Durch den Monat mit Mark Pieth (Teil 1): Was tut eigentlich die Bundesanwaltschaft?

Nr. 40 –

WOZ: Diese Woche hat das Parlament über das konfuse Spektakel rund um Bundesrat Blocher, Bundesanwalt Roschacher und die Geschäftsprüfungskommission (GPK) debattiert. Herr Pieth, Sie sind in der Schweiz der Experte für organisierte Kriminalität und Geldwäscherei und kennen deshalb die Bundesanwaltschaft bestens. Was halten Sie vom ganzen Trubel?
Mark Pieth: Ich war in der glücklichen Situation, dass ich – während sich die Geschichte entwickelte – in Spanien in den Ferien war.

Glücklich?
Ja, ich denke, es ist für die Sache besser, wenn man sich nicht auf die eine oder andere Person einschiesst ... es geht um etwas viel Grösseres.

Nämlich?
Um die Gewaltenteilung. Die Bundesanwaltschaft ist nicht irgendeine Staatsanwaltschaft, sie ist zuständig für politische Delikte oder für hoch politisierte Delikte. Oder anders ausgedrückt: um die Kriminalität der Mächtigen ... im Inland wie im Ausland. Und da stellt sich die zentrale Frage, wer die Aufsicht über diese Institution haben soll.

Zum Beispiel das Justizdepartement – wie es Bundesrat Blocher gerne hätte?
Wenn ich Bundesrat wäre, würde ich diese Aufgabe nicht übernehmen wollen.

Warum nicht?
Eine politische Behörde ist enorm erpressbar. Wenn zum Beispiel die Bundesanwaltschaft ausländische Gelder blockieren lässt, kommt meistens Druck von aussen. Dem Druck aus den USA widersteht die Regierung erfahrungsgemäss überhaupt nicht. Aber auch kleine Länder können Druck machen und drohen, sie würden in ihrem Land Schweizer Konzerne behindern, falls die Gelder nicht freigegeben würden. In solchen Auseinandersetzungen ist der Bundesrat enorm anfällig. Ist er jedoch für die Aufsicht der Bundesanwaltschaft gar nicht zuständig, kann er gelassen antworten: Wir haben die Gewaltenteilung und dürfen uns nicht einmischen.

Trotzdem will Blocher die Kontrolle über die Bundesanwaltschaft. Aus welchen Motiven?
Klar geht es ihm um die politische Kontrolle. Wie heikel das ist, sah man in Britannien: Da sitzt der Attorney General – der Chef aller Anklagebehörden, der vergleichbar ist mit dem Bundesanwalt – sogar im Kabinett. Beim Bestechungsskandal um British Aerospace liess zum Beispiel Regierungschef Tony Blair zusammen mit dem Attorney General das Verfahren einstellen, obwohl ein ganz konkreter Verdacht bestand, dass Bestechungsgelder in Höhe von zwei Milliarden Dollar geflossen waren. Inzwischen wurde zwar der Attorney General abgesetzt – aber es ist nicht ein Problem dieser Person, sondern der Struktur.

Was schlagen Sie vor?
Es gibt drei Möglichkeiten: Beispielsweise könnte das Parlament die Kontrolle übernehmen, es ist demokratisch legitimiert und in der Gewaltenteilung die höchste Gewalt.

Nur scheint die GPK in dieser Geschichte ziemlich überfordert.
Stimmt, weil sie wegen ihrer politischen Zusammensetzung auch nicht unabhängig agieren kann. Deshalb wäre die zweite Möglichkeit, dass man die Oberaufsicht der Justiz überlässt ... also konkret dem Bundesstrafgericht oder dem Bundesgericht. Nur ist das Bundesgericht eine Behörde, die kollektiv organisiert ist und sich schwer tut, eine gemeinsame Position zu entwickeln.

Was dann?
Man könnte einen unabhängigen Rat einrichten, wie ihn Italien kennt, den Consiglio della Magistratura. Die italienische Justiz hat die Berlusconi-Zeit nur unbeschadet überstanden, weil eben die Oberaufsicht bei diesem Rat und nicht bei der Regierung lag – wie das Berlusconi gerne gehabt hätte. Es ist ein Gremium von gestandenen Profis, das sich selbst reguliert und weder dem Parlament noch dem Obersten 
Gericht untersteht. Allenfalls müsste man sich noch fragen, wie die Mitglieder dieses Gremiums gewählt werden ... man könnte sie wie das Bundesgericht durchs Parlament wählen lassen.

Die Bundesanwaltschaft wurde
hierzulande vor allem wegen des Fichenskandals berühmt, aber darüber können wir nächste Woche sprechen. Was mich noch interessieren würde: Sie haben ursprünglich Archäologie und Geschichte studiert, weshalb wurden Sie am Ende Strafrechtler?
Ich studierte auch noch etwas Wirtschaftspolitik und kam irgendwann zum Schluss, dass alles zusammen nicht richtig aufgeht. Zu jener Zeit habe ich einige gute Juristen kennengelernt und beschloss, Strafverteidiger zu werden. Ich erzählte das einem Freund, dessen Vater Richter war. Dieser Freund lachte mich aus und sagte, Strafverteidiger sei gar kein Beruf. Und er hatte recht!

Wie bitte?
Das war in den siebziger Jahren, da herrschte juristisch gesehen eigentlich noch die Inquisition. In den Vorverfahren existierten kaum Verteidigungsrechte, die Anwälte konnten nicht viel mehr tun, als die Hand der Angeklagten zu halten ... deshalb gab es damals auch keine spezialisierten Strafverteidiger. Das hat sich zum Glück geändert.

Mark Pieth ist Strafrechtsprofessor in Basel, er arbeitete massgeblich an der Schweizer Gesetzgebung zur Geldwäscherei mit, war Mitglied des Komitees, das die Missbräuche des Programms «Oil for Food» der Uno im Irak untersuchte, präsidierte das Nationale Forschungsprogramm «Gewalt im Alltag – organisiertes Verbrechen» und ist seit 1990 Präsident der OECD-Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von Korruption.