Waffenexporte: Der Bumerang
Letzte Woche verabschiedete das Parlament ein verschärftes Kriegsmaterialgesetz – gegen den Willen der gut vernetzten Rüstungslobby, die den Bundesrat auf ihrer Seite wusste. Rekonstruktion einer friedenspolitischen Erfolgsgeschichte.
«Ich bin mir sicher: Wenn ich später einmal auf meine politische Karriere zurückblicken werde, dann überstrahlt die nun beschlossene Verschärfung des Kriegsmaterialgesetzes alles andere», sagt SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf euphorisch. Ihre Parteikollegin Samira Marti musste am letzten Freitag gar «mit den Freudentränen kämpfen», wie die Baselbieter Nationalrätin auf Facebook festhielt. «Denn die Friedensbewegung hat Geschichte geschrieben: Die Schweiz hat neu die strengsten Waffenexport-Richtlinien Europas.»
Die Euphorie, die Freudentränen, das Pathos: Die Reaktionen sind durchaus angebracht. Das verschärfte Kriegsmaterialgesetz ist bisher wohl der grösste progressive Erfolg der laufenden Legislatur. Besonders schön daran: Am Anfang stand ein Powerplay der bestens vernetzten Rüstungslobby, es drohte eine massive Lockerung des Waffenexportregimes, am Ende gelang aus der Defensive heraus ein friedenspolitischer Befreiungsschlag.
Das Rüstungspowerplay
Alles begann im Juni 2013 mit einer Motion der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats (SiK). Diese sah vor, Waffenexporte nur noch zu verbieten, wenn «ein hohes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial für die Begehung von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wird». Waffenlieferungen in Länder wie Saudi-Arabien, die bis dahin untersagt waren, sollten wieder möglich werden. Andernfalls bestehe eine Benachteiligung der Schweizer Sicherheitsindustrie gegenüber der europäischen Konkurrenz.
Im Parlament kam die Motion durch, wenn auch denkbar knapp: Im März 2014 sorgte der damalige CVP-Nationalratspräsident Ruedi Lustenberger per Stichentscheid für den Durchbruch. Ein halbes Jahr später passte der Bundesrat die Kriegsmaterialverordnung entsprechend an. Ein Sieg für die Rüstungslobby.
Doch deren Gier war noch nicht gestillt. Drei Jahre später verfassten dreizehn grosse Schweizer Rüstungsfirmen, darunter Rheinmetall Air Defence, Mowag und Ruag, einen alarmistischen Brief an die SiK. Tausende Arbeitsplätze seien angesichts bestehender Restriktionen gefährdet. Man müsse deshalb unter gewissen Umständen auch Waffenlieferungen an Bürgerkriegsländer erlauben. Von der SiK aus landete die Forderung der Rüstungsindustrie direkt beim Bundesrat, genauer gesagt beim damaligen FDP-Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann, dem früheren Präsidenten des Branchenverbands Swissmem, der auch die Interessen der Rüstungsindustrie vertritt.
Und siehe da: Im Juni 2018 legte die Exekutive per «Richtungsentscheid» fest, die Kriegsmaterialverordnung im Sinne der dreizehn Rüstungsfirmen zu ändern. «Demokratiepolitisch gesehen ein ungeheuerlicher Vorgang», sagt Priska Seiler Graf, «das Parlament blieb aussen vor, und die Zivilgesellschaft hatte überhaupt nichts zu sagen.» Erneut hatte die Rüstungslobby gesiegt, doch dieses Mal erwies sich der vermeintliche Sieg als Bumerang.
Eine breite Allianz entsteht
Bereits der erste Gegenschlag war gut aufgegleist: Er kam aus der politischen Mitte, und er verlangte eine Kompetenzverschiebung vom Bundesrat hin zum Parlament. Im Mai 2018 reichte der Glarner Nationalrat Martin Landolt (damals BDP, heute Die Mitte) im Namen seiner Fraktion eine Motion ein, die verlangte, dass künftig das Parlament – und nicht der Bundesrat – über die Kriterien des Waffenexportregimes entscheidet. Die Kriterien sollten aus der Kriegsmaterialverordnung, deren Ausführungskompetenz beim Bundesrat liegt, gestrichen und ins Kriegsmaterialgesetz verlagert werden. Während der Nationalrat die Motion der BDP guthiess, lehnte sie der Ständerat im Frühjahr 2019 ab.
Parallel dazu hatte sich unter Federführung der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), die ihre Rolle in der Öffentlichkeit aber aus guten Gründen sehr zurückhaltend wahrnahm, eine breit abgestützte «Allianz gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer» gebildet. Sie bestand aus Vertreter:innen von NGOs, Hilfswerken und mehreren politischen Parteien (SP, Grüne, GLP, EVP, BDP und CVP). Als absehbar war, dass die Motion von Landolt nicht durchs Parlament kommen würde, begann die Allianz Ende 2018 mit der Unterschriftensammlung für die «Korrekturinitiative». Auch diese fordert, die Kriterien für Waffenexporte nicht mehr per Verordnung, sondern auf der Ebene des Kriegsmaterialgesetzes und der Verfassung zu regeln. «Ich habe noch bei keiner Initiative zuvor erlebt, dass es so einfach war, Unterschriften zu sammeln», sagt Seiler Graf. Waffenexporte in Länder, wo ein Bürgerkrieg herrsche oder Menschenrechte missachtet würden, seien für weite Teile der Bevölkerung ein rotes Tuch. Im Juni 2019 reichte die Allianz ihre Volksinitiative mit über 134 000 Unterschriften ein und damit «ein wirklich gutes politisches Druckmittel», wie Seiler Graf sagt.
Hartes Ringen im Parlament
Angesichts der erfolgreichen Unterschriftensammlung der «Allianz gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer» sah sich der Bundesrat gezwungen, einen indirekten Gegenvorschlag auszuarbeiten, und entschied sich letztlich für eine Variante mit erheblichen Lücken im Gesetz sowie der Möglichkeit, «im Falle ausserordentlicher Umstände» doch selbst entscheiden zu dürfen. Ein klarer Affront gegenüber der Allianz.
«Wir haben damals eigentlich damit gerechnet, dass wir unsere Initiative nun doch zur Abstimmung bringen müssen», sagt Saskia Rebsamen von der GSoA. Doch im Juni dieses Jahres geschah etwas Unerwartetes: Ausgerechnet der Ständerat, der zuvor die Motion der BDP versenkt hatte, sprach sich für einen griffigeren Gegenvorschlag aus – gegen den Willen des Bundesrats. «Dieser Entscheid war ein echter Gamechanger», so Rebsamen.
Massgeblich daran beteiligt war Andrea Gmür, Mitte-Ständerätin aus Luzern. Sie brachte den Antrag im Plenum ein, dem Bundesrat doch keine Abweichungskompetenz zu gewähren. «Nein, die GSoA hat mich in keinster Weise in meiner Entscheidung beeinflusst», sagt Gmür. Das wäre kontraproduktiv gewesen, sie sei schliesslich zu hundert Prozent eine Verfechterin der Armee, meint die Ständerätin. Die Schweiz sei als neutrales Land dem Frieden verpflichtet. Humanitäre Bedenken seien ebenso zu gewichten wie finanzielle Interessen.
In der Herbstsession, die letzte Woche endete, folgte dann die endgültige Entscheidung, und auch der Nationalrat sprach sich – zum grossen Entsetzen der erfolgsverwöhnten Rüstungslobby – für einen griffigen indirekten Gegenvorschlag aus und somit für ein verschärftes Kriegsmaterialgesetz.
Kampfjets als Nagelprobe
Die Akteur:innen der erfolgreichen Allianz führen ihren friedenspolitischen Erfolg in erster Linie auf die breite politische Abstützung des Anliegens zurück. «Es war immer klar, dass wir die Stimmen der GLP und der Mitte brauchen», sagt Saskia Rebsamen von der GSoA. Mit Beat Flach (GLP) und Martin Landolt (Die Mitte) seien zum Glück von Beginn an zwei sehr engagierte und auch einflussreiche Politiker an Bord der Allianz gewesen. Dort sei «sehr gut und vor allem speditiv zusammengearbeitet worden», sagt Flach. Landolt bestätigt das: «Eigentliche Fundamentalgegner von Rüstungsexporten haben sich einen Schritt auf uns zubewegt und so Hand geboten für eine tragfähige Lösung.»
Marionna Schlatter, Nationalrätin der Grünen, die das Anliegen innerhalb ihrer Partei gemeinsam mit Ständerätin Lisa Mazzone vertreten hat, nennt einen weiteren Erfolgsgrund: «Ich glaube, es besteht eine Diskrepanz zwischen der Haltung der Bevölkerung rund um Rüstungsfragen und derjenigen des Bundesrats sowie des rechten Lagers im Bundeshaus.» Deshalb seien auch die nötigen Unterschriften für die «Korrekturinitiative» so rasch und problemlos zustande gekommen und damit «unser wichtigstes Faustpfand im politischen Ringen».
Letztlich sind sich aber fast alle Beteiligten einig, dass die erfolgreich geschmiedete Friedensallianz kaum weiter bestehen wird. Eher im Gegenteil. «Schon beim Dossier der Kampfflugzeugbeschaffung werden wir wohl auf unterschiedlichen Seiten kämpfen», sagt Landolt. Eine tatsächliche friedenspolitische Wende, in deren Zentrum die Abrüstung steht, liegt im aktuellen Parlament in weiter Ferne. Immerhin hat es als Korrektiv zu einem überbordenden Bundesrat, der einseitig die Profitinteressen der grossen Rüstungsfirmen vertreten wollte, funktioniert.