Immobiliencrash: Profit City, España
In Spanien leben 85 Prozent der Bevölkerung in eigenen Häusern oder Eigentumswohnungen. Diese verlieren ständig an Wert. Und die Hypothekarzinsen steigen.
«Ich bin erst vor fünf Monaten eingezogen, und mein Appartement ist jetzt schon dreizehn Prozent weniger wert als das, was ich in den nächsten dreissig Jahren dafür bezahlen muss.» Alfonso Pérez, Angestellter der Werbegruppe Publipress Media, war tatsächlich davon überzeugt, dass er bei einem Preis von 280 000 Euro für seine Zweizimmerwohnung im neuen Madrider Stadtviertel Pau de Vallecas einen Gelegenheitskauf getätigt habe. Und dass «die Preise nie sinken werden». Jetzt haben seine neuen Nachbarn für eine gleich grosse Wohnung 36 400 Euro weniger bezahlt - und Pérez bleibt nur ein Trost: Er ist in der Lage, seine Hypothek zu finanzieren. Zumindest im Moment noch.
Nach zehn Jahren steten Wertzuwachses und Preisanstiegs hat auf dem spanischen Immobilienmarkt die Wende eingesetzt. Jahrelang gab es einen regelrechten Run auf Wohnimmobilien. In Spanien wurde mehr Wohnraum gebaut als in Deutschland, Frankreich und Italien zusammen. Dieses und nächstes Jahr kommen vermutlich über eine Million neuer Wohneinheiten auf den Markt. Dabei besteht schon jetzt ein enormer Überschuss.
Guillermo Chicote, Vorsitzender der Vereinigung spanischer Bauträger und Bauunternehmen (APCE), geht davon aus, dass derzeit rund 750 000 neu gebaute Wohnungen keine Käufer finden. Wie viele alte Wohnungen und Häuser noch dazukommen, kann niemand sagen, nur dass ihre Zahl von Tag zu Tag wächst. Deswegen glaubt Chicote auch nicht mehr an einen sanften Rückgang der Preise, von dem die Regierung spricht. Er rechnet mit einem Crash.
Vor einem Jahr hatte noch kaum jemand an so etwas gedacht. Sowohl die APCE als auch diverse Maklervereinigungen und die sozialdemokratische Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero behaupteten immer wieder, dass die Immobilienpreise höchstens stagnieren, aber niemals sinken würden. Die Nachfrage sei auf mittlere und lange Sicht durch Immigration, kleinere Familien und die Eingliederung der Frauen in den Arbeitsmarkt gesichert. Alfonso Pérez hat das geglaubt und wohnt jetzt in einer überteuerten Wohnung.
Ein Land voller InvestorInnen
Parallel zum Immobilienboom ist die Bevölkerungszahl Spaniens in den letzten Jahren enorm gestiegen, vor allem wegen der Migration. Aber das allein erklärt nicht, warum das Land in einen regelrechten Immobilienrausch geriet. Die Zinsen waren niedrig und lagen zeitweise unter der Inflationsrate. In ein Eigenheim zu investieren, galt als sichere Geldanlage. Und dann wollten plötzlich alle auf einen Zug aufspringen, der bei einem Gewinnzuwachs von zwanzig Prozent pro Jahr schnelles Geld versprach. Auch die Banken sahen es so und gewährten Hypotheken von bis zu 120 Prozent des Kaufpreises. Selbst wer keinen Arbeitsvertrag hatte und sich mit drei Gelegenheitsjobs durchschlug, fand problemlos ein Kreditinstitut zur Finanzierung seiner Wohnung. Viele kauften gleich eine zweite Immobilie und verkauften sie nach der Fertigstellung (rund eineinhalb Jahre später) mit einem Gewinnzuwachs von bis zu dreissig Prozent.
Der Ansturm trieb die Preise weiter in die Höhe. «Wohnraum ist in Spanien teuer geworden, weil die Bevölkerung die hohen Preise bezahlt», sagte 2002 der damalige Bauminister Francisco Álvarez Cascos. Der Satz klang damals etwas zynisch, aber ganz unrecht hatte der rechtskonservative Politiker nicht. Vor allem in den grösseren Städten und an der Mittelmeerküste sind die Preise innerhalb von zehn Jahren ums Drei- und Vierfache gestiegen.
Und weil alle kauften, waren auch Megabauprojekte wie El Quiñón im Süden von Madrid möglich. In der Nähe der Kleinstadt Seseña plant dort der Bauunternehmer Francisco Hernando seit fünf Jahren den Bau einer Siedlung mit insgesamt 13 500 Wohnungen. Seseña selber hat 14 500 EinwohnerInnen, und was eine ganz neue Stadt werden sollte, ist nun zum Inbegriff des spanischen Immobilienfiaskos geworden. Bislang wurden rund 2500 Wohnungen fertiggestellt, weitere 2500 befinden sich im Bau. Aber nur 750 Menschen leben in den Riesenblocks, und es sieht nicht so aus, als würden es bald mehr. Der Name der Siedlung, El Quiñón (Der Gewinnanteil), zeigt schon an, worum es hier ging: Die Käufer kauften die Wohnungen nicht, um darin zu leben. Sondern um von ihnen zu leben.
Heute bewegt sich in El Quiñón vor allem eins: die vielen «Se vende»- und «Se alquila»-Plakate, die vor den Balkonen im Wind hin und her flattern. Jeden Tag werden von Privatpersonen, die sich bis über den Kopf verschuldet haben, neue Wohnungen angeboten. Aber wer will schon in einer Schlafstadt leben, in der es keinen öffentlichen Nahverkehr, kein Lebensmittelgeschäft, kein Restaurant gibt? Nur eine einzige Bar hat bisher geöffnet, und sie verkauft auch Brot. Für alles andere muss man elf Kilometer mit dem Auto fahren.
Den Bau von weiteren geplanten 8500 Wohnungen in El Quiñón hat Bauunternehmer Hernando inzwischen verschoben. Auch ihm fehlt das Geld, und statt Wohnungen muss er Teile aus seinem Privatvermögen verkaufen - wie Hubschrauber, Jachten, luxuriöse Autos - , um seine Schulden abzubauen. Das erscheint im Nachhinein wie ein kleiner Sieg für Manuel Fuentes, den Bürgermeister von Seseña, welcher der Vereinten Linken IU angehört. Fuentes war von Anfang an gegen das Projekt gewesen: «Keine Gemeinde kann einen derart schnellen und extremen Bevölkerungszuwachs verkraften. Es gibt weder genug Wasser noch die nötige Infrastruktur», sagt er. Nach diversen Prozessen hat der Gemeinderat bisher auch nur 5000 Wohnungen bewilligt. Und der Kampf des kleinen linken Bürgermeisters gegen den grossen und mächtigen Bauunternehmer hat der IU bei den letzten Gemeinderatswahlen im Mai 2007 einen deutlichen Stimmenzuwachs beschert: Fuentes erhielt sechs Prozent mehr Stimmen als bei der letzten Wahl.
Marina d'Or - die Ferienstadt
Eher mit Schrecken sehen die Lokalpolitiker die Entwicklung auf dem Immobilienmarkt in der Region Valencia. Zwischen der Kleinstadt Oropesa del Mar (rund 9000 EinwohnerInnen) und dem Dorf Cabanes (3000 EinwohnerInnen) entstand dort in den letzten zehn Jahren die «Ferienstadt» Marina d'Or, bestehend aus 10 000 Appartements und fünf Hotels. Nun plant derselbe Bauherr weitere 40 000 Appartements und sechs neue Hotels. Unterstützt wird er dabei von den rechtskonservativen Bürgermeistern beider Orte, deren Bevölkerung früher mehrheitlich von der Landwirtschaft lebte, seit knapp zehn Jahren aber fast vollständig von der Baubranche abhängt. Da die Appartementverkäufe letztes Jahr um sechzig Prozent zurückgegangen sind, hat jetzt aber auch Marina d'Or den Bau der neuen Wohnungen auf unbestimmte Zeit verschoben - und zunächst einmal tausend Angestellte und ArbeiterInnen entlassen. Die zum Projekt gehörenden drei neuen Golfplätze werden jedoch auf jeden Fall gebaut - Wasserknappheit hin oder her.
Sowohl die Bauherren des Projekts in Seseña als auch jene von Marina d'Or sehen sich noch mit einem anderen Problem konfrontiert. Gegen sie laufen derzeit Verfahren wegen Korruption. Überrascht ist davon niemand: Der extreme Aufschwung in der Baubranche war ja nur mithilfe einer ungezügelten Umwidmung von Boden möglich, die bei den Behörden erst einmal durchgesetzt werden musste. Erstaunlich ist eher, dass die Skandale nicht früher aufflogen. In der andalusischen Jetset-Stadt Marbella jedenfalls wurde im Frühjahr 2006 der gesamte Gemeinderat verhaftet, weil er sich am Bau von mindestens 30 000 Wohnungen bereichert hatte. Noch heute sitzen der ehemalige Bürgermeister und sein Fachberater für Städtebau im Gefängnis. Sie warten darauf, dass ihnen wegen Veruntreuung von öffentlichen Geldern, Bestechung, Betrug, Hinterziehung und Geldwäsche der Prozess gemacht wird.
Wohnen ohne Geld
Trotz wiederholter Warnungen der Europäischen Zentralbank wurden in den letzten Jahren rund sechzig Prozent der spanischen Kredite im Immobilienbereich getätigt. Die Gesamtsumme beträgt heute über eine Billion Euro. Zusammen mit dem privaten Konsum war der Bauboom die Hauptstütze der spanischen Wirtschaft. Jetzt droht der Verlust von bis zu einer Million Arbeitsplätzen. Während der letzten zwölf Monate ist die Arbeitslosenzahl bereits um 315 000 gestiegen; nach offiziellen Angaben sind in Spanien derzeit 2,34 Millionen Menschen arbeitslos.
Weil ein Grossteil der neuen Arbeitslosen aus der Baubranche kommt, will die Regierung mit öffentlichen Bauarbeiten und staatlich unterstütztem Wohnungsbau intervenieren. Das vor vier Jahren eingerichtete Wohnungsbauministerium soll sich darum kümmern. Bisher bestand dessen Aufgabe vor allem darin, den steigenden Immobilienpreisen und den damit einhergehenden sozialen Problemen der Familien entgegenzuwirken. Eine der ersten Massnahmen des Ministeriums - Subventionen in Höhe von 210 Euro monatlich für MieterInnen, die jünger als 35 Jahre sind - war allerdings eher kontraproduktiv: Da es auf dem Mietmarkt keinerlei Kontrolle gibt, nutzten die VermieterInnen die staatliche Unterstützung einfach zur Anhebung ihrer Mieten. Aber zur Miete zu wohnen, war in Spanien ohnehin noch nie besonders beliebt; 85 Prozent der Bevölkerung verfügt über ein Eigenheim.
Für diese Mehrheit wird die Lage immer kritischer. Schon kommt die Hälfte der Familien wegen der steigenden Zinsen und einer Inflation von 4,4 Prozent mit ihrem Einkommen nicht mehr aus. In nur drei Jahren hat sich der Zins für eine durchschnittliche Hypothekarbelastung (derzeit 143 000 Euro) um gut 200 Euro pro Monat erhöht, während die Löhne stagnieren. Was aber tun, wenn man die Hypothek für seine teure Immobilie nicht mehr bezahlen kann und nicht einmal verkaufen kann?
Spanische Wände
• Das spanische Durchschnittseinkommen liegt derzeit bei 1200 Euro netto oder 1500 Euro brutto.
• Die Inflation liegt bei 4,4 Prozent.
• 60 Prozent aller Familien kommen mit ihren Einkommen nicht bis zum Monatsende aus.
• 17 von 20 SpanierInnen wohnen in einem Eigenheim.
• Der durchschnittliche Quadratmeterpreis einer spanischen Wohnung hat sich seit 2001 von 1046 Euro auf 2100 Euro verdoppelt. In den grossen Städten und an der Mittelmeerküste hat er sich verdrei- oder gar vervierfacht: Im Zentrum von Madrid zahlt man derzeit durchschnittlich 4700 Euro/m2, in Barcelona 4200 Euro/m2, in Bilbao 3680 Euro/m2 und in Sevilla 3880 Euro/m2.
• Von 2000 bis Ende 2006 betrug der durchschnittliche jährliche Preiszuwachs bei Immobilien zwischen 17 und 20 Prozent. Seit dem zweiten Halbjahr 2007 stagnierten in vielen Gegenden die Preise, in anderen sanken sie. Im Grossraum Madrid sind die Preise um 10 bis 15 Prozent gefallen.
• 2006 wurde mit dem Bau von 760000 Wohnimmobilien begonnen, 2007 waren es 600 000 Wohnungen und Häuser, für 2008 wird der Baubeginn von zirka 300000 Wohnimmobilien erwartet.
• Zirka 750 000 Neubauwohnungen stehen derzeit zum Verkauf.
• Von Januar 2007 bis Januar 2008 gingen die Verkäufe von Neubauimmobilien um 27 Prozent zurück, bei gebrauchtem Wohnraum betrug der Nachfragerückgang sogar 36 Prozent. In vielen Gegenden reduzierte sich die Nachfrage sogar um die Hälfte.
• Im Januar 2008 wurde ein Drittel weniger Hypotheken bewilligt als im selben Monat im Vorjahr.
• Zehn grosse Bau- und Immobilienfirmen haben seit vergangenem Sommer Konkurs angemeldet.