Rüstungsexporte: Schneider-Ammanns Powerplay für die Waffenindustrie
Im letzten Herbst forderten Schweizer Rüstungsfirmen die Möglichkeit, ihre Güter in Bürgerkriegsländer auszuführen. Das Anliegen landete direkt beim Bundesrat, der sich seither ungeniert als Rüstungslobby betätigt.
Die Schweizer Rüstungsindustrie muss sich in einem feuchten Traum wiederfinden. Bisher sind ihre Anliegen im bürgerlich dominierten Parlament traditionell stets wohlwollend behandelt worden. Doch nun können sie sogar auf die Dienste mehrerer Bundesräte zählen: Die Exekutive setzt sich neuerdings offensiv für die Interessen der Kriegsmaterialproduzenten ein.
Dabei nahm zunächst alles seinen gewohnten Lauf: Im letzten September verfassten dreizehn Rüstungsfirmen und Zulieferer einen Brief an die bürgerlich dominierte Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats (SiK-S), wie der «Tages-Anzeiger» damals enthüllte. Zu den Verfassern gehörten die Chefs der grossen Player im hiesigen Rüstungsgeschäft: Ruag, Mowag, Thales, Rheinmetall und B & T. Sie schlugen alarmistische Töne an. Die ganze Branche sei in Gefahr, Tausende Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel. Die Rüstungsbosse beschwerten sich über die restriktiven Exportbestimmungen des Bundesrats, die ihnen Nachteile gegenüber der EU-Konkurrenz bescheren würden.
«Ein hochqualitatives Produkt»
Daraufhin durfte eine Delegation der Rüstungsbranche im letzten November ihr Anliegen an die SiK-S herantragen. So weit, so üblich. Doch als letzte Woche eine erneute Anhörung vor der Kommission stattfand, waren nicht nur Vertretungen des Maschinenindustrieverbands Swissmem sowie der Ruag anwesend, sondern auch Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann, Verteidigungsminister Guy Parmelin und der Generalsekretär des Aussendepartements, der Exgeheimdienstchef Markus Seiler – eine hochkarätige Besetzung seitens der Exekutive. Markus Dittli (FDP), der die SiK-S präsidiert, sagte dem SRG-Radiojournal «Rendez-vous» nach der Anhörung: «Aufgrund der Gespräche, die wir mit den politisch Verantwortlichen der drei Departemente hatten, haben wir festgestellt, dass sie bereit sind, selber zu handeln und eine Verordnungsanpassung in die Wege zu leiten.»
Wieso betätigt sich der Bundesrat plötzlich als Erfüllungsgehilfe der Rüstungsfirmen? Offensichtlich haben sich die Mehrheitsverhältnisse in der Frage der Kriegsmaterialausfuhrbestimmungen geändert, seit Ignazio Cassis (FDP) im letzten Herbst das Aussendepartement von seinem Vorgänger und Parteikollegen Didier Burkhalter übernommen hat. Mit Cassis, Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (FDP), Verteidigungsminister Guy Parmelin (SVP) und Finanzminister Ueli Maurer (SVP) befürwortet seither eine Mehrheit im siebenköpfigen Bundesrat Lockerungen für Waffenexporte.
Die zentrale Figur im bundesrätlichen Powerplay für die Rüstungsindustrie ist Johann Schneider-Ammann. Die Waffenexportkontrolle untersteht seinem Departement, genauer gesagt dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Das ist kein Zufall: Vor seiner Wahl in den Bundesrat vor acht Jahren war der damalige Berner Maschinenbauunternehmer im Nationalrat ein eifriger Rüstungslobbyist. Als Präsident von Swissmem und Mitglied des Arbeitskreises Sicherheit und Wehrtechnik (ASUW) setzte sich Schneider-Ammann im Frühjahr 2009 an vorderster Front gegen die damalige Initiative für ein Kriegsmaterialexportverbot der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) ein. Seine Argumente gegen die Initiative waren deckungsgleich mit denjenigen, die die Rüstungsfirmen heute einbringen: In einem ASUW-Abstimmungsbulletin schrieb er vom «Verlust von Tausenden Arbeitsplätzen» und von «Betriebsschliessungen». Der damalige Nationalrat lieferte darin auch seine eigene Bewertung von Kriegsmaterial: «Das wehrtechnische Produkt ist ein hochtechnologisches, hochqualitatives Produkt.» Schneider-Ammann ist auch als Bundesrat Rüstungslobbyist geblieben.
Der aktuelle Vorgang ist auch ein Zeichen dafür, dass die Rüstungslobby trotz der schmerzhaften Abstimmungsniederlage über den Kauf der Gripen-Kampfflugzeuge im Mai 2014 nach wie vor über sehr gute Kontakte im Bundeshaus verfügt. So war beispielsweise auch Guy Parmelin vor seiner Bundesratswahl ein Mitglied des ASUW. Der Organisation gehören über vierzig aktuelle bürgerliche Parlamentsmitglieder an, alleine in der dreizehnköpfigen SiK-S sind vier Vertreter ASUW-Mitglieder.
Hinter den Kulissen weibelt Farner
Geführt wird die ASUW von der bekannten PR-Agentur Farner, genauso wie zwei weitere präsente Lobbyorganisationen der Rüstungsindustrie: der Verein Sicherheitspolitik und Wehrwirtschaft (VSWW) sowie die Arbeitsgemeinschaft für eine wirksame und friedenssichernde Milizarmee (AWM). Die vom Juristen und Militärkader Rudolf Farner 1951 gegründete rechtskonservative Werbeagentur bekämpft seit drei Jahrzehnten praktisch alle armee- und rüstungskritischen Volksinitiativen – jeweils mit Erfolg und stets so diskret wie möglich.
Daniel Heller, der militärpolitische Stratege bei Farner, kann im Bundeshaus ein und aus gehen, wie er mag: Er besitzt einen Zugangsbadge – erhalten von Corina Eichenberger, ASUW-Mitglied und Aargauer FDP-Nationalrätin. Den Badge hat Heller in der Vergangenheit vor allem genutzt, um in den Sicherheitspolitischen Kommissionen der beiden Kammern Einfluss zu nehmen, wo die zentralen militärpolitischen Geschäfte vorbesprochen werden. Unterdessen kann der Farner-Lobbyist den Zugangsbadge getrost entsorgen, die Türen des Bundesrats stehen für seine Anliegen weit offen.
Nachtrag vom 1. März 2018 : Schweizer Waffen in aller Welt
Es ist das Geschäft mit dem potenziellen Töten – und es floriert. 2017 haben Schweizer Rüstungskonzerne Kriegsmaterial für insgesamt 446,8 Millionen Franken ins Ausland verkauft. Das weist der aktuelle Jahresbericht aus, den das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) diese Woche veröffentlicht hat.
Zu den 64 von der Schweiz belieferten Ländern gehören neben Deutschland, den USA und China zum Beispiel auch die Türkei, die derzeit im nordsyrischen Afrin einmarschiert, sowie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die seit drei Jahren im Jemen einen Krieg führen, der eine so drastische humanitäre Katastrophe verursachte, dass dort laut den Vereinten Nationen alle zehn Minuten ein Kind stirbt.
Wie jetzt durch den Bericht des Seco bekannt wird, wurden hierzulande mit der Ausfuhr von Kriegsmaterial letztes Jahr im Vergleich zum Vorjahr knapp 35 Millionen Franken mehr umgesetzt. Das entspricht einer Steigerung von gut acht Prozent. Doch selbst dieser Geschäftsverlauf hat die Rüstungskonzerne nicht davon abgehalten, sich bereits im letzten Herbst bei der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats zu beschweren. Wegen der scheinbar zu restriktiven Exportbestimmungen des Bundesrats gehe es der Rüstungsbranche schlecht, Tausende Arbeitsplätze seien gefährdet.
Beim Bundesrat stiess das Anliegen auf offene Ohren: Wie Anfang Februar publik wurde, zeigt sich insbesondere Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann gerne bereit, Lockerungen für die Ausfuhrbestimmungen in die Wege zu leiten. Das heisst: Künftig könnten Schweizer Kriegsmaterialien sogar an Bürgerkriegsländer verkauft werden.
«Zynisch und unverantwortlich» nennt Patrick Walder von Amnesty International Schweiz die geplanten Exportlockerungen. Davor warnen auch die Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) und die Grünen. «Die Schweizer Kriegsmaterialexporte steigen und steigen. Und mit ihnen die Mitverantwortung der Schweiz für Kriege und Elend», sagt Nationalrat Balthasar Glättli von den Grünen. «Statt wie geplant neu auch in Bürgerkriegsländer zu liefern, muss die Schweiz den Waffenexport ganz stoppen.»
Merièm Strupler