Durch den Monat mit Thomas Haemmerli (Teil 4): Sind Sie repräsentativ?
WOZ: Sie sind nicht nur Journalist und neuerdings Filmemacher, sondern auch einer der Gründer von www.votez.ch. Darauf informieren Sie Stimmbürgerinnen und Stimmbürger über Wahlen und Abstimmungen und geben Empfehlungen ab. Wie viele Leute erreichen Sie?
Thomas Haemmerli: Ungefähr 15 000 Personen in Zürich, Basel, Bern und ganz wenige in Zug.
Und wer orientiert sich an den Votez-Empfehlungen?
Wir gehen ein bestimmtes Segment an: urbane, moderne, hedonistische Leute.
Für die Zürcher Regierungsrats- und Kantonsratswahlen empfahl Votez Bürgerliche und Linke. Was verbindet die von Ihnen Auserwählten?
Sie sind weder ideologisch noch dogmatisch.
Was ist der Unterschied zwischen ideologisch und dogmatisch?
Ideologie ist eine stringente, zusammenhängende Weltanschauung. Das Dogma ist ein Glaubenssatz, dogmatisch ist noch ein bisschen härter.
Was stört Sie an Weltanschauungen?
Nur die stringente Weltanschauung stört mich. Etwa wenn ich von der SP einen Prospekt kriege, auf dem steht: «Arbeitgeber mehr in die Pflicht nehmen». Dahinter steckt das Bild von Arbeitgeber gleich böser Grossunternehmer, der mit seinen Angestellten nicht nett ist. In der Schweiz sind die meisten Unternehmer aber Kleinunternehmer. Ich habe mir auch schon überlegt, jemanden anzustellen. Aber das ist wahnsinnig kompliziert wegen all der Vorschriften. Jedes Mal, wenn der Staat eine Arbeitgebervorschrift mehr macht, bedeutet das für mich eine weitere Hürde als gewillter Arbeitgeber. Deshalb stelle ich niemanden an.
Party machen Sie aber immer noch. Geht es Votez eigentlich nur
darum?
Nein, es geht um Freiheit! Ich habe die Bewegung der achtziger Jahre miterlebt. Punk war wichtig, Popkultur war wichtig. Früher war die Linke mit diesen Subkulturen fest liiert. Wenn Sie ein Rockfan waren, waren Sie politisch fast automatisch links. Das hat sich total geändert, die Linke hat hier viel verloren.
Sie meinen, die Linke hat den Bezug zur Musik- und Subkultur verloren?
Genau. Das fing mit Techno an. Die Linke fand Techno ja faschistoid.
Viele PionierInnen der Technokultur in Zürich sind Linke.
Ja logisch.
Und sie sind es immer noch.
Trotzdem war bei diesem ganzen Technozeugs der Feind meist die Linke: Die SP und die grüne Stadträtin Monika Stocker. SP-Polizeichefin Esther Maurer wollte die Polizeistunde wieder einführen, unlängst haben ihre Polizisten ein kleines Subkulturfestival an der Langstrasse, das keinen Rappen Suventionen kostete, abgewürgt.
Gaben solche Vorfälle den Ausschlag, Votez zu gründen?
Nein. Wir haben Votez gegründet, als Blocher gegen ein Kosovo-Integrationsprojekt gewonnen hat. Ich fragte damals viele Leute, im Kunst- und Technokuchen, ob sie abstimmen waren. Alle sagten Nein. Das war der Auslöser.
Gegen Christoph Blocher und die SVP sind Sie heute noch.
SVP und urbane Anliegen vertragen sich nicht. Aber diesmal haben wir auch von der SP abgeraten.
Wieso?
Die SP ist die Partei der Verbote. Sie wollte die Streetparade verbieten und würgte Goa-Festivals ab. Sie steht für Polizeistunden und das Verbot, abends an der Tankstelle ein Flasche Wein kaufen zu dürfen. Diese SP und urbane Anliegen vertragen sich auch nicht.
Kann Urbanität ein Programm sein?
Städte sind anonym, deshalb gibt es eine Vielfalt von Lebensformen. In Städten hat die Schwulenemanzipation angefangen, Künstler und Subkulturen sind in den Städten. Urban ist, was Individualität und Freiräume ausweitet, also Schwulenhochzeit, Kiffen dürfen, keine Polizeistunde, freie Ladenöffnungszeiten.
Weshalb sind Ihnen die Ladenöffnungszeiten so wichtig?
Die Gewerkschaften und die SP haben dieses verstaubte Bild vom Papa, der zur Familie nach Hause muss und geregelte Arbeitszeiten von 9 bis 5 braucht. Aber die Leute, die ich kenne ...
... sind solche, die coole Jobs und Geld haben, sich wie Sie selber eine Putzfrau leisten können. Das sind natürlich nicht die Leute, um die es bei den Ladenöffnungszeiten geht.
Im Gegenteil! Der trümmlige Typ, der mir in der Nacht die Pizza bringt, der findet erstens keinen normalen Job, und zweitens ist er wie ich ein Nachtmensch. Der findet das super, er fährt ein bisschen rum, dann leert er sich noch eins hinter die Binde, und am nächsten Tag schläft er aus. Aber dann kommt die Gewerkschaft und versucht seinen Job zu zerstören, weil sie behauptet, das seien keine guten Arbeitszeiten.
Ihr Typ ist nicht gerade repräsentativ.
In allen grossen westlichen Städten wohnen über fünfzig Prozent alleine. Nimmt man noch WGs und Schwulenpaare dazu, ist klar: Familie ist ein Minderheitenlifestyle.
Und deshalb soll es keine festen Ladenöffnungszeiten geben?
Es gibt viele Leute, die wie ich sonntags und auch nachts arbeiten: Künstler, Grafiker, Computerfreddis. Ja, ich bin für die 24-Stunden-Gesellschaft.
Thomas Haemmerli, 43, ist Journalist und Filmer. Er kennt in Zürich alle wichtigen Leute aus Kultur und Medien und ist gerne Strippenzieher. «Sieben Mulden und eine Leiche» ist sein erster langer Film.