Am Konvent der US-DemokratInnen: Hoffen auf den Erlöser

Nr. 35 –

In den USA muss sich Grundsätzliches verändern, das will ein grosser Teil der demokratischen Basis. Doch wie stellt man sicher, dass Barack Obama seine Versprechen wirklich hält?


In der properen Zweimillionenstadt Denver am Rande der Rocky Mountains scheint die Sonne, und fröhliche Menschen flanieren durch die Innenstadt. In der Fussgängerzone an der 16. Strasse sind die Strassencafés und Bars zum Bersten voll. Zu Bier und Coke wird geklatscht, gelacht und geflirtet. Viele Leute sind mit dem Fahrrad unterwegs oder lassen sich mit Rikschas die Promenade hoch- und runterkutschieren. Andere benutzen einen der Gratisbusse, die erst noch mit Biosprit betrieben werden.

Der Konvent der Demokratischen Partei, der im hiesigen Pepsi-Center - einem grossen Hallenstadion - stattfindet, lenkt die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf die Stadt. 15000 JournalistInnen sind angereist, 26000 Freiwillige sollen den reibungslosen Ablauf der Veranstaltungen garantieren, und 4440 Parteidelegierte werden Barack Obama zum Präsidentschaftskandidaten küren. Dieser hält am Donnerstag zum Schluss des Konvents seine grosse Rede im angrenzenden Baseballstadion vor 75000 Fans. Tausende von ihnen sind aus dem ganzen Land angereist. Sie wollen in Denver sein, um an der grossen Party teilzuhaben und sich an den unzähligen Strassenständen mit Obama-T-Shirts und Ansteckknöpfen einzudecken.

Alle für Obama

Denver bereitete sich schon seit Monaten auf den Konvent vor. Fast zwei Monate dauerte alleine der Umbau des Pepsi-Centers. Die Polizeikräfte wurden aufgestockt. Einheiten aus dem ganzen Bundesstaat und aus angrenzenden Staaten wurden zusammengezogen. Das US-Ministerium für Innere Sicherheit hat mehrere Millionen Dollar für die Polizeiaufrüstung bereitgestellt. In ein Lagerhaus der Stadt sind Dutzende von vergitterten Zellen für den Fall von Massenverhaftungen eingebaut worden. Gewalttätige DemonstrantInnen könnten das Fest platzen lassen, wurde gewarnt.

Am vergangenen Sonntagnachmittag tauchten tatsächlich plötzlich einige Hundert DemonstrantInnen auf. «Stopp den Krieg», skandieren sie. Ihre Protestbanner fordern die Absetzung von Präsident George Bush, beschwören die Macht der Liebe oder bezeichnen das profitorientierte Gesundheitssystem als krank. Eine Frau trägt ein aus Blumen geflochtenes Peace-Zeichen mit sich. Ausser rund zwanzig Vermummten und einigen bunt gekleideten AktivistInnen sind die meisten DemonstrantInnen aber kaum von den flanierenden Menschen zu unterscheiden. Und was sie fordern, könnte auch problemlos im Pepsi-Center skandiert werden. Viele unter den hier Demonstrierenden wollen Barack Obama wählen. «Er ist das kleinere Übel», sagt eine 50-jährige Demonstrantin, die in Denver wohnt. «Wir müssen Druck auf ihn ausüben, damit er als Präsident den Krieg im Irak tatsächlich beendet.»

Doch der Marsch durch die Fussgängerzone scheint in Denver, dessen Bürgermeister der Demokratischen Partei angehört, unwillkommen zu sein. Die Polizei versucht immer wieder, die Demonstration zu stoppen. Eine Gruppe von FahrradpolizistInnen und zwanzig Sheriffs auf Pferden, ausgerüstet mit langen Holzstöcken, erhält bald Verstärkung. Motorradstaffeln, Dutzende bewaffneter und schwarz uniformierter PolizistInnen zu Fuss sowie gut gepolsterte Kampftruppen mit Schlagstöcken, Pistolen und Tasern rücken an. Diese Sondereinheiten stehen seitlich auf im Schritttempo fahrenden Einsatzwagen. Sie scheinen jederzeit bereit dazu, abzuspringen und sich auf jemanden zu stürzen. Die Menschenmenge reagiert dennoch gelassen auf die geballte Staatsmacht, die sich zusätzlich mit einem kreisenden Helikopter bemerkbar macht. Auch als die Polizei die 16. Strasse blockiert und damit vor allem PassantInnen aufhält, entsteht keine aggressive Stimmung. Allenthalben werden Fotoapparate gezückt, und man lässt sich vor einem besonders martialisch aussehenden Uniformierten ablichten. Die PolizistInnen dagegen scheinen nicht mehr zu wissen, wo der Feind gerade steht, und ziehen, teils in Reih und Glied und mit schrillem «Ho ho!»-Gebrüll, wieder ab.

Progressive DemokratInnen

Die Ansicht, es brauche Druck auf Obama, damit er seine Versprechen hält, ist auch unter Mitgliedern der Demokratischen Partei verbreitet - zum Beispiel bei einer Gruppierung, die sich Progressive Demokraten Amerikas (PDA) nennt. Die Vereinigung bestreitet während des ganzen Konvents zusammen mit der linken Wochenzeitung «The Nation» eine Veranstaltungsreihe, bei der Themen wie die Kriege im Irak und Afghanistan, der Rassismus und die Gesundheitspolitik behandelt werden. Prominentes Mitglied im Vorstand der PDA ist die afroamerikanische Kongressabgeordnete Barbara Lee. Sie stimmte als einzige Parlamentarierin nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gegen einen Entschluss, der die Regierung zum Einsatz von militärischen Mitteln im «Kampf gegen den Terrorismus» ermächtigte.

Auch der politische Aktivist Tom Hayden zählt zu den führenden Figuren der PDA. Hayden war bereits in den sechziger Jahren einer der Wortführer der Bewegung gegen den Vietnamkrieg. 1968 wurde er zusammen mit sechs anderen anlässlich des Konvents der DemokratInnen in Chicago verhaftet. Man warf ihm vor, die damaligen Unruhen im Umfeld des Konvents geplant zu haben. In den achtziger und neunziger Jahren vertrat Hayden dann die Demokratische Partei im Parlament von Kalifornien. An der Eröffnungsveranstaltung der PDA in Denver stellt Hayden klar, dass die geballte Polizeipräsenz in der Stadt «Teil eines Prozesses der Manipulation» sei. Man wolle geeignete Fernsehbilder produzieren, um Angst zu schüren. Dennoch erklärte Hayden seine Unterstützung für Obama, trotz dessen immer unklarerer Haltung bezüglich Irak und dem klaren Kriegskurs in Afghanistan. Obama sei mehr als nur das kleinere Übel. Ein Dunkelhäutiger als Präsident sei ein grosser Schritt für die USA: «In meiner Jugend war es noch ein Tabu und in verschiedenen Staaten verboten, dass eine weisse Frau und ein schwarzer Mann eine Beziehung haben.»

Das Ziel der PDA ist es, ihre Positionen innerhalb der Demokratischen Partei zu erklären. Die AktivistInnen wollen ihre Anliegen anlässlich der morgendlichen Treffen der jeweiligen Delegierten eines Bundesstaates sowie an den speziellen Treffen der verschiedenen Parteiausschüsse einbringen. An den Grossveranstaltungen im Pepsi-Center ist dies nicht möglich. Die sind orchestriert und sollen dem Fernsehpublikum vor allem ein Bild von Harmonie und Einheit vermitteln.

«Kaputt am Kummer»

Am Montagnachmittag füllt sich das Pepsi-Center allmählich, um 19 Uhr ist es voll. In der Zwischenzeit ist das Publikum mit Videoausschnitten von Barack Obama und mit kurzen Reden von Parteiprominenz unterhalten worden. En passant wird die Plattform der Partei - ohne Gegenstimmen - durchgewinkt. Unter den Delegierten ist die ganze Bandbreite an sozialen Schichten und Herkünften vertreten. Auch Parteifolklore fehlt nicht - überall sieht man bunt gekleidete Leute mit dreissig Ansteckknöpfen, überdimensionierten Onkel-Sam-Hüten und Obama-Shirts.

Befragt man am Eingang Delegierte, fällt auf, dass allenthalben ein für die USA untypischer Pessimismus vorherrscht. Eine drastische Reform des Gesundheitssystems ist für viele das zentrale Anliegen. Von den rund 300 Millionen BewohnerInnen der USA sind 45 Millionen ohne Krankenversicherung. Und viele, die derzeit noch über eine verfügen, können sich die horrenden Prämien bald nicht mehr leisten. Hinzu kommen die steigenden Lebenshaltungskosten und vor allem der hohe Benzinpreis, der die autoabhängigen US-AmerikanerInnen massiv belastet. Wegen der Krise auf dem Hypothekenmarkt können sich Millionen von US-Amerikanern ihr Eigenheim nicht mehr leisten - viele haben es bereits verloren. Diese Themen sind, so der Meinungsforscher Geoff Garin, der für die Kampagne von Hillary Clinton arbeitete, derzeit für eine breite Mehrheit der Bevölkerung vorrangig und haben die Kontroverse um den Irakkrieg wie auch die Sorge um die Klimaerwärmung in den Hintergrund gedrängt.

In diesem Umfeld kommt Obama die Rolle des Erlösers zu. Er muss aber, sollte er die Wahl tatsächlich gewinnen, mit einer Schuldenlast von annähernd zehn Billionen (zehntausend Milliarden) US-Dollar starten - fast die Hälfte davon hat der jetzige Präsident Bush angehäuft. Neue Staatsausgaben wie auch die versprochenen höheren Steuern für die Reichen müsste er erst einmal durchs Parlament bringen, das von LobbyistInnen der Grosskonzerne nur so wimmelt. Alfonso Ward, ein afroamerikanischer Delegierter aus Montana, formuliert es so: «Obama kann es alleine nicht schaffen, wir müssen alle zusammenstehen. Dieses Land geht sonst kaputt am Kummer.»

Ein geplanter Kessel

Zur besten Zeit sprechen am Montag im Pepsi-Center der krebskranke demokratische Senator Ted Kennedy, der jüngste Bruder des 1963 ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy, sowie Obamas Frau Michelle. Beide Reden sind emotionsgeladen, appellieren an Werte wie Gemeinschaftssinn und Familienverbundenheit und beschwören den «American Dream». Zur gleichen Zeit wird in der Nähe der 16. Strasse eine weitere Antikriegsdemonstration von der Polizei in einer wohlvorbereiteten Aktion eingekesselt. Polizeiautos mit Anhängern standen schon an einer Strassenecke bereit, kurz darauf schnappt die Falle zu. Ted Kennedy und Michelle Obama sind am nächsten Tag auf allen Fernsehkanälen zu sehen. Zur Demonstration heisst es nur knapp: «Polizei verhaftet siebzig Protestler.»


Joe Biden: Der Mann für die Aussenpolitik

Er ist die ideale Ergänzung des US-Präsidentschaftskandidaten Barack Obama. Das zumindest ist die Hauptbotschaft, mit der Joe Biden am vergangenen Samstag als demokratischer Kandidat für das Vizepräsidium vorgestellt wurde. Biden sitzt seit 35 Jahren im US-Senat und verfügt so im Gegensatz zu Obama über eine langjährige politische Erfahrung in Washington. Er ist 65 Jahre alt - Obama erst 47. Er ist ein weisser Katholik - Obama ein dunkelhäutiger Evangelist. Der irischstämmige Biden gibt sich als Mann der Arbeiterklasse, der geradeheraus sagt, was er denkt - Obama präsentiert sich als geschliffener Intellektueller. Selbst die Wahl ihrer Krawatten beim ersten gemeinsamen Auftritt in Springfield (Illinois) sollte diese Ergänzung symbolisieren: Obama trug eine rote, Biden eine blaue - die Nationalfarben der USA.

Biden ist im Senat Vorsitzender des aussenpolitischen Ausschusses. Er verfügt damit in Fragen der internationalen Politik über ein Wissen, das Obama fehlt. Die Positionen, die Biden in der Vergangenheit vertrat, lassen allerdings vermuten, dass auch aus dem demokratischen Lager keine dramatischen Änderungen in der Aussenpolitik zu erwarten sind. Biden hat sich immer wieder für den Einsatz von US-Truppen in Konfliktgebieten stark gemacht.

Seine aussenpolitischen Äusserungen lassen darauf schliessen, dass er einen möglichen Konflikt mit Russland weiter schüren will. So hat sich Biden in der jüngsten Krise zwischen Russland und Georgien voll und ganz auf die Seite Georgiens gestellt. Er reiste nach Ausbruch der Kämpfe im Kaukasus in die georgische Hauptstadt Tiflis, um Präsident Michail Saakaschwili seine Unterstützung beim Beitrittsgesuch zur Nato zu signalisieren. Seine Haltung spiegelt eine generelle Tendenz im politischen Establishment der USA. Obamas aussenpolitische Beraterin Wendy Sherman - die schon unter der Clinton-Regierung Beratungsfunktionen innehatte - forderte an einer Presseinformation am Montag, dass Russland wegen seiner Politik in Georgien nicht in die Welthandelsorganisation WTO aufgenommen werden dürfe. Der Regierung von George Bush warf Sherman eine zu lasche Haltung gegenüber Russland vor.

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