust. Und ich merkte, wie wichtig es ist, Allianzen zu schmieden. Die Klimakleber von heute hingegen bewegen sich alle in gleichen, relativ kleinen Gruppen.»

Die erste Woche der Besetzung stand ganz im Zeichen einer Kundgebung, die für den Sonntag auf dem AKW-Gelände geplant war. Dann, am 6. April, sollte sich zeigen, ob und wie weit die Besetzung von der Bevölkerung getragen wurde. Wenn weniger als 5000 Besucher:innen kämen, wäre das ein Zeichen dafür, dass man die Besetzung abbrechen müsste. Es kamen 16 000. Aernschd Born, der Barde der AKW-Gegner:innen, sang «D Ballade vo Kaiseraugscht». Es gab Reden und Grussbotschaften. Die Demonstrant:innen verwiesen auf ihre Forderungen: Baustopp für einen Monat, Demokratisierung der Bewilligungsverfahren bei AKWs, Verhandlungen und ein Verbot für Motor Columbus, das Gelände einzuzäunen.

Personen an einer Versammlung im Protestcamp
Es wurde gebaut, gekocht, diskutiert – und auch mal geruht, wie hier am 11. Juni, wenige Tage vor Ende der Besetzung. Foto: Keystone

«Hier entsteht kein AKW» stand auf einem der vielen Transparente, und an diesem Sonntag glaubten auch notorische Zweifler:innen, dass die Besetzung Erfolg haben könnte. Die Besetzer:innen selber waren euphorisch und überfordert. In der Nacht, als die 16 000 wieder gegangen waren, hatte niemand mehr die Kraft für ein Fest.

Drei Wochen später forderten auf dem Bundesplatz in Bern mehrere Tausend Demonstrant:innen Straffreiheit für die Besetzer:innen und einen generellen Baustopp für alle AKWs. Die Auseinandersetzung um Atomkraftwerke war auf der grossen Politbühne angekommen.

Ruedi Eggimann, Sozialarbeiter, später Leiter eines Altersheims, Mitglied der SP und des VPOD, zehn Jahre im Vorstand der GAK, war fest in ein bürgerliches Leben eingebunden, als er sich der Besetzung anschloss. Ich treffe ihn in der «Schützenstube» in Rheinfelden, wo er mit alten Freunden letzte Details für die Veranstaltungen zu fünfzig Jahren «Kaiseraugst» besprochen hat. «Als Beamter war ich exponiert», sagt er. «Ich war soeben Vater geworden und rechnete mit einer Rüge wegen meines Engagements, vielleicht sogar mit einer Entlassung. Wir Jungen sind Risiken eingegangen, und die Alten haben uns die Stange gehalten.» Ist so etwas wie die Besetzung in Kaiseraugst heute wieder denkbar? «Nein. Das wäre absolut unmöglich. Wir würden von einer geschlossenen Reihe Polizisten empfangen, mit Wasserwerfern und Tränengas. So wie wenige Jahre später beim Besetzungsversuch in Gösgen.» Er habe bei vielen Aktionen und Initiativen mitgewirkt, «doch die Mischung aus direkter Betroffenheit und vielfältiger Überparteilichkeit, die wir in Kaiseraugst erleben durften, habe ich nirgends mehr erlebt.»

Auf die Demonstration am Sonntag, den emotionalen Höhepunkt der ersten Besetzungswoche, folgte politische Kleinarbeit. Konzepte, Flugblätter, Medienarbeit, Verhandlungen. Was sollte zuerst kommen, die Gespräche oder der Abbruch der Besetzung? Wer gibt nach? Wer gewinnt? Die Aargauer Regierung und der Bundesrat taten sich schwer mit den Forderungen der Besetzer:innen. Es gab beidseitige Diffamierungen, Versprechungen und Zusagen, die dann wieder zurückgenommen wurden. Bundesrat Willi Ritschard, der populäre Vorsteher des Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartements, Sozialdemokrat und ehemaliger Gewerkschafter, weigerte sich lange, mit den «Gesetzesbrechern» von GAK und NWA zu verhandeln. Hardliner forderten einen überkantonalen Polizeieinsatz oder sogar den Einsatz der Armee. Die Besetzer:innen bereiteten sich mit Alarmierungsplänen auf Konfrontationen vor. Das Vertrauen in den Verhandlungsweg schwand.

Helmut Hubacher und Andreas Gerwig, zwei Basler Sozialdemokraten aus der ersten Linie, gelang es schliesslich, «ihren» Willi Ritschard umzustimmen. Am 4. Juni bestätigte dieser in einem Brief seine Kompromissbereitschaft. Umgehend teilte auch Motor Columbus mit, dass man auf einen Schutzzaun vorläufig verzichte.

Demonstrant:innen vor und auf dem Infopavillon in Kaiseraugst, 1981
Die Bewegung hielt sich besser als der Infopavillon: Kaiseraugst, 1981. Foto: Claude Giger, ­Schweizerisches Sozialarchiv

Am 7. Juni beschloss eine 3500-köpfige Vollversammlung auf dem AKW-Gelände mit nur gerade zehn Gegenstimmen den Abbruch der Besetzung. Sieben Tage später übergaben die Besetzer:innen die Wiese ordentlich aufgeräumt an Motor Columbus. Bauholz, Kücheneinrichtungen und Matratzen wurden im Schützenhaus von Rheinfelden eingelagert, für den Fall, dass eine zweite Besetzung nötig würde.

Die Sitzungen, zu denen Bundesrat Ritschard wie versprochen einlud, wurden zur Enttäuschung, denn sie brachten weder Resultate noch eine Annäherung der Standpunkte. Motor Columbus hätte – nur neun Monate später als geplant – mit dem Aushub beginnen können. Doch das Unternehmen verzichtete darauf. Die Besetzung und ihre breite Unterstützung durch die regionale Bevölkerung hatten gezeigt, wie schwierig, vielleicht sogar unmöglich der Bau eines Atomkraftwerks in Kaiseraugst sein würde.

Der Konzern liess auf dem Gelände aber einen grosszügigen Informationspavillon bauen, der Anfang 1979 nach dem Nein zur sogenannten Atomschutzinitiative von Unbekannten fachgerecht gesprengt wurde – 2021 bekannte sich der Tessiner Aktivist Giorgio Bellini zur Tat. In den frühen achtziger Jahren nahm der Bundesrat einen letzten Anlauf für den Bau des AKW Kaiseraugst und provozierte damit noch einmal grosse Demonstrationen.

Im Frühling 1989 schliesslich, drei Jahre nach der Katastrophe im sowjetischen AKW Tschernobyl, wurde das AKW Kaiseraugst von den eidgenössischen Räten in einem fragwürdigen Übereinkommen endgültig entsorgt: Motor Columbus verzichtete offiziell auf den Bau und erhielt vom Bund als Entschädigung 350 Millionen Franken.

Peter Scholer, Ingenieur und Baumeister, Sozialdemokrat und Gewerkschafter, langjähriges Mitglied des Stadtrats von Rheinfelden, fährt hinaus auf das ehemalige AKW-Gelände. Der grösste Teil der grünen Wiese ist überbaut. Da sind Hallen für Pferde- und Hundesport, der Abstellplatz eines Bauunternehmens, auch Roche will bald hier bauen. Vielleicht, sagt Scholer, werde auf dem geplanten öffentlichen Platz irgendwann ein Denkmal daran erinnern, dass hier Schweizer Widerstands- und Energiegeschichte geschrieben wurde. «Die Besetzung in Kaiseraugst war für mich ein beruflicher und persönlicher Wendepunkt. Wegen meines Engagements verlor ich meinen Job als Bauführer, so gründete ich mit einem Freund ein Unternehmen für nachhaltiges Bauen und Heizen. Und bei der Vorbereitung zur Besetzung lernte ich meine Frau kennen. Wir sind heute noch zusammen.»

Und da ist noch etwas, was ihn geprägt hat: «Während der Besetzung wurde vieles informell geregelt. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen war sie die effizienteste politische Aktion, die ich je erlebt habe.»

Bei den Verhandlungen über ein Ende der Besetzung war immer wieder vom Zaun die Rede, den Motor Columbus um das Gelände ziehen wollte. Am Schluss drohten die Verhandlungen sogar daran zu scheitern. Einen praktischen Grund für den Zwist gab es nicht. Mithilfe sympathisierender Bäuer:innen und ihrer Traktoren wäre es im Fall einer Zweitbesetzung einfach gewesen, diesen Zaun zu schleifen. Doch ohne es auszusprechen, wussten wohl beide Seiten, dass der Zaun ein Symbol war. Er hätte bildhaft gezeigt, dass Motor Columbus den Bau eines Atomkraftwerks als private Angelegenheit betrachtete. Und damit hätte der Zaun genau das rückgängig gemacht, was GAK, NWA und eine breite Zivilgesellschaft mit der Besetzung erreicht hatten: die Atomindustrie in öffentliche Auseinandersetzungen zu zwingen.

Der Zaun ist nie gebaut worden.

Am Samstag, 5. April 2025, ab 11 Uhr feiert das NWA in der Markthalle Basel das Jubiläum der Besetzung.

Abstimmungsplakat aus dem Kanton Zürich von 1980 mit Aufschrift «Kaiseraugst: NEIN NEIN NEIN»
Abstimmungsplakat aus dem Kanton Zürich von 1980. Foto: ­Schweizerisches ­Sozialarchiv

Blackout-Initiative: Doch wieder Atomkraftwerke?

Die Debatte um den möglichen Bau neuer Atomkraftwerke nimmt Fahrt auf. Die Initiative «Blackout stoppen» will das bestehende Neubauverbot für Atomkraftwerke aufheben. Das Vernehmlassungsverfahren zum indirekten Gegenvorschlag des Bundesrats endet diese Woche. Wobei der Begriff «Gegenvorschlag» in die Irre führt. Die massgeblich von Energieminister Albert Rösti (SVP) eingebrachte Vorlage will exakt dasselbe wie die Initiative: das AKW-Neubauverbot kippen, das erst 2017 an der Urne beschlossen wurde; allerdings auf Gesetzes- und nicht auf Verfassungsebene, womit keine Volksabstimmung nötig wäre.

Im Vernehmlassungsverfahren zeichnen sich deutliche politische Fronten ab: SVP und FDP unterstützen den bundesrätlichen Scheingegenvorschlag, ebenso die als «Geld und Gülle»-Allianz verspottete Koalition aus Bauernverband, Economiesuisse, Gewerbeverband und Arbeitgeberverband. Auch die grossen Stromkonzerne Axpo und BKW sowie der mächtige Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) sind auf Rösti-Linie. Auf lange Sicht sei es strategisch richtig, technologieoffen zu sein und sich einen möglichst grossen Handlungsspielraum «für eine sichere, klimaneutrale und bezahlbare Stromversorgung zu schaffen», argumentiert der VSE. Noch unklar ist, wie sich Alpiq, der zweitgrösste Energiekonzern des Landes, positioniert.

Denn die Strombranche ist gespalten. Swisspower, eine Allianz von zwanzig Stadtwerken, lehnt den Gegenvorschlag ebenso ab wie AEE Suisse, der Dachverband der Wirtschaft für erneuerbare Energien. Beide befürchten, dass der politische Prozess rund um einen AKW-Neubau den dringlichen Ausbau der Erneuerbaren bremsen würde – gerade auch in finanzieller Hinsicht. Gegen die Aufhebung des AKW-Neubauverbots sind auch die Kantone und Städte – mit Ausnahme des traditionell atomfreundlichen Kantons Aargau. Auch sie kritisieren, dass die geplante Gesetzesänderung «von den notwendigen Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien und die Weiterentwicklung von Energiespeichertechnologien ablenkt», schreibt etwa der Berner Regierungsrat. Zum ablehnenden Lager gehören überdies SP, Grüne und GLP, der Konsumentenschutz, die Umweltverbände sowie die Schweizerische Energiestiftung und der Gewerkschaftsbund (SGB), für den neue AKWs wegen «ihrer langen Planungs- und Bauzeiten ungeeignet sind, um rechtzeitig zur Erreichung der Klimaziele beizutragen».

Als Nächstes kommt das Geschäft ins Parlament. Hier wird die Position der Mitte entscheidend sein, deren Vernehmlassungsantwort bis Redaktionsschluss noch nicht vorlag.