Wachstum: Damit alle fröhlich leben können

Nr. 34 –

Wenn die Wirtschaft schrumpft, ist das gut für die Umwelt. Aber auch für die Menschen? Ist die Idee des Nullwachstums ein Zukunftsmodell?


Die Weltwirtschaft schrumpft. – Na und? Sollten wir uns nicht freuen? Endlich wird der Umwelt eine kleine Verschnaufpause gewährt. Vielleicht wird der CO2-Ausstoss nicht sinken; doch zumindest werden die Emissionen weniger stark steigen als in Zeiten des Wirtschaftsbooms. Und das ist genau das, was mittlerweile auch hochrangige Politikerinnen und Diplomaten auf jedem zweiten Weltgipfel fordern.

Alles bestens also? Fast. Wären da nicht all diese Menschen, die von einem Tag auf den anderen plötzlich ohne Job auf der Strasse stehen. Auf über 5 Prozent soll die Zahl der Arbeitslosen hierzulande im kommenden Jahr steigen; vor Jahresfrist waren es noch 2,6. Und innerhalb der OECD-Länder (Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit) könnte die Arbeitslosigkeit bis Ende 2010 10 Prozent erreichen – so hoch war sie seit über dreissig Jahren nicht mehr.

Geht es also doch nicht ohne Wachstum? Haben die Ökonomen und Politikerinnen von rechts bis links also recht, wenn sie behaupten, Wachstum sei das einzige Rezept gegen Arbeitslosigkeit? Sind wir Menschen auf ewig dazu verdammt, die Wirtschaft zum Wachsen zu bringen?

Maschine statt Mensch

Es gibt tatsächlich ein Problem: Von Jahr zu Jahr nimmt die Produktivität der Weltwirtschaft zu. Während etwa Volkswagen (VW) 2004 durchschnittlich 44 Arbeitsstunden benötigte, um ein Auto herzustellen, sind es heute noch 35. Die Wirtschaft ist also in der Lage, jedes Jahr in der gleichen Anzahl Arbeitsstunden mehr herzustellen – oder gleich viel mit weniger Stunden Arbeit. Das Problem dabei ist: Wenn die Wirtschaft aufhört zu wachsen, verlieren immer mehr Menschen ihren Job.

Doch Wachstum ist nicht die einzige Lösung für dieses Problem. Am besten, man setzt bei der guten Nachricht an: Um jährlich denselben Wohlstand herzustellen, müssen wir jedes Jahr etwas weniger schuften. Der Wohlstand ist also vorhanden. Man müsste die Einkommen, mit denen man sich den Wohlstand erkaufen kann, nur etwas anders verteilen. Etwa durch die Verkürzung der Arbeitszeit. Statt dass einige vierzig Stunden die Woche krampfen, während andere keine Arbeit finden, arbeiten alle, aber etwas weniger. Das empfahl bereits der Ökonom John Maynard Keynes Anfang des letzten Jahrhunderts.

Tönt vernünftig. Fragt sich jedoch, wie etwa eine Kassiererin, die bereits mit einem Vollzeitjob nur knapp über die Runden kommt, mit einer Teilzeitstelle überleben soll. Und genau hier liegt das eigentliche Problem der Produktivität: Von den neuen Technologien wird in erster Linie die Arbeit von gering qualifizierten Menschen verdrängt. Sie sind deshalb immer weniger gefragt; und werden sie nicht arbeitslos, so stagniert oder sinkt zumindest ihr Lohn.

Die Lösung liegt also weniger in der Umverteilung der Arbeitsstunden als in jener der Einkommen selbst. Zum Beispiel mittels Grundeinkommen – einer seit Jahrzehnten diskutierten Idee. Alle BürgerInnen erhalten vom Staat einen bedingungslosen Geldbetrag, der ihnen ein angenehmes Leben ermöglicht. Ein Lohneinschnitt oder ein allfälliger Arbeitsplatzverlust wären damit zumindest finanziell problemlos zu verkraften.

Nullwachstum bedeutet also nicht unbedingt zunehmend mehr arme Menschen – man muss den Reichtum nur etwas anders verteilen. Es bedeutet aber, dass der Wohlstand nicht mehr wesentlich wächst. Doch ist das wirklich ein Problem? Von seiner ungleichen Verteilung einmal abgesehen: Sind wir mit einem durchschnittlichen Einkommen von 5700 Franken in der Schweiz nicht bereits reich genug?

Doch was ist mit den Menschen in den armen Ländern Afrikas, Lateinamerikas und Asiens? Mit jener knappen Hälfte der Weltbevölkerung, die mit weniger als zwei US-Dollar ihren Tag bestreitet? Gibt es für sie einen anderen Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere ausser Wachstum?

Nein, sagt zumindest die Zunft der ÖkonomInnen, den gibt es nicht. Das weltweite Wirtschaftswachstum hat in den letzten Jahrzehnten allerdings nicht gerade viel zur Verringerung der Armut beigetragen: In den achtziger Jahren gingen pro hundert Dollar an zusätzlichem Wachstum gerade mal zwei Dollar und zwanzig Cents an jene, die mit weniger als einem Dollar pro Tag leben, kommt eine Studie der Uno zum Schluss. In den neunziger Jahren sank dieser Wert gar auf sechzig Cents.

Zwang und Drang

Mit Wachstum allein lässt sich die weltweite Armut also ohnehin nicht bekämpfen. Und durch Umverteilung? Reicht das weltweite jährliche Bruttoinlandsprodukt (BIP) von sechzig Billionen Dollar aus, um allen Menschen ein fröhliches Leben zu ermöglichen? Sicher ist: Würde es über alle Köpfe gleichmässig verteilt, müssten wir in der Schweiz um einiges kürzertreten. Knapp 800 Dollar blieben uns pro Kopf und Monat noch übrig.

Doch bereits mit einer minimalen Umverteilung liesse sich wesentlich mehr erreichen als das bisher vom Wirtschaftswachstum Hervorgebrachte: Was das wirtschaftliche Wachstum zwischen 1981 und 2001 zur Reduktion der Armut beigetragen hat, hätte man durch die Umverteilung von nur 0,12 Prozent der Einkommen der reichsten 10 Prozent dieser Welt geschafft.

Was immer man auch von Wachstum halten mag: Die Weltwirtschaft wird weiterwachsen, ob wir wollen oder nicht. Denn die moderne Marktwirtschaft unterliegt einem Wachstumszwang. Das sagt Hans Christoph Binswanger, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen – und einer der bedeutendsten nichtmarxistischen Wachstumskritiker.

Unternehmen unterliegen dem Zwang, ständig einen Mehrwert zu erzielen. Denn KapitalgeberInnen leihen der Wirtschaft ihr Geld nicht umsonst. Kreditgeber wollen einen Zins, Aktionärinnen eine Rendite. Denn jede Investition ist mit einem Risiko verbunden. Und für dieses verlangen die GeldgeberInnen eine Kompensation. Andernfalls stecken sie ihr Geld lieber unter ihre Matratze.

Dazu gesellt sich ein Wachstumsdrang. Der Druck, den die UnternehmerInnen erfahren, einen möglichst hohen Profit zu erzielen. Sie wissen: Sonst investieren die Geldgeber woanders.

Aber wäre es nicht trotzdem möglich, sich gegen weiteres Wachstum zu stellen? Ist es nicht möglich, den Wirtschaftsmotor zumindest zu drosseln? Binswanger bringt dafür gleich mehrere Vorschläge ins Spiel. So etwa die Idee des Vollgeldes. Ihr zufolge erhielte die Zentralbank das alleinige Recht, neues Geld zu schaffen. Damit wäre sie in der Lage, das Ausmass der wirtschaftlichen Investitionen zu beschränken.

Heute ist das nicht der Fall: Geschäftsbanken schöpfen mit Krediten laufend mehr Geld; sie haben den Firmen nur die entsprechenden Geldbeträge auf einem Konto gutzuschreiben. Indem Banken verpflichtet würden, ihr Buchgeld – all das Geld, das virtuell in Form von Zahlen auf ihren Bildschirmen erscheint – vollständig durch Zentralbankguthaben beziehungsweise -noten zu decken, würde die Geldschöpfung in die Hände der Zentralbank gelegt. Damit erhielte sie die Möglichkeit, die Kreditvergabe und damit die Investitionen – und letztlich das wirtschaftliche Wachstum – direkt zu steuern.

Weiter rät Binswanger dazu, Aktiengesellschaften in Stiftungen oder Genossenschaften umzuwandeln. Damit entfiele der Druck der Kapitalgeber, jedes Jahr eine höhere Rendite zu erzielen.

Ressourcen beschränken

Umverteilung, Vollgeld, Stiftungen statt AGs: Tönt gut, doch bis sich solche Ideen durchsetzen werden, könnte es noch eine Weile dauern. Die Weltwirtschaft wird auch nach der aktuellen Krise weiterwachsen. Was sind die Folgen? Was bedeutet das für die Umwelt?

Meistens ist wirtschaftliches Wachstum für die Umwelt schädlich. Das zeigt nicht nur die Verdreifachung des globalen CO2-Ausstosses innerhalb der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern auch die Rodung des Amazonas oder die Überfischung der Meere.

Doch Wachstum ist nicht immer gleich schädlich: Eine Erhöhung des Bruttoinlandsproduktes führt nicht zwingend zu einem prozentual gleich hohen zusätzlichen Verschleiss von Ressourcen. Zum einen wegen der zunehmend energieeffizienten Technologien (zwischen 1980 und 2001 ist die Weltwirtschaft im Jahr durchschnittlich um 3 Prozent gewachsen, der Energieverbrauch aber nur um 1,7 Prozent), zum anderen dank der Entwicklung erneuerbarer Energien.

Schliesslich gibt es auch Wachstum, das überhaupt keine zusätzlichen Ressourcen verbraucht. Denn das weltweite BIP ist nichts anderes als die Summe aller positiven Gefühle, die sich die Menschen in einem Jahr erkaufen. Und die Zunahme dieser Gefühle wird nicht zwingend mittels materieller Produkte erzeugt. Wir bezahlen auch für menschliche Ideen – für ein künstlerisches Gemälde, einen Markennamen oder für die neue Technologie einer Armbanduhr.

Selbst wenn es also gelingen sollte, das wirtschaftliche Wachstum zu steuern: Wie viel Wachstum und ob die Welt überhaupt Wachstum verträgt, ist schwer zu sagen – welches Wachstum, hergestellt mit welchen Technologien?

Wesentlich einfacher ist die Antwort auf die Frage, wie viel CO2-Ausstoss die Welt verträgt. Deutlich weniger als fünfzig Prozent des jetzigen, sagt der Uno-Klimarat, und das bis spätestens 2050. Sollten sich die Menschen irgendwann dazu entschliessen, die nötigen Massnahmen in Form von Lenkungsabgaben und Beschränkungen der Ressourcen zu ergreifen, wird sich zeigen, welches Wachstum damit noch möglich ist.

Und wenn die Wirtschaft dann nicht mehr wächst – wird umverteilt.