«Sicherheit im Sport»: Schön brav lächeln und winken

Nr. 40 –

Und schon wieder ein missglückter Repressionskatalog gegen Fussball- und Eishockeyfans - die Spirale dreht sich weiter. Und Obacht! Die Feldversuche in Sportstadien könnten bald auch andere treffen.


Die SicherheitsfanatikerInnen in diesem Land lassen nicht locker. Kürzlich machte der «Tages-Anzeiger» ein neues Konzept für mehr «Sicherheit im Sport» publik, das verschärfte Massnahmen gegen Fussball- und Eishockeyfans vorsieht. So sollen diese auf ihren Anreisewegen gefilmt und bei den Stadioneingängen mit Fotos in einer biometrischen Datenbank erfasst werden. Vorgelagerte Kontrollen - zum Beispiel vor der Abfahrt der Extrazüge - sollen verhindern, dass Fans pyrotechnische Gegenstände ins Stadion schmuggeln oder übermässig Alkohol konsumieren. AnhängerInnen, die in vorauseilendem Gehorsam die repressiven Massnahmen akzeptieren («Selbst-Deanonymisierung») sollen belohnt werden. Dass bei vielen Punkten im Konzept das Wort Datenschutz (mit Fragezeichen) in Klammern steht, lässt an der Seriosität des Projekts, das vom angeschossenen VBS-Chef Samuel Schmid in Auftrag gegeben wurde, zweifeln. Das Projekt ist die Fortsetzung einer langen Reihe von Repressionsmassnahmen, die bei Sportanlässen Alltag geworden sind.

«Schnellgerichte!»

Was bisher geschah: Im Hinblick auf die Fussball-Europameisterschaft 2008 und die Eishockey-Weltmeisterschaft 2009 in der Schweiz verabschiedet der Bund das sogenannte Hooligangesetz, mit dem mutmassliche Hooligans präventiv verhaftet und ihre Daten in einer zentralen Datenbank gespeichert werden können. 2006 verlangt der Schweizer Fussballverband für Gästefans einen obligatorischen Fanpass (mit Foto und Personalien) - nach Protesten und Boykottaktionen muss der Verband das Projekt zurückziehen. 2007 will die Sicherheitskommission der Swiss Football League (SFL) ein Bewilligungsformular einführen, mit dem Choreografien in Stadien vorgängig angemeldet werden müssen - das Vorhaben erweist sich als Rohrkrepierer. Im Frühjahr 2008, kurz vor der EM, brüllen dieselben Leute, die schon lautstark die Hooligandatenbank gefordert haben: «Schnellgerichte!» Nur so könnten Ausschreitungen künftig verhindert werden.

Und nun, im Herbst 2008, nach einer ruhigen Europameisterschaft also ein neues Projekt zur «Sicherheit im Sport», das faktisch die totale Überwachung und Fichierung von Eishockey- und FussballzuschauerInnen fordert. Obwohl das Konzeptpapier ungewollt verfrüht an die Öffentlichkeit kam und Proteste auslöste, will der oberste Antreiber des Projekts nicht vom Plan abrücken. «Das Projekt ist keineswegs gefährdet», sagt Beat Hensler, Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten und «Oberleiter» des Projekts. Es müssten noch einige Abklärungen gemacht werden, der offizielle Projektstart (nach Konzept am 4. Oktober beim Spiel FC Luzern gegen FC Zürich) sei aber schon vor der Medienpanne obsolet geworden. Man habe den Zeitplan nicht einhalten können. Mehr will Hensler nicht sagen.

Video manipuliert?

Wer ist dieser Beat Hensler, der so verbissen an seinem Repressionsbaby festhält? Der Innerschweizer wurde 2002 Kommandant der Luzerner Kantonspolizei, nachdem sein Vorgänger Jörg Stocker nach internen Unstimmigkeiten zurückgetreten war. Jurist Hensler war damals Sekretär im kantonalen Justizdepartement und wurde relativ überraschend zum obersten Luzerner Polizisten ernannt. Sein Vorgänger Stocker ist nach einem Abstecher bei der Bahnpolizei heute Verwaltungsratspräsident von Crime Investigation Services, einer Abteilung der Securitas, die in den Spitzelskandal um Attac/Nestlé verwickelt ist. Er ist neben Hensler Leiter des Projekts «Sicherheit im Sport».

Auch Henslers Weste ist nicht unbefleckt: Im Dezember 2007 war mitverantwortlich für die präventive Verhaftung von 245 Personen, als diese an einer Demonstration für Freiraum in Luzern teilnehmen wollten. Ausserdem läuft derzeit eine Untersuchung gegen ihn als Chef der Luzerner Sondereinheit Luchs, weil Videomaterial von einer missglückten Verhaftungsaktion manipuliert worden sein soll, um das gewalttätige Vorgehen der Polizisten zu decken. Hensler musste vor einer Aufsichtskommission Auskunft geben, die von Damian Meier geleitet wurde - der seit diesem Sommer gemeinsam mit Hensler im Polizeikonkordat arbeitet. Hensler stützte sich bei seinen Aussagen zur Verhaftungsaktion auf Teile der Videoaufnahmen, die jetzt nicht mehr vorhanden sind. Urs Boller vom Verhöramt Schwyz, der die Vorfälle untersucht, will sich noch nicht zum Vorfall äussern, um keine Vorverurteilung zu provozieren. Der Schweizer Fussballverband sollte sich aber angesichts dieser Tatsachen fragen: Will man wirklich einem mutmasslichen Videofälscher die Verantwortung für die Sicherheit im Sport mittels Videoüberwachung übergeben?

Es scheint kein Zufall, dass bei der Ausarbeitung des Sicherheitskonzepts vor allem Bekannte Henslers beteiligt waren, nicht aber die Sicherheitsverantwortlichen der Schweizer Fussballklubs. Hensler: «Wenn wir jeden Verein eingeladen hätten, wäre der runde Tisch riesig geworden.» Für die SBB oder die Securitas (Stocker!) war jedenfalls ein Stuhl vorhanden. Bei den Fussballvereinen zeigt man sich ohnehin skeptisch, was die geplanten Massnahmen angeht - so etwa der Hardliner Peter Landolt, der Präsident der Sicherheitskommission der SFL und guter Kenner der Schweizer Hooliganszene.

Die Vereinsverantwortlichen wollen sich aber mit Urteilen zurückhalten, bis sie von der Projektleitung im Detail informiert werden - denn das ist bisher noch nicht geschehen. Mehr als eine Kurzinformation über das Projekt habe es noch nicht gegeben. Ein Sicherheitschef, der nicht namentlich genannt werden will: «Ich kann dazu nicht viel sagen. Mehr als das, was im ‹Tages-Anzeiger› stand, weiss ich noch gar nicht.» Wahrscheinlich muss er auch nicht viel mehr dazu sagen: Einem Schweizer Polizeikommandanten rutschte kürzlich in einer vertrauensseligen Runde der Satz heraus: «Das Projekt ist bis Ende der Hinrunde gestrichen.»

In Zukunft dürfte es sich für alle lohnen, den Blick vermehrt auf die Welt des Sports zu richten. Hat sich eine repressive Massnahme im Sicherheitslabor Sport erst einmal bewährt, dauert es nicht lange, bis sie weiter ausgedehnt wird. Dies wurde nach den Anti-SVP-Krawallen in Bern anhand der Forderungen nach einer Datenbank für DemonstrantInnen klar. Sind biometrische Datenbanken im Sport erst einmal üblich, ist es nur noch ein kleiner Schritt, bis alle betroffen sind. Deshalb: Beim nächsten Fussballspiel schön brav in die Kamera winken und lächeln ...