Daniele Jenni (1948 - 2007): Auf den wunden Punkt
Kurz vor Weihnachten ist der unermüdliche Berner Anwalt und Politiker überraschend gestorben.
Anfang Dezember gewann Daniele Jenni seinen letzten Prozess. In Basel verteidigte er vor dem Strafgericht fünfzehn Wef-GegnerInnen, die 2005 in der Basler Innenstadt von der Polizei eingekesselt, verhaftet und mit bis zu tausend Franken gebüsst worden waren. Das Verfahren endete mit einem Freispruch für alle Beschuldigten.
Zwei Wochen später, am 21. Dezember, verlor der Anwalt und Berner Stadtparlamentarier seinen Kampf gegen den Krebs. Er starb im Alter von 58 Jahren. Nur wenige hatten überhaupt gewusst, dass er schwer erkrankt war. Jenni habe seine Person nie in den Vordergrund gestellt, sagt Luzius Theiler, langjähriger politischer Weggefährte Jennis in der kleinen Grünen Partei Bern - Demokratische Alternative. Über seinen Gesundheitszustand habe er denn auch ungern gesprochen, bei diesbezüglichen Fragen sogar unwirsch reagiert.
An einer kirchlichen Abdankungsfeier nahmen 600 Trauernde teil, Hunderte beteiligten sich an einem Gedenkumzug im Rahmen der sonntäglichen Gassenküche und am Abschiedsfest im Dachstock der Reitschule (vgl. Text unten). Eishockeyfans von Ambrí-Piotta würdigten Daniele Jenni an einem Auswärtsspiel mit Applaus und einem Abschiedstransparent. Und an Berns Wänden ist bereits Jennis Konterfei als Schablonengraffito zu finden.
Für den Reitschulaktivisten David Böhner kommt die grosse Betroffenheit vieler Menschen nach Jennis Tod nicht überraschend. Daniele sei eine Integrationsfigur mit vielfältigen Kontakten von der ausserparlamentarischen Opposition bis hinein in die Grüne Partei der Schweiz gewesen. Seine zuvorkommende und respektvolle Art sei weitherum geschätzt worden. «Daniele ist sich immer treu geblieben und hat mit Kontinuität seine Anliegen gradlinig vertreten, politisch wie auch juristisch», sagt Böhner. Diese inhaltliche Konsequenz hebt auch Luzius Theiler hervor: «Daniele liess sich nicht beeinflussen durch Zeitgeisterscheinungen, Opportunitäten oder Karrierechancen, kämpfte auch alleine, wenn es sein musste.»
Noch im Juni war der «nimmermüden kritischen Stimme Berns» («Basler Zeitung») beinahe ein grosser Coup gelungen. Als bekanntester Exponent des kleinen Komitees Gegen Euro-08-Diktat bekämpfte er den städtischen Euro-08-Kredit und blamierte das gesamte Berner Polit- und Wirtschaftsestablishment. Fast 48 Prozent der StimmbürgerInnen folgten seiner Neinparole. Jenni hatte die öffentliche Finanzierung des Kommerzanlasses kritisiert und von einer «Festung Bern» gewarnt. «Durch die Euro wird der öffentliche Raum privatisiert. Leute, die nicht ins Bild passen, müssen weg», sagte Jenni in einem Interview mit dem «Bund» vor der Abstimmung.
Überhaupt hat sich Daniele Jenni vor allem einen Namen mit der Verteidigung der Grundrechte sogenannt Randständiger gemacht. Dafür setzte er sich unermüdlich und vielfältig ein; als Politiker im Stadtparlament, als Bürger auf der Strasse und als Anwalt in den Gerichtssälen. Wenn es um Grundrechte ging, liess er sich nicht auf Kompromisse ein. Ein FDP-Parlamentarier im Stadtrat nannte ihn deswegen einen «Grundrechtepapst», eine Bezeichnung, der sich die Lokalpresse fortan gerne bediente.
So bekämpfte Jenni beispielsweise von Anfang an das neue kantonale Polizeigesetz, das als erstes in der Schweiz einen Wegweisungsartikel enthielt. Zunächst beteiligte er sich am autonomen Referendumskomitee, nach dem Achtungserfolg an der Urne (35 Prozent Neinstimmen) versuchte er die Wegweisungen «Randständiger» im Stadtrat und vor den Gerichten zu stoppen. Schliesslich gelangte er damit bis vor Bundesgericht. Dieses schränkte in der Folge die polizeilichen Wegweisungsbefugnisse ein. Es stellte klar, dass sich Weggewiesene weiterhin in den entsprechenden Gebieten aufhalten dürfen - auch in Gruppen. Verboten sei ihnen lediglich die Ausübung derjenigen störenden Tätigkeit, aufgrund welcher sie überhaupt weggewiesen worden seien.
Noch wenige Tage vor seinem Tod nahm Daniele Jenni, sichtlich geschwächt, an einer Sitzung zur Vorbereitung eines Referendums gegen das Bahnhofreglement teil. Dieses Gesetz sieht ein Bettelverbot und die Ahndung von «ungebührlichem Verhalten» durch private Sicherheitskräfte vor (siehe WOZ Nr. 48/07). Eine Bahnhofordnung des ehemaligen Polizeidirektors Kurt Wasserfallen hatte Jenni bereits früher juristisch zu Fall gebracht.
Als «brillanter Jurist» wird Jenni denn auch in einer Medienmitteilung von Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP) gewürdigt: «Wo Daniele Jenni Beschwerde führte, tat die Gegenseite gut daran, seine Argumente ernst zu nehmen, denn sie waren selten ganz falsch und zielten oft direkt auf den wunden Punkt.» Simone Rebmann, die fünf Jahre in Jennis Kanzlei gearbeitet hat, geht da noch einen Schritt weiter: «Daniele kannte verschiedenste Reglemente mindestens so gut wie die Juristen in der Stadtverwaltung.» Er habe eine erstaunliche Auffassungsgabe gehabt und sei eine wandelnde Enzyklopädie gewesen, habe über schier unglaubliches Wissen und einen langjährigen Erfahrungsschatz verfügt. Wichtig sei sein niederschwelliges Angebot für Hilfesuchende gewesen. Seine Kanzlei sei für alle offen gestanden, so dass sich viele unkompliziert und ohne Termin hätten beraten lassen können. «Daniele nahm den Anspruch aller Menschen auf rechtliches Gehör sehr ernst. Fand er ein Anliegen wichtig, übernahm er den Fall, auch wenn der betroffenen Person die nötigen Mittel fehlten», sagt Rebmann.
Seine juristischen Fähigkeiten konnte Jenni mitunter auch in der Legislative einsetzen. Als Mitglied der Rechtskommission des kantonalen Parlaments prägte er den Grundrechtsteil in der neuen Berner Verfassung. Darin steht explizit, dass Private, wenn sie öffentliche Aufträge erfüllen, an die Grundrechte gebunden sind. Dieser Grundsatz wird inzwischen auch in der Lehre zur schweizerischen Verfassung vertreten.
Neben den Grundrechten setzte sich der «radikalgrüne Störenfried» («Bund») für die Umwelt ein. Er war Mitbegründer der Demokratischen Alternative, der ersten Grünen Partei der Deutschschweiz. Grünflächen waren Jenni heilig, und er bekämpfte Neubauten von Wohnungen der gehobenen Preisklasse ebenso wie Einkaufszentren, die er als «Konsumtempel» bezeichnete. Jenni setzte sich für erschwinglichen Wohnraum und für den Erhalt alternativer Kulturprojekte ein. Es sei möglich, eine Vierzimmerwohnung für 800 Franken Miete anbieten zu können, behauptete er. Seine politischen Kontrahenten lachten darüber, Baufachleute hielten dieses Ziel jedoch nicht für unrealistisch - falls der politische Wille dafür vorhanden wäre.
Häufig wurde Jennis Konsequenz als Sturheit interpretiert - auch im linken Lager. Nachdem er 2004 für den Gemeinderat und das Stadtpräsidium kandidiert hatte, schloss ihn die Parteileitung des Grünen Bündnisses (GB) aus der gemeinsamen Fraktion aus. Mit seiner Kandidatur habe er die Wahl der GB-Kandidatin Regula Rytz gefährdet, so die Begründung. Jennis ehemalige Stadtratskollegin Catherine Weber (GB) ist sich sicher, dass ihn solche Ausgrenzungsversuche schwer getroffen haben: «Als Vollblutpolitiker konnte er fortan sein breites Sachwissen nicht mehr in die Kommissionen einbringen.»
Die Angriffe aus dem eigenen Lager sollten noch heftiger werden. Als Sprecher des Komitees Schwarzes Schaf wurde Jenni für die Krawalle anlässlich des SVP-Marsches auf Bern vom 6. Oktober 2007 verantwortlich gemacht, obwohl er lediglich zu einer friedlichen Platzkundgebung auf dem Münsterplatz aufgerufen hatte. Der Präsident der städtischen Grünen Freien Liste (GFL) unterstellte ihm, er habe die Gewalt auf dem Bundesplatz «insgeheim begrüsst». Die GFL beantragte den Ausschluss Jennis aus der Grünen Partei der Schweiz. «Das ist stalinistische Gesinnungsjustiz», erwiderte der Angeschuldigte lapidar. Die Delegiertenversammlung der Grünen Partei lehnte den Antrag der GFL ab und würdigte stattdessen Jennis jahrelanges Engagement.
Die Lokalmedien nannten Jenni nun nicht mehr Grundrechtepapst, sondern Brandstifter und Talibanfürst. «Die Art und Weise, wie in dieser Zeit von allen Seiten auf ihm rumgeprügelt wurde, muss ihm zu schaffen gemacht haben - auch gesundheitlich», sagt Catherine Weber. «Er selber hat nie Feindbilder gepflegt.» Wer sich zu dieser Zeit nach Jennis Befinden erkundete, wurde beruhigt: «Das bin ich mich gewohnt», sagte Jenni jeweils, bevor er wieder zur Sache kam.