Zwischen den Geschlechtern: Jenseits von beidem

Nr. 13 –

Frauen mit falschen Bärten, Männer mit falschen Brüsten und roten Mündern: Worum geht es Menschen, die mit Geschlechteridentitäten spielen? Und wie politisch ist das Ganze?

«Schon als Kind habe ich die Erwartungen an meinen Körper abgelehnt», sagt Pepp Suzette. «Ich wollte nicht hart sein, und Fussball mochte ich gar nicht - Gummitwist dagegen sehr.» Rolf kommt aus Zürich und lebt in Berlin. Pepp Suzette heisst er, wenn er auf der Bühne steht, ein schrilles, uneindeutiges Wesen, er nennt es «Trash-Tunte». «Im Unterschied zur klassischen Tunte, die möglichst perfekt eine schöne Frau imitiert, bleiben bei der Trash-Tunte Brüche sichtbar, sie hat etwas Punkiges.»

Rolf sitzt an diesem Samstagabend Mitte März auf einem Sofa des Frauenraumes der Berner Reitschule. «Queerrage» heisst der Anlass des Abends, ein Karneval der uneindeutigen Geschlechter. Der Flyer lädt «zweifelhafte Transzwitter», «suspekte Sumpfbadenixen», «beeindruckende Schwächlinge» und «schwarzfahrende Schwanzlutscher» ein. Auch Pepp Suzette wird heute Abend auftreten. In einem kurzen Nachthemd mit rosa Rosen und einer prächtigen Spitzenunterhose, mit rot geschminkten Lippen und einem weissen Turban sieht sie aus wie eine Mischung aus einer Hausangestellten, die sich in der Putzkammer heimlich verkleidet, und einem traurigen Clown. Traurig ist auch ihr Lied, es handelt von einem betrügerischen Liebhaber.

Viel zu selbstbezogen

Queer ist ein Schimpfwort, ursprünglich. Für Lesben, Schwule, Bisexuelle, TransvestitInnen und andere, die den Vorstellungen bürgerlicher Sexualmoral nicht entsprechen. In den US-Grossstädten entstanden in den achtziger und frühen neunziger Jahren neue Bündnisse aus diesen Gruppen. Alle waren sie von Aids betroffen - und von der Politik christlicher FundamentalistInnen, die die Krankheit als Strafe Gottes für unmoralisches Verhalten darstellten. Die Queer eigneten sich das Schimpfwort an und nannten sich stolz selber so. Forderungen nach dem Recht auf «perverse» Sexualpraktiken, Geschlechterwechsel oder eine Identität zwischen den Geschlechtern standen dabei im Zentrum. Heute gibt es queere Subkulturen, Kunst- und Partyszenen von New York bis Tel Aviv, Zürich bis Bangkok. Gleichzeitig und oft in Verbindung mit der Partykultur hat sich an den Universitäten die «Queer Theory» entwickelt.

Bis heute gibt es keine allgemein anerkannte Definition für «queer» - das Fliessende, Uneindeutige, das mit dem Wort verbunden ist, lässt das auch nicht zu. Für Rolf gehört das Politische zwingend zu «queer»: als Abgrenzung zur entpolitisierten Mainstream-Schwulenszene. «Die Zeit der Gay Liberation, als sich Schwule und Feministinnen zusammen organisierten, ist schon lange vorbei. Die Schwulenszene ist immer selbstbezogener geworden, parallel zur Entpolitisierung wurde der Körperkult immer wichtiger. Und eine gewisse Tuntenfeindlichkeit kam auf. Pepp Suzette ist auch eine Reaktion auf das.»

Rosa Block statt schwarzer

Queeraktivismus betreibt zum Beispiel der Pink Block, der erstmals an den grossen Antiglobalisierungsdemos der Jahrtausendwende auftrat: Rosarot und glitzernd gekleidete, trommelnde und Samba tanzende Tunten und Prinzessinnen sorgten unter den traditionell schwarz gewandeten Linksradikalen für Verwirrung. Rolf war eine Zeit lang in einer Schweizer Pink-Block-Gruppe. «Wir wendeten uns gegen das Harte, Aggressive, den Männlichkeitskult dieser Szene. In Zürich gab es auch eine queere Hausbesetzung. Das war ein lustiges Experiment.»

Rolf wollte nie eine Frau sein. Auf der Bühne ist er Pepp Suzette, im Alltag ein schwuler Mann. «Manchmal bin ich neidisch auf Frauen, weil sie Objekt der Begierde von Männern sind, die ich begehre. Aber diese Männer begehren mich auch nicht, wenn ich ein Frauenkleid anziehe. Ich habs schon probiert, es nützt nichts.» Er lacht los.

Die Wonnen der Menstruation

Für Viola und LCavaliero gibt es diese klare Unterscheidung zwischen Bühne und Alltag nicht. LCavaliero ist klein und punkig, als Mädchen geboren, sie bezeichnet sich aber auf der eigenen Website als männlich. Viola heisst bürgerlich Thomas, ist gross und feingliedrig und hat lockiges Haar. Beide leben in Berlin und treten in queeren Performances auf, LCavaliero mit der Gruppe Spicy Tigers on Speed, Viola häufig solo. «Unser Ziel ist es, politische Performances zu machen, einen Inhalt mit einer Botschaft zu vermitteln», sagt sie. LCavaliero ergänzt: «Wir machen Rollen sichtbar, um sie hinterher zu zerstören. Wir benutzen die Vorstellungen von Geschlecht, die die Leute in den Köpfen haben, und weiten sie dann aus oder ändern sie auf eine komische Weise ab.»

Beide haben sich mit feministischen und Queertheorien beschäftigt und wollen deren Inhalte auch auf der Bühne umsetzen: «Es gibt kein biologisches Geschlecht. Geschlecht ist nicht an Körper gebunden, sondern dadurch, wie man sich verhält, wie man spricht, wie man aufwächst, mit welchen Leuten man kommuniziert, stellt man Geschlecht immer wieder her», fasst LCavaliero seine Überzeugung zusammen. Aber es gibt doch männliche und weibliche Körper? «Ja», räumt Viola ein. «Ich zum Beispiel werde in meinem ganzen Leben niemals die Wonnen oder Härten der Menstruation erleben - aber es gibt ja auch Frauen, die nicht menstruieren.» Anderes lasse sich durchaus verändern, etwa Sex. Sie erzählt von einem Bekannten, der mit einem imaginären Penis Lust empfinde. «Was als erogene Zone gilt und was als Sex definiert ist, lässt sich aufbrechen.»

Später am Abend zeigen die beiden auf der Bühne, was sie damit meinen: Viola spielt Dieter, einen verklemmten Bankangestellten, der sexuelle Erfüllung dank eines Kopfmassagegeräts findet - die Szene, in der er seinen Angebeteten, den jungen Punk LCavaliero, mit Massage verführt, ist gleichzeitig berührend und zum Schreien komisch.

Taucheranzug und Perlenkette

Doch vorerst sind die PerformerInnen noch in der Garderobe versammelt. Überall wird geschminkt und gestylt, Kameras klicken, Geschlechter verwandeln sich. Rasierter Schädel, nackte, haarige Beine und Stöckelschuhe. Bart, Taucheranzug und Perlenketten. Nietengürtel und rosa Tutu. Die Bernerin wird mit wenigen Handgriffen zum Hip-Hop-Macker. Der Salonlöwe mit dem elegant getrimmten blonden Bart war vor einer Stunde noch eine unauffällige junge Frau.

LCavaliero und Viola leben in einer Welt, in der Uneindeutigkeit normal ist. LCavaliero: «Wenn man jemanden auszieht, ist oft etwas ganz anderes drunter, als man erwartet hätte.» Viola: «Ich war mit einem Transmann zusammen, der aber nicht operiert ist, also keinen Penis hat. Er lebt als Mann, hat aber nicht den Körper, den ich erwartet hätte. Ich war von der Situation überfordert, aber gerade solche neuen Erfahrungen motivieren mich.» LCavaliero beschreibt eine Szene in der Herrenabteilung eines Schuhladens: «Die beiden Verkäuferinnen haben sich über mich unterhalten. Die eine hat immer von 'er' und die andere von 'sie' gesprochen. Die haben das aber nicht gemerkt. Das ist eigentlich genau, wie es sein soll.» Doch wenn LCavaliero wieder zurückgeht in die süddeutsche Heimatstadt, «bin ich wieder die 'junge Dame'. Alles ist definiert und zugeschrieben. Berlin erlebe ich im Gegensatz dazu als totale Befreiung.» In der Szene selbst kann es dennoch zu eng werden. «Manchmal hätte ich eigentlich mehr Bock, vor Leuten aufzutreten, die nicht alles schon wissen», sagt Viola. Sie denkt darüber nach, im Jugendclub der brandenburgischen Kleinstadt aufzutreten, in der sie aufgewachsen ist. «Aber käme da überhaupt jemand? Und vielleicht kämen Nazis ... da gibts dann schon mehr Ängste. In Berlin fühle ich mich halt auch sicher.» Trotzdem: Die Frage «Bist du ein Mann oder eine Frau?» kann immer noch bedrohlich werden. Übergriffe auf uneindeutige Menschen gibt es auch in Berlin.

Mit den Brüsten wackeln

Das Entstehen der Queerszene sorgte für Kontroversen. Viele Feministinnen empfanden die Ablehnung der Kategorie Frau als Provokation. Lesben, die sich als Transgender outeten, fühlten sich ausgegrenzt. Manche feministischen Intellektuellen äussern sich auch heute noch kritisch. Die scheinbare Auflösung der Geschlechter führe zur Zementierung von Klischees, schreibt etwa die feministische Soziologin Beate Selders: «Der Satz: 'Ich fühle mich wie eine Frau', zum Beispiel von einem Mann-zu-Frau-Transsexuellen gesprochen, setzt voraus, dass es ein spezifisch weibliches Fühlen gibt, und bestätigt die gesellschaftliche Vorstellung davon. (...) Die Klischees, die (männliche) Transvestiten in ihren Aussagen und in ihrem Outfit reproduzieren, um sich als Frauen darstellen zu können, werden von Frauen oft regelrecht als Beleidigung empfunden.» Letzterem stimmt Viola zu: «Es gibt Tuntenperformances, die ich echt widerlich finde. Weil diese Tunten einen unmöglichen Umgang mit weiblichen Körperteilen haben. Es gibt in Berlin eine, die sich andauernd an die Brüste greift und damit rumwackelt. Sehr klischeehaft.»

Sie spricht einen weiteren Kritikpunkt an: «Es heisst manchmal, dass wir dem Kapitalismus in die Hände spielen, indem wir dafür sorgen, dass die Leute ihr ganz persönliches Geschlechterbild bauen und so ihre eigene Marke werden. Vielleicht stimmt das auch. Ich weiss es nicht. Aber ich weiss, dass Kultur etwas total Bedeutsames ist, mit dem man viele Leute erreichen kann. Film oder Theater berühren mich viel stärker als ein Flugblatt, auf dem steht: 'Kapitalismus ist Scheisse.'»

Bei ihrem Soloauftritt ist Viola gepudert und trägt ein glamouröses Spitzenkleid. Nach einer Weile zieht sie eine Perücke aus dem Dekolleté - da verschwindet die letzte Andeutung von Busen. Der violette Dildo, den sie sich wenig später umschnallt, löst das Bild der perfekten Frau weiter auf. Doch trotz der Parodie wirkt das Ganze nie lächerlich. Viola respektiert die Figur, die sie darstellt; sie verrät sie nicht.

Im falschen Zimmer

Julie aus Bern steht im Publikum. Das Thema, um das es heute Abend geht, beschäftigt sie seit langem. Eigentlich schon immer. «Ich war als Kind nicht klar erkennbar. Ich sah nicht eindeutig aus.» Das konnte bedeuten, im Ferienlager den Schlafplatz zu suchen und zu hören: «Geh weg, dieses Zimmer ist für Mädchen.» «Die Zugehörigkeit zu den 'Mädchen' war wie ein Kleid, das ich gern getragen hätte, das aber einfach nicht passte», meint Julie. Dass sie am liebsten Bücher las und in der Schule die Beste war, trennte sie zusätzlich von den anderen.

Dem Gefühl von Ambivalenz zu folgen, machte die Dinge kompliziert. Das fing beim Anziehen an: Wie sollte sie sich kleiden? Uneindeutig, wie sie sich fühlte? Damit zog sie irritierte Blicke auf sich. Oder wie eine «richtige Frau»? Das kam ihr fast wie Verrat vor. «Heute habe ich ein instrumentelles Verhältnis zum Aussehen. Ich ziehe mich manchmal 'als Frau' an und nutze diese Eindeutigkeit, um weiterzukommen, um Kraft zu sparen. Erst jetzt, wo ich die lang ersehnte Zugehörigkeit erlebe, kann ich mich gezielt darüber hinausbewegen, das Kleid zurückweisen.» Wie es als Mann wäre, hat Julie kürzlich in einem Drag-King-Workshop erlebt: «Wir übten, uns wie Männer zu bewegen, und lernten perfekte Bärte machen.» Dann gingen sie zusammen in die Stadt. «Es ist faszinierend, zu erfahren, wie die Leute auf eine Gruppe junger Männer reagieren. Sie weichen einem aus, schauen zum Teil auch weg, und du erhältst viel mehr Beachtung, wenn du ein Lokal betrittst. Es war eine spannende Erfahrung. Aber daran ist zunächst wenig Subversives, zumindest nicht, wenn die Verkleidung so perfekt ist, dass sie unerkannt bleibt.»

Zur Queerszene hat Julie ein gespaltenes Verhältnis. «Queer wendet sich ja eigentlich gegen normative Zwänge, aber die Szene produziert neuen Ausschluss, es gibt strenge Codes bezüglich Aussehen und Verhalten. Die Partys können sicher für Einzelne befreiend sein, aber Partys sind nicht genug. Selbst wenn du es schaffst, ein total queeres Leben zu führen, spürst du den Geschlechterunterschied spätestens, wenn du den Lohn vergleichst.»

Ohne die Auseinandersetzungen über die Verteilung von Ressourcen, ohne Veränderung der politischen Verhältnisse geht es nicht. Davon ist Julie überzeugt. An den Diskussionen im Transsexuellenumfeld stört sie, dass sich vieles um Individuelles dreht: «Es geht doch um Strukturen. Gesellschaftliche Kampffelder sind nicht individuell lösbar.»

Julie hatte nie das Gefühl, als Mann wäre es einfacher. «Ich fühle mich nicht 'im falschen Körper'. Ich will keinen anderen. Ich will überhaupt keine traditionelle Geschlechtsidentität, sondern etwas jenseits davon. Heute erlebe ich das Dazwischen als Befreiung, als bewusst gewählte Position. Die Sichtbarkeit von nicht eindeutigen Identitäten verwirrt und kann so zu Veränderung führen.»

Draussen stürmt es.