Durch den Monat mit Mark Pieth (Teil 2): Gilt das Strafrecht für alle?

Nr. 41 –

WOZ: Mark Pieth, seit bald zwanzig Jahren beschäftigen Sie sich mit Wirtschaftskriminalität, obwohl Sie Strafverteidiger werden wollten. 
Wie kam es dazu?
Mark Pieth: Eigentlich wegen des Kopp-Skandals. Nachdem Bundesrätin Elisabeth Kopp gegangen war, suchte das Justizdepartement verzweifelt jemanden, der sich ums Geldwäschereigesetz kümmern konnte. Nach Kopps Abgang suchten sich die meisten ihrer Sachbearbeiter eine neue Stelle; die zuständige Abteilung war sozusagen verwaist. Ich blieb dann vier Jahre und beschäftigte mich mit all den Themen, die damals neu aufkamen, wie organisierte Kriminalität, Geldwäscherei, Korruption, Wirtschaftskriminalität.

Warum gilt eigentlich Werner K. Rey als Wirtschaftskrimineller, nicht aber Martin Ebner, der ebenfalls Hunderte von Kleinanlegern in den Ruin mitzog?
Rey wurde wegen Betrugs im grossen Stil verurteilt. Er war ein Emporkömmling. Interessant ist dabei, dass das 
Establishment – also zum Beispiel die Banken – ihm ab einem gewissen Punkt blind vertrauten, sich hinter ihn stellten und seine Delikte nicht wahrnahmen.

Und Ebner, Freund und Geschäftspartner von Christoph Blocher?
Da kann ich nur sagen: Es braucht zur Strafbarkeit immer einen Straftatbestand, einen Betrug oder, wie wir Juristen sagen, arglistige Täuschung. Wenn kein Straftatbestand vorliegt, kann man nicht gegen eine Person vorgehen. Das Beispiel des Swissair-Groundings lehrt, dass ein schlechter Manager nicht unbedingt ein Delinquent ist.

Also gilt das Strafrecht tatsächlich nur für die Kleinen und Dummen, wie es ein Kollege von Ihnen einmal formulierte?
Das sehe ich anders. Man muss das Rechtssystem als Ganzes sehen. Bei den grossen Fällen, mit denen ich mich beschäftigte, geht es um etwas anderes. Grosse Firmen wie Siemens oder 
British Aerospace – die beide in Bestechungsskandale verwickelt waren – fürchten sich nicht vor einer Busse. 
So reich, wie die sind, können sie selbst eine Busse von Hunderten von Millionen Franken locker wegstecken.

Wie bringt man ihnen dann das Fürchten bei?
Eine strafrechtliche Verurteilung kann dazu führen, dass solche Unternehmen von nationalen oder internationalen Gremien gesperrt werden. Dann erhalten sie keine öffentlichen Aufträge mehr. Wenn das passiert, können selbst reiche Konzerne ganz schnell kollabieren. Siemens muss sehr aufpassen, dass dies dem Unternehmen nicht passiert.

Zurück in die Schweiz: Bundesanwalt Valentin Roschacher wollte seine Behörde gigantisch ausbauen und versprach, unzählige Fälle von Wirtschaftskriminalität zur Anklage zu bringen – was ihm nicht gelang.
Tatsächlich präsentierte Roschacher Fantasiezahlen und weckte Erwartungen, die er nicht erfüllen konnte. Doch darf man nicht vergessen, was geschehen war: Mit der Aufwertung der Bundesanwaltschaft wurden den Kantonen Kompetenzen entzogen, wodurch enorm viel Know-how verloren ging.

Wozu braucht es überhaupt eine Bundesanwaltschaft?
In komplizierten Fällen, die diverse Kantone betreffen, ist es durchaus sinnvoll, wenn die Bundesanwaltschaft die Federführung hat, wie zum Beispiel im Fall Yukos.

Yukos – ein interessantes Stichwort: Yukos gehörte dem Oligarchen Michail Chodorkowski, der kaum mit anständiger Arbeit so reich wurde. Die russische Justiz enteignete ihn in einem unfairen Prozess und schickte ihn nach Sibirien. Soll nun die Bundesanwaltschaft für Gerechtigkeit sorgen?
Rechtlich besteht ein grosses Problem. Man darf in der Schweiz nur bei Delikten Rechtshilfe leisten, die auch hierzulande als Delikt gelten. Vielleicht hat Chodorkowski seinen Reichtum illegal erworben ... schwierig zu sagen. Doch selbst wenn Chodorkowski illegal gehandelt hat, kommt es darauf an, ob der Prozess gegen ihn fair war. Wenn nicht, darf die Schweiz keine Rechtshilfe leisten. Darf ich noch etwas anderes thematisieren?

Klar.
In jüngster Zeit bewege ich mich eher von der rein strafrechtlichen Ebene weg. Ich habe in Basel das «Institute 
on Governance» mitgegründet, das stark mit dem Privatsektor – zum Beispiel mit Banken oder Pensionskassen – zusammenarbeitet, um das Problem Geldwäscherei oder Korruption auch ausserhalb des Strafrechtes anzugehen.

Sie arbeiten ja auch in der Wolfsberg-Initiative mit. Aber darüber müssen wir wohl nächste Woche sprechen.

Mark Pieth (54) ist Strafrechtsprofessor in Basel, er arbeitete massgeblich an der Schweizer Gesetzgebung zur Geldwäscherei mit, präsidiert seit 1990 die OECD-Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von Korruption und ist Mitbegründer des Basel Institute on Governance.