Luzern: Das Aufwärmtraining

Nr. 49 –

Eine solche Verhaftung gab es im Kanton noch nie: Die Polizei hielt 245 DemonstrantInnen eine Nacht lang in einer Zivilschutzanlage fest. Verantwortlich dafür war der Euro-08-Sicherheitschef.

Luzern hatte sich herausgeputzt, um der europäischen Fussballelite zu gefallen. Da gab es keinen Platz für eine mobile Strassenparty, mit der Jugendliche gegen die Schliessung des Kulturzentrums Boa und für den Erhalt von alternativem Wohnraum demonstrieren wollten (siehe WOZ 44/07). Auch wenn sie nur zufällig am Vorabend der Euro-08-Auslosung stattfinden sollte. Hunderte PolizistInnen aus der ganzen Zentralschweiz kesselten am Samstag die DemonstrantInnen schon bei der Besammlung um 20 Uhr ein. Diese reagierten mit Sprechchören: «Wir sind friedlich - was seid ihr?» Die Antwort kam postwendend: Teilweise unter Pfefferspray- und Schlagstockeinsatz wurde jedeR einzeln aus der Menge gezerrt und anschliessend gefesselt.

Ausgesetzt am Stadtrand

Polizeiwagen brachten die meisten der 245 Verhafteten in die grösste Zivilschutzanlage der Schweiz - den «Sonnenberg». Die unterirdische Anlage war einst erstellt worden, um beispielsweise bei einer atomaren Katastrophe bis zu 20 000 Menschen unterbringen zu können. Nun «beherbergte» sie eine Nacht lang die Verhafteten, wobei sie ihnen alles andere als Schutz bot.

Er sei zunächst mit über vierzig Personen während längerer Zeit gefesselt in einer heissen Zelle festgehalten worden, erzählt der 22-jährige David Roth, Vorstandsmitglied der Juso Luzern. Dort habe es kein Wasser und keinen Toilettenzugang gegeben. «Der Zellenboden wurde zu einer einzigen Urinpfütze.»

Auch der 32-jährige Dirk, der zum ersten Mal in seinem Leben verhaftet wurde, erlebte eine anstrengende Prozedur. Die PolizistInnen seien überfordert gewesen, es habe ein allgemeines Chaos geherrscht, und einzelne Inhaftierte seien im Laufe der Nacht regelrecht durchgedreht. «Mit der Zeit war ich total fertig und wollte nur noch raus.» Nach 6 Uhr früh hätten ihn Polizisten zum Vorort Kriens gefahren und dort «ausgesetzt», obwohl er in Luzern wohne.

Zivilschutz hilft mit

Eins ist klar: Eine solche Verhaftungsaktion gab es im Kanton Luzern noch nie. Schweizweit ist sie höchstens mit dem «Kessel von Altstetten» von 2004 vergleichbar, wo über 400 FC-Basel-Fans verhaftet wurden, als sie in einem Extrazug zum Auswärtsspiel in Zürich hatten reisen wollen.

Und damit zurück zur Euro und zum Fussball: Vor einer Woche durften ausgewählte Schweizer PolizistInnen in Baden-Württemberg mit ihren deutschen KollegInnen die Verhaftung von Hooligans für die Euro 08 üben. Mit dabei war Beat Hensler, Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten. Am Freitag wird er den Medien gemeinsam mit Samuel Schmid das Sicherheitskonzept zur Euro präsentieren.

Am Samstag in Luzern war Hensler der «Führungsverantwortliche» für den Sonnenberg. Hier standen ihm neben den eigenen Beamten zwar keine ausländischen Ordnungshüter zur Verfügung, er konnte aber auf die Hilfe einer unbekannten Anzahl Zivilschützer zählen. Der Zivilschutz wird auch während der Euro 08 zusammen mit Tausenden Militärangehöriger die Polizei unterstützen. Polizeiliche Kompetenzen hat er dabei aber nicht.

Wie eine solche Unterstützung während der Euro 08 aussehen könnte, haben die Gefangenen vom Sonnenberg erlebt. Als sich David Roth nackt ausziehen musste, sei ein Zivilschützer neben dem durchsuchenden Polizisten gestanden und habe zugeschaut. Später habe ihn ein Zivilschützer gar im Auftrag der Polizei mit einer Polaroidkamera fotografiert. Diese Beobachtung bestätigen weitere Zeugen. Der WOZ liegt ausserdem ein Video vor, das mit einem in die Anlage geschmuggelten Handy aufgenommen wurde. Es zeigt, wie Zivilschützer Plastiktüten durchsuchen. Sie enthalten Gegenstände, welche den Gefangenen vorher abgenommen wurden.

Die Polizeidirektorin der Stadt Luzern, Ursula Stämmer-Horst (SP), betont hingegen, der Zivilschutz habe «keine polizeihoheitlichen Aufgaben übernommen.» Sie bezeichnet den Polizeieinsatz vom Wochenende als verhältnismässig: «Luzern stand im Schaufens-ter, die ganze Welt blickte auf uns. Wir konnten und wollten kein Risiko eingehen.» Aber es habe sich nicht um eine Übung im Hinblick auf die Euro 08 gehandelt. Ob geplante oder ungeplante Übung: Die Zentralschweizer Polizeikräfte werden während der Euro die Polizei in Bern verstärken. Dann wird auch Bern «im Schaufenster stehen».