Durch den Monat mit Hans Fässler (Teil 4): Sind Sie versöhnt?
WOZ: Bei Ihrer Lesung in der Berner Reitschule vor zwei Wochen sass Joseph Philippe Antonio, Exaussenminister Haitis, im Publikum.
Hans Fässler: Antonio hat damals das Vorwort zu meinem Buch geschrieben. Er lebt heute in Genf. Er war Aussenminister unter Aristide. Eine verrückte Geschichte ist das: Antonio war unter Duvalier im Gefängnis, war in Chile, als Pinochet putschte. Und Antonio war in Paris, als Aristide abgesetzt wurde. Er verhandelte gerade mit Villepin, als der ihm sagte: Die USA, Kanada und Frankreich reden mit Aristide über seine Abreise. Da merkte er: Da passiert etwas. Für Antonio ist klar: Aristide wurde weggeputscht.
Gefiel es dem früheren Aussenminister in der Reitschule?
Ja. Er sagte: Hier sieht es aus wie in der Bronx.
Wie kamen Sie eigentlich auf Haiti?
Anlässlich des Kantonsjubiläums wurde ich angefragt, ein Kabarettstück zu machen. Ich suchte einen Weg, wegzukommen vom Kanton und von Europa, und stiess auf die haitianische Revolution, auf Louverture, den Anführer des Sklavenaufstandes. Und plötzlich fand ich St. Galler Verstrickungen, St. Galler Familien, denen Sklavenplantagen gehörten. Ich stelle zu meiner Genugtuung fest: Die Kolonialgeschichte wird immer mehr ein Thema. Und das ist wichtig. Wir müssen uns mit der Vergangenheit auseinander setzen. Die Aufarbeitung der Sklaverei hat seit Ende des Kalten Krieges Fahrt bekommen.
Der Kalte Krieg – der taucht bei Ihnen immer wieder auf.
Der gute alte Kalte Krieg ist uns abhanden gekommen. Das hat Peter Bichsel gesagt. Das hat etwas. Es war nicht einfacher damals, doch die Fronten waren klar. Wo liegen heute die Grenzen? Es gibt kaum Tabus, und trotzdem werden laufend Gesetze verschärft. Gibt das ein grausames Erwachen? Schlägt das Pendel zurück? Ich hatte vor Jahren einen Schüler in meiner Klasse, der trug ein T-Shirt mit der Aufschrift: «Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein.» Ich spüre als Lehrer bei gewissen Schülern eine Sehnsucht heraus, Teil von etwas sein zu wollen. Doch es ist wenig da, wenig Konstantes.
Wie erholen Sie sich eigentlich?
Ich wandere in der Region. Früher verbrachte ich viel Zeit in den Bergen. Klettern mit Seil im sechsten Schwierigkeitsgrad, Sachen, die man als Vater nicht mehr unbedingt machen sollte. Ich fuhr auch Wildwasserkajak. Das wäre heute Horror, keine Erholung. Man braucht Auto, Schiff, Fluss und Neoprenanzug. Und Paddel. Wandern, das ist Erholung. Und Kultur.
Wie ist das kulturelle Angebot in St. Gallen?
Es läuft was ...
Aber?
Warum aber?
Sie klangen nach «Aber ...»
Ich wünschte mir mehr politische Kultur. Viele Energien, die früher in die Politik flossen, fliessen heute in die Kultur. Das heisst nicht, dass die Kultur politischer geworden ist, sondern dass eine allgemeine Entpolitisierung stattgefunden hat. Zwischen den Szenen gibt es wenig ideologische Berührungspunkte. Die Kabarettszene zum Beispiel ist zur Comedy geworden und schwer entpolitisiert. Das Politische darin ist beliebig geworden. Mal ein Witzchen gegen Blocher, mal gegen die SP. Man verpflichtet sich nicht. In der Weimarer Republik hiess es: Der Geist steht links. Heute ist das Motto: lustig sein, schräg sein, Karriere machen, bisschen Geld verdienen.
Aber Sie machen doch selbst Kabarett?
Ich hatte immer einen hohen politischen Anspruch. Ich will keinen lockeren Abend, ich will die Leute herausfordern. Durchschütteln! Ich will kein Kabarett, das man wie Zuckerwatte essen kann. Klare Inhalte schützen auch vor seltsamen Vereinnahmungen. Sonst klatschen plötzlich alle. Auch die, gegen die man sich richtet. Diese Distanz schaffen ist jedoch schwierig. Man muss Inhalte transportieren, die dies verhindern. Mir wurde auch schon vorgeworfen, ich lasse mich von den falschen Leuten vereinnahmen. Kennen Sie Peter Kamm?
Den Thurgauer Bildhauer.
Ich trat mit einem militärkritischen Stück an einer Militärveranstaltung auf. In meinem Stück ging es um Fichen und Armeeabschaffung. Den Soldaten gefiel es, den Offizieren nicht besonders. Einer sagte: Das ist doch gar kein Kabarett.
Und Kamm?
Der rief aus, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte, beim Militär aufzutreten.
Haben Sie sich versöhnt?
Wir versuchen seit sechs Jahren, zusammen einen Kaffee zu trinken, um diese Geschichte mal zu besprechen. Demnächst soll es klappen.
Hans Fässler, Historiker, Lehrer und Kabarettist, lebt in St. Gallen. 2005 erschien im Rotpunktverlag sein Buch «Reise in Schwarz-Weiss. Schweizer Ortstermine in Sachen Sklaverei.»