Konkordanz: Zeitmaschine SVP

Nr. 43 –

Nach dem Sieg der SVP steht die Konkordanz auf dem Spiel - eine Schweizer Einrichtung zur Teilung der Macht, die einst den Klassenkampf beenden sollte.

Die SVP hat am rechten Rand aufgeräumt und sich je einen Sitz der Schweizer Demokraten und der EDU einverleibt. Zudem jagte sie der FDP noch einige Sitze ab - einer FDP, die vor allem in der Deutschschweiz nicht von der SVP zu unterscheiden ist.

Die CVP ihrerseits hat in den Kreisen der aufgeschlossenen FDP-WählerInnen gepunktet (Zürich, Solothurn und Wallis), der SP hat sie nur einen einzigen Sitz abgerungen (Schaffhausen). Die SP verlor vor allem an die Grünen und die Grünliberalen. Arithmetisch betrachtet ist also nicht so viel passiert. Die SVP hat - wie der Politologe Hanspeter Kriesi feststellte - ihr WählerInnenpotenzial mehr oder weniger ausgeschöpft. Die Mitte wurde stärker.

Nur entspricht das nicht dem Gefühl, das einen als Linke die letzten Tage begleitet. Das Gefühl, gelähmt im Nebel herumzuirren. Am zweiten Tag nach den Wahlen war der Tenor in den Medien, die SP müsse nun halt «endlich die heiklen Tabuthemen» angehen. Die Medien meinten das «Ausländerproblem» und die «Jugendkriminalität». Zu Problemen, die die SVP mit viel Geld propagandamässig aufgebaut hat, werden linke Lösungen gefordert. Mit Verlaub: Die SVP zu umarmen bringt nur Verluste, das hat die FDP bereits erfahren.

Der härteste Wahlkampf, den die Schweiz seit Jahren erlebt hat, entfaltet Wirkung. Selbst Radio DRS bezeichnete den SVP-Wahlkampf als den «einzig professionellen». War es nicht vielmehr der einzig respektlose, demagogische und diffamierende? «Mich erinnert dieser Wahlkampf fatal an das Wahljahr 1930 in Deutschland, als eine Partei mit modernsten Methoden die Modernisierungsängste der Menschen instrumentalisierte, unterstützt von einem Medienmillionär, Omnipräsenz markieren und dadurch ihren WählerInnenanteil künstlich aufblasen konnte, zum Schaden der Demokratie», konstatiert die Historikerin Anne Gurzeler.

Niemand behauptet, die SVP sei faschistisch. Aber sie versucht, die Zeit zurückzudrehen - zurück vor den Zweiten Weltkrieg, als es noch keine Invalidenversicherung, keine Altersvorsorge, keine obligatorische Krankenversicherung, keinen Schutz für Flüchtlinge, kein Frauenstimmrecht gab.

Errungenschaften, die die Linke hart erkämpfen musste. Die oft zitierte Konkordanz hat historisch gesehen viel mit dem Klassenkampf zu tun: Am Ende des Ersten Weltkriegs lebte ein beachtlicher Teil der Schweizer Bevölkerung in extremer Armut, die Arbeitsbedingungen waren mies, die Löhne tief, die Teuerung hoch. In dieser Misere organisierte sich die Arbeiterschaft und versuchte ihre Forderungen im November 1918 im Landesstreik durchzusetzen. Sie verlangte unter anderem das Frauenstimmrecht, die Einführung der AHV, der IV und der 48-Stunden-Woche sowie das Proporzwahlsystem für den Nationalrat - denn ohne Proporz hatte die Opposition keine Chance, ins eidgenössische Parlament einzuziehen. Der Bundesrat, der damals nur mit Radikalen (FDP) und Katholiken (CVP) besetzt war, setzte das Militär gegen die Streikenden ein. Es kam zu Toten. Alle Forderungen wurden jedoch im Laufe der Zeit umgesetzt, auch wenn es wie beim Frauenstimmrecht Jahrzehnte dauerte.

Wenige Monate vor dem Generalstreik wurde die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB, aus der später die SVP hervorging) gegründet. Sie kämpfte zwar gegen «die Auswüchse des Kapitalismus» und gegen das «Grosskapital», verstand sich aber vor allem als Bollwerk gegen «linke, sozialistische und subversive Elemente» und präsentierte sich während des Landesstreiks als «stärkste Stütze» des Bundesrates. Das wurde der BGB dann auch verdankt; 1929 durfte sie in den Bundesrat einziehen. Die SP, die sich - unter anderem wegen des erstarkenden Faschismus - zunehmend moderater verhielt, musste jedoch bis Anfang der vierziger Jahre warten, bis sie ihren ersten Bundesrat erhielt. Damit war die Konkordanz, von der wir heute sprechen, geboren. Eine Konkordanz, die darauf beruht, die Macht in der Regierung zu teilen. Genau das will die SVP nicht - auch wenn sich SVP-Präsident Ueli Maurer im Moment handzahm gebärdet. Die SVP will die SP draussen haben oder zumindest in unwichtige Departemente abdrängen. Gleichzeitig stellt sie alle sozialen Errungenschaften zur Disposition. Sie will in die Schweiz der zwanziger Jahre zurück.

Es geht also um mehr als um Politstil. Ob realistisch oder nicht: Einzelne SP-ParlamentarierInnen wie Andreas Gross - und die gesamten Grünen - fordern immer noch die Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat. Weil es eben mit Blocher gar keine Konkordanz geben kann. Mitte-links wäre auch jetzt noch in der Lage, Blocher abzuwählen. Allerdings braucht es inzwischen Mut, laut darüber nachzudenken. Nicht darüber zu reden, würde bedeuten, sich freiwillig in eine geistige Geiselhaft zu begeben.