Die Affäre Blocher/Roschacher: Der geheimste Plan?
Exbankier Oskar Holenweger schleicht in Stuttgart um das Landeskriminalamt. Polizisten kontrollieren ihn. Weisen die Dokumente, die er bei sich trägt, auf eine Verschwörung gegen Exbundesanwalt Roschacher hin?
«Geheimplan gegen Blocher!» behauptet die SVP seit dem 27. August in Inseraten und damit kurz vor Veröffentlichung des Berichts der parlamentarischen Kommission im Fall des ehemaligen Bundesanwalts Valentin Roschacher. SVP-Presseprecher Roman S. Jäggi bestätigt, dass die Kampagne unter anderem im Hinblick auf diesen Bericht lanciert worden sei. Der Bericht der Kommission unter Leitung der CVP-Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz über die Umstände, die 2006 zum Rücktritt des Bundesanwalts Valentin Roschacher geführt hatten, ist zwar noch geheim. Doch es ist bereits zu vernehmen, dass Bundesrat Christoph Blocher, Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD), nicht gut wegkommen wird: Untersuchungen wider besseres Wissen, Aufweichung der Gewaltentrennung, Kompetenzüberschreitung. Das weiss die SVP seit längerem, immerhin sitzt in der Kommission auch Blochers politischer Ziehsohn Toni Brunner. Der Bericht der Geschäftsprüfungskommission (GPK) wurde am Mittwoch beraten und sollte eigentlich dieser Tage präsentiert werden. Kurz vor Redaktionsschluss wird bekannt: Der Bericht aus der Legislative ist so brisant, dass der Bundesrat einen unabhängigen Rechtsberater eingesetzt hat, um ihn zu analysieren. So etwas hat der Bundesrat noch nie getan.
Geheimplan in Bundesbern? Diese Frage stellen sich zurzeit tatsächlich Mitglieder der GPK und offenbar auch der Eidgenössische Untersuchungsrichter - jedoch nicht, ob es einen Geheimplan gegen Christoph Blocher gibt, sondern ob es 2006 einen Geheimplan gegen Exbundesanwalt Valentin Roschacher gegeben hat. Er war von Blocher abgesägt worden.
Ein Tag in Stuttgart
Offenbar gibt es auch Informationen, die so neu sind, dass sie in den GPK-Bericht noch gar nicht einfliessen konnten. In der Kommission wurden sie jedoch bereits thematisiert: Sie stammen aus einer Personenkontrolle in Stuttgart am 26. März 2007. Der Schweizer Bankier Oskar Holenweger, gegen den in der Schweiz seit 2003 ein Verfahren wegen Verdachts auf Geldwäsche läuft, schleicht an diesem Tag um das Gebäude des Landeskriminalamtes. Sicherheitsbeamte kontrollieren ihn und beschlagnahmen die Unterlagen, die er mit sich führt. Aufgrund dieser Unterlagen leitet die Staatsanwaltschaft Stuttgart später ein «Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt» ein. Oskar Holenweger sei in gewisser Weise darin verwickelt, die Ermittlung richte sich aber nicht gegen ihn, so eine Sprecherin. Möglich ist auch: Holenweger hat das Material freiwillig ausgehändigt.
Jedenfalls fanden die deutschen Polizisten beim Exbankier Fotos und Skizzen mit Namen von Personen: «Eine Art geheimes Drehbuch für das Schauspiel, mit dem der damalige Bundesanwalt Valentin Roschacher im Frühsommer 2006 aus dem Amt gedrängt wurde», schrieb der «Tages-Anzeiger» am Montag, nachdem der «Blick» am Samstag die Frage nach einem «Komplott gegen Roschacher» gestellt hatte. Die in Stuttgart sichergestellten Akten, die einen Plan zu Valentin Roschachers Demontage beinhalten, füllen einen Bundesordner, so der Eidgenössische Untersuchungsrichter Ernst Roduner. Darunter auch eine Namensliste der an dem Plan beteiligten Personen. Die genannten Politiker und Journalisten hätten mit Vorstössen im Parlament - wie sie SVP-Nationalrat J. Alexander Baumann etwa mehrmals einreichte - oder mit Medienberichten Druck auf Roschacher ausüben sollen, um ihn aus dem Amt zu drängen. Der «Tages-Anzeiger» nannte diesen Mittwoch einige der Namen: Die Nationalräte Christoph Mörgeli und J. Alexander Baumann (beide SVP) sowie Filippo Leutenegger (FDP) seien unter anderem auf der ominösen Liste. Mörgeli dementierte umgehend, Leutenegger ist in dieser Sache unerreichbar.
Der V-Mann
Was ist die Vorgeschichte? 2003 hatte Roschacher ein Verfahren gegen den Banker Oskar Holenweger eröffnet wegen des Verdachts auf Waschen von Drogengeldern und dem Bewirtschaften schwarzer Kassen des französischen Alstom-Konzerns. Der damalige Bundesanwalt Roschacher hatte bei den Ermittlungen gegen den Bankier auch V-Männer eingesetzt, unter anderem den kolumbianischen Drogenhändler José Manuel Ramos.
Roschacher geriet deshalb enorm unter Druck. Vertrauliche Informationen, die Roschacher ein Fehlverhalten nachweisen sollten, verliessen das EJPD bald wie die tägliche Post. Die Informationen landeten bei der «Weltwoche», deren damaliger CEO, Nationalrat Filippo Leutenegger, ein enger Freund von Oskar Holenweger ist.
Die «NZZ am Sonntag» erzählt es so: Ein Chefbeamter des EJPD habe bei der Redaktion angeklopft und sie aufgefordert, gegen Bundesanwalt Roschacher zu schreiben. Die Bundesanwaltschaft liege Blocher auf dem Magen. Doch sein Chef könne nicht von sich aus aktiv werden. Das könnte ihm als unbotmässige Einflussnahme auf die Justiz ausgelegt werden.
Der Hauptvorwurf gegen Valentin Roschacher war: Der übermotivierte Bundesanwalt habe die Karriere eines Bankiers zerstört. Monate später löste sich die Kampagne gegen ihn mit den ganzen Vorwürfen in Luft auf: Die Untersuchungskommissionen kamen im Herbst 2006 zum Schluss, Roschacher sei kein Fehlverhalten zu attestieren. Doch da hatte der Bundesanwalt aufgrund des erheblichen Drucks, der Medienkampagne, der Aufschreie der PolitikerInnen, der Vorstösse im Parlament bereits seinen Rücktritt eingereicht. Selbst der so harsch kritisierte Einsatz des kolumbianischen Drogendealers Ramos als V-Mann war legal - die Zuständigkeit für den Einsatz lag sowieso nicht bei Roschacher, sondern bei der Bundeskriminalpolizei. Und diese untersteht Christoph Blocher.
Der vergoldete Abgang
Von Anfang an war das Verhältnis zwischen Blocher, dem knallharten Kapitalisten und Wirtschaftsführer, und Roschacher, dem obersten Strafverfolger, der Wirtschaftskriminalität bekämpfen soll, erheblich gestört gewesen. Blocher wollte die Bundesanwaltschaft seinem EJPD unterstellen, Roschacher sah dadurch die Gewaltentrennung in Gefahr. Für seinen Abgang erhielt Roschacher vom Sparer Blocher, einem Feind von «goldenen Fallschirmen», die hohe Entschädigung von 600 000 Franken.
Roschacher war weg, die Ermittlungen gegen Holenweger liefen weiter. Anfang 2007 dehnte der Eidgenössische Untersuchungsrichter Ernst Roduner die Untersuchung sogar auf weitere Tatbestände aus.
Was Holenweger im März in Stuttgart wollte, ist unklar. Eine gut informierte Quelle vermutet, er habe dort einen Beamten des deutschen Landeskriminalamtes (LKA) ausfindig machen wollen, der von der Bundesanwaltschaft als V-Mann auf ihn angesetzt worden war. War auch das LKA in die Ermittlungen gegen Holenweger involviert? LKA und Stuttgarter Staatsanwaltschaft schweigen und verweisen an den Eidgenössischen Untersuchungsrichter Ernst Roduner. Warum Holenweger in Stuttgart einen ganzen Ordner Material mit sich schleppte, werden die Untersuchungen zeigen. Noch ist alles unklar.
Nervosität, Paranoia, Verschwörung - eine ähnliche Mischung kostete Roschacher den Kopf. Wie relevant sind also Holenwegers Akten? Absurde Skizzen oder Beweise für einen knallharten Plan? Und falls Plan: Wer initiierte ihn?
Empörte Bekannte
Filz ist nicht gleich Verschwörung. Doch wenn man Holenwegers Kontakte kennt, erstaunt die harsche Reaktion der SVP im Zusammenhang mit der Holenweger-Ermittlung nicht: Der mutmassliche Geldwäscher Oskar Holenweger bewegte sich seit je in der SVP-Elite. Er ging mit Silvia Blocher in die Schule und mit Christoph Blocher ins Militär. Später arbeitete er sich hoch in die Geschäftsleitung der Bank Vontobel und arbeitete dort zusammen mit dem SVP-nahen Banker Martin Ebner. SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli ist ein guter Freund Holenwegers. Mörgeli forderte in seiner Funktion als empörter Nationalrat und in diversen Zeitungskommentaren denn auch mehrmals Roschachers sofortigen Rücktritt. Der frühere «Cash»-Chefredaktor Markus Gisler, ebenfalls ein Freund Holenwegers, schrieb währenddessen scharfe Kommentare gegen Roschacher: «Holenweger - Justizskandal!»
Der angebliche Justizskandal war bis dato keiner. Vielleicht kommt jetzt einer.