2x-Nein-Marsch: Einem Ausländer winken
Trotz böser Sprüche und wunder Füsse ist eine MigrantInnengruppe gegen das Asyl- und Ausländergesetz von St. Gallen nach Bern gewandert.
Der Taxifahrer schaut skeptisch, um nicht zu sagen, verächtlich. Die Mundwinkel herabgezogen, beobachtet er das Treiben auf dem Bahnhofplatz. Dort haben sich etwa fünfzehn offensichtlich ausländische Menschen versammelt. «2x Nein» und «Für eine solidarische Schweiz», steht auf ihren selbst gebastelten Umhängen. Als einer auf das Taxi zukommt und dem Fahrer eine Broschüre geben will, schimpft dieser: «In Jugoslawien könntet ihr das nicht machen. Dort würden sie euch …» Er deutet mit der Hand Halsabschneiden an. Es ist Donnerstagmorgen um neun Uhr in Langenthal.
Kurz nach neun setzt sich die Gruppe in Bewegung. Die Sonne siegt endgültig über den Nebel. Die Wandernden sind bereits den siebten Tag unterwegs. Am 1. September sind sie in St. Gallen gestartet, übers Wochenende via Wil und Winterthur nach Zürich gezogen, dann weiter nach Brugg, Olten, Langenthal. Am Samstag werden sie Bern erreichen und eine Schlusskundgebung veranstalten. Sie haben schon viel erlebt. In Aadorf im Thurgau zum Beispiel landeten sie mitten in einer Freiluftversammlung der SVP. Die SVPlerInnen witterten eine illegale Demo und riefen die Polizei. Die kam mit vier Autos. «Aber die Polizisten waren nett», erzählt Hakan Gürgen, einer der Organisatoren. «Sie machten sich Sorgen wegen unserer schlechten Schuhe.» Die türkischen und kurdischen Engagierten sind keine erfahrenen WanderInnen. Viele hatten nicht einmal Turnschuhe, machten sich in Halbschuhen auf den Weg. Inzwischen konnten die meisten besseres Schuhwerk besorgen, aber Schmerzen und Blasen haben sie immer noch.
Die längste Demo des Jahres
Mehmet Akyol sieht mit Schnauz und Pfeife aus wie ein Gewerkschaftsfunktionär, und das ist er auch. Der gelernte Maschinenbauingenieur flüchtete 1980 aus der Türkei in die Schweiz, heute arbeitet er bei der Unia. Im Frühling begann er mit Leuten aus türkisch-kurdischen Vereinen über eine Aktion zur Asylgesetz- und Ausländergesetz-Abstimmung zu diskutieren. Es sollte mehr als nur eine Demo sein. Es wurde die längste Demo des Jahres, neun Tage und 270 Kilometer lang. Das Ziel sei vor allem, MigrantInnen mit Schweizer Pass zu informieren und zum Abstimmen zu motivieren. «Es gibt etwa 35000 Menschen aus der Türkei mit Schweizer Pass», sagt Akyol. «Die meisten gehen nie abstimmen. Als Flüchtlinge durften sie sich nicht politisch engagieren in der Schweiz. Das hat sie geprägt, man kann sich nicht so schnell umgewöhnen.» Sie und alle anderen MigrantInnen will der Marsch ansprechen.
Die Marschierenden lernen die Schweiz aus einer Perspektive kennen, die auch den SchweizerInnen fremd ist. Wer läuft schon neun Tage lang den Hauptstrassen nach? Hinaus aus Langenthal, durch das Mittelland, vorbei an Garagen, Handyantennen, Waldstücken, Maisfeldern, über das Trassee der Bahn 2000. Eine irritierende Schweiz, die nichts mit dem Bild zu tun hat, das in den Köpfen steckt. Den ganzen Tag donnern LKW vorbei, in den Dörfern ist fast niemand auf der Strasse. Alle bleiben in ihren Häusern oder Autos. Der 2x-Nein-Marsch trägt sein Transparent durch Bützberg und weiter nach Herzogenbuchsee. Einige singen laut und falsch, einer löst beim Gehen Sudokus. Heute sind nur TürkInnen und KurdInnen dabei, aber es gab auch schon italienische, afrikanische, afghanische, albanische, kroatische, lateinamerikanische und Schweizer Mitwandernde.
Hakan Gürgen ist unermüdlich. Allen drückt er Broschüren in die Hand, verwickelt sie in ein Gespräch, auch wenn sie noch so feindselig aussehen. «Seit sieben Tagen unterwegs! Für eine solidarische Schweiz!», ruft er VelofahrerInnen nach. Gürgen geht es nicht nur um die Abstimmung. Ihm ist vor allem wichtig, dass MigrantInnen selber aktiv werden: «Überall wird über uns oder für uns gesprochen. An den Veranstaltungen von Parteien und Hilfswerken zur Ausländerpolitik stehen SchweizerInnen auf der Bühne. Wir sollten aber für uns selber sprechen!» Er wünscht sich mehr Zusammenarbeit zwischen linken SchweizerInnen und MigrantInnen, «eine Organisation wie das Zürcher 1.-Mai-Komitee, aber für das ganze Jahr». Und einen Sternmarsch nach Bern, der jährlich stattfindet. Hakan Gürgen überlistet skeptische Einheimische mit Freundlichkeit: «Wir winken allen. Viele winken aus Höflichkeit automatisch zurück und überlegen erst nachher: Was habe ich gemacht? Einem Ausländer gewinkt!»
«Hauptsache, er ist ein Mensch.»
Kurz vor Herzogenbuchsee stossen zwei junge Frauen zur Gruppe. Ayse Isbilir ist eine von ihnen. Als sie mit ihrer Familie 1993 in die Schweiz kam, war sie fünfzehn. Sie konnte die Schule abschliessen, für das Gymnasium reichten die Deutschkenntnisse leider nicht. Heute arbeitet sie als Layouterin. Sie nimmt am Marsch teil, weil sie die neuen Gesetze unmenschlich findet. Dass sich so viele ChristInnen dagegen engagierten, zeige das auch: «Ihnen ist es egal, ob jemand Schweizer, Türke oder Afrikaner ist. Hauptsache, er ist ein Mensch.» Ayse Isbilir versteht nicht, warum die Schweiz so fremdenfeindlich sein kann: «Die Schweiz besteht aus einem Teil Frankreich, einem Teil Deutschland, einem Teil Italien und einem Teil – Rumänien vielleicht, es gibt keine einheitliche Schweiz. Wie können sie da nationalistisch sein?»
Pausen am Strassenrand, auf leeren Dorfplätzen, an Waldrändern. Cola und Wassermelone, am Mittag holt ein Mann Kebab und Lahmacun für alle. Immer weiter geht es, durch Oberönz, Aeschi, Subingen, Bauerndörfer, die keine mehr sind, vorbei an «Missbrauch stoppen»-Plakaten der SVP. Der Asphalt, die Hitze, der dauernde Verkehr machen den Weg so anstrengend wie eine Bergtour. Mit der Zeit verschwimmen die Details, Wandertrance stellt sich ein. Nur der Weissenstein am Horizont zeigt, wo das Ziel, Solothurn, etwa sein muss. In Derendingen beginnt die Agglomeration von Solothurn, der Verkehr wird dichter und aggressiver. Busfahrer tippen sich an die Stirn, als sie den Marsch sehen. Beim gelegentlichen Hupen ist nicht immer klar, ob es unterstützend oder böse gemeint ist. Nachdem die Polizei den Wandernden verbietet, den kürzesten Weg einer Schnellstrasse entlang zu nehmen, geht es durch ruhigere Wohnquartiere von Zuchwil nach Solothurn. Dort empfängt wie fast jeden Abend die lokale Unia-Sektion den Marsch. Dazwischen spielen zwei Musiker mit Trommel und Oboe zum Tanz auf.
«Fast alle, die beim Marsch dabei sind, haben einen C-Ausweis, es geht ihnen relativ gut», sagt Ayse Isbilir. «Und trotzdem engagieren sie sich.» Denn sie wissen, was auf dem Spiel steht. Viele sind als Flüchtlinge in die Schweiz gekommen, manche waren während der Militärdiktatur in der Türkei jahrelang im Gefängnis. Sie konnten flüchten und erhielten in der Schweiz Asyl. Zu einer Zeit, als es noch ein Asylrecht gab, das diesen Namen einigermassen verdiente. Wer von ihnen hätte es mit dem neuen Asylgesetz noch geschafft?