Bundesratswahl: Der Mann, der seine Homepage leerte

Nr. 47 –

Adrian Amstutz hat gute Chancen, am 10. Dezember der neue SVP-Bundesrat zu werden. Der Berner Oberländer, der harte Worte und einen harten Kurs liebt, hat in den letzten Monaten eine erstaunliche Verwandlung durchgemacht.


Adrian Amstutz hat seine Welt im Griff, denn seine Welt ist eine kleine Welt. Er lebt schon sein ganzes Leben im bernischen Sigriswil, der Gemeinde seiner Kindheit, in der bereits seine Eltern und seine Grosseltern lebten. Heiratet mit zwanzig seine Schulliebe, als sie schwanger wird, und ist noch immer mit ihr verheiratet, heute ist er Vater von drei Kindern, vierfacher Grossvater. Tritt jung in die Partei ein, der er ebenfalls treu bleibt, der SVP. Wieder ist es die naheliegende Wahl, die SVP ist seit Jahrzehnten die staatstragende Partei des Kantons.

Es ist diese tiefe Verankerung, die es Amstutz ermöglicht, seinem brennenden Ehrgeiz nachzuleben, ohne darüber einsam zu werden. Sie ist seine Versicherung. Seine Familie nennt er eine «geschützte Werkstatt», die ihm die Bodenhaftung schenke. Doch auch sie schützt ihn nicht vor dem Schicksal, das jedem Karrieremenschen blüht: Sein Leben mit harter Disziplin und Kontrolliertheit leben zu müssen, in einem wie eine Feder angespannten Körper, und in der Angst vor dem Rückfall in die bescheidenen Anfänge. Der Angst vor der Blösse.

Kleinstunternehmer und Lobbyist

Adrian Amstutz, 54 Jahre alt, Berner Oberländer, könnte am 10. Dezember zum Bundesrat gewählt werden. Das hat er nicht seiner Art zu verdanken, die mal als kollegial, mal als verletzend und rücksichtslos beschrieben wird. Er hat es seinem untrüglichen Gespür für Macht und seinem Arbeitswillen zu verdanken.

Amstutz, ein Sohn von Wirtsleuten, der gerne von sich erzählt, er sei am Stammtisch aufgewachsen, hat sein Leben lang hart gearbeitet. Er machte eine Lehre als Maurer, wird Hochbauzeichner und Hochbaupolier. Heute ist er «Unternehmer» (in einer kleinen Architektur- und Baufirma mit drei Inhabern, drei Hochbauzeichnern und zwei Lehrlingen). Im Militär wurde er Fallschirmgrenadier, später sechsfacher Schweizer Meister und Weltcupsieger im Fallschirmfliegen, schliesslich Nationaltrainer. Mit 39 Jahren stieg er in die Politik ein, er wurde Gemeinderatspräsident von Sigriswil. Für fünf Jahre. Dann Grossrat des Kantons Bern, für fünf Jahre. Seit fünf Jahren sitzt er im Nationalrat. Und seit März ist er als einer von fünf Vizepräsidenten im innersten Machtzirkel der SVP Schweiz. Daneben ist Amstutz Lobbyist: Präsident des Verbandes Bernischer Gemeinden, Exekutivrat Swiss Olympic, Präsident Interessengemeinschaft Berner Luftverkehr, Präsident von Thunersee Tourismus, Zentralpräsident des Nutzfahrzeugverbands Astag und so weiter.

Amstutz arbeitete also hart, stieg auf. Während er immer mehr Macht und Einfluss erlangt, betont er seine Unveränderbarkeit: «Ich war immer so. Und ich werde mich keinen Millimeter verändern», sagt er, oder: «Ich bin immer geblieben, wie ich war.» Er lobt seine Härte und zeigt sich gerne als Draufgänger - auf seiner Harley Davidson, beim Fallschirmsprung, auf dem Mountainbike. Er mag harte Aussagen, manchmal etwas bizarr formuliert: «Zwischendurch muss man dem Büsi auch Katze sagen, sonst wissen die Leute nicht, wovon man vor lauter Höflichkeit spricht», oder, auf die Frage, ob er als einfacher Gefreiter das Militärdepartement leiten könne: «Muss man zuerst ein gutes Reitross sein, bevor man ein guter Reiter werden kann?» (Dass es Grenadier Amstutz nur zum Gefreiten brachte, dem niedrigsten, geschenkten Rang, ist ein Makel für jemanden im Führungszirkel mit den Obersten Christoph Blocher und Caspar Baader, Major Ueli Maurer und Hauptmann Walter Frey.) Er wiederholt begeistert, dass er «mit der Motorsäge» politisiere, etwa beim Abbau der Verwaltung, aber weder im Grossrat, dem Nationalrat noch in der Kommission macht er mit grossen Vorschlägen von sich reden. Amstutz spricht zwar laut und wird auch durchaus gehört, doch er wagt sich nicht auf unbekanntes Terrain. Seine Vorstösse zeigen, für wen Amstutz sich einsetzt: seine AuftraggeberInnen. So forderte er ein paar Tage nach seiner Wahl zum Astag-Präsidenten in einer Motion, dass die beschlossene, umweltfreundlichere Änderung der Schwerverkehrsabgabe rückgängig gemacht wird. Oder er kämpfte für den Flughafen Bern-Belp und - als erste Handlung im Parlament - für eine «touristische Signalisation entlang der Nationalstrassen». Daneben beschäftigt sich Amstutz mit den typischen Themen eines rechtsbürgerlichen Populisten: Abbau der «Verwaltungsbürokratie», Steuersenkungen, Forderungen nach einem öffentlichen Register für «Todesraser» und pädophile Lehrer, Abschaffung des Verbandsbeschwerderechts, der Kulturförderung, des Preisüberwachers. Er fand, so gestand Amstutz einmal, dass im Nationalrat «alles viel komplizierter und formaler» sei als im Kantonsparlament. Seine Dossierkenntnisse gelten als bescheiden.

In einem Thema fühlt sich Amstutz jedoch seit Beginn seiner politischen Karriere wohl: «Ausländische Bettler» und «Bettelsklaventreiber», «kriminelle Asylbewerber», «ausländische Pöbelbanden, die junge Frauen auf ekelhafte Art und Weise bedrängen», «Asylrechts- und Sozialwerke-Missbraucher» und «diejenigen, die sich als Diebe, Drogen- und Frauenhändler in unserem Land unter dem Deckmantel der von Links-Grün vorgeschobenen Menschenrechte wie Maden im Speck gütlich tun». Amstutz schreibt gerne über all das in seinen Kolumnen für das «Thuner Tagblatt».

Genau diese Mischung aus käuflichem Ehrgeiz und Ideologie, aus Grossspurigkeit und Gefolgschaft machte Amstutz attraktiv für die erfolgreiche Zürcher SVP, die ihren Einfluss in Bern ausbauen wollte. Sie förderte ihn, sie lobte ihn öffentlich (SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli etwa sagte, Amstutz könnte «boulevardmässig eine interessante Figur sein»), und als Amstutz letzten Herbst mit einem Glanzresultat zum zweiten Mal in den Nationalrat gewählt wurde, war er plötzlich in aller Munde. Man wollte ihn für den frei werdenden Berner Regierungsratssitz! Für die Leitung der SVP Schweiz! Für den Bundesrat! Amstutz zierte sich jeweils lange, sondierte im Hintergrund und wählte dann mit sicherem Gespür: nicht den Posten als Regierungsrat (was er damit begründete, dass ein genauer «Auftrag» gefehlt habe), aber ein Vizepräsidium, das seine Popularität erhöhte, ohne ihn von einer Bundesratskandidatur fernzuhalten. Er folgte nun genau der Zürcher Linie. Ihr verdanke er seinen politischen Erfolg, sagt er. Das zeigte sich auch darin, dass er zu einer der treibenden Kräfte hinter der Spaltung der Berner SVP wurde, indem er heftig dafür lobbyierte, dass der Rauswurf der Bündner Kantonalpartei aus der SVP nicht mehr kritisiert wurde. Er beschimpfte die GründerInnen der BDP und stellte sich hinter Christoph Blocher, den er vor ein paar Jahren, als das im Kanton Bern noch Brauch war, durchaus auch öffentlich kritisiert hatte. Seine Positionen wurden unverrückbarer und sein Ton schärfer - Bundesrat Pascal Couchepin etwa nannte er einen «Verbalmesserstecher».

Die verschwundenen Kolumnen

Vor einigen Monaten setzt eine weitere erstaunliche Wandlung ein: In der nationalrätlichen Kommission wirkt er zurückhaltender, er distanziert sich von der Rücktrittsforderung der SVP Schweiz an Samuel Schmid, von seiner Homepage verschwinden die aggressiven Kolumnen; sie ist nun so gut wie leer. Amstutz übernimmt von Christoph Blocher die Demutshaltung, die den Machtanspruch kaschiert: Er habe nicht Bundesrat werden wollen, doch hätten ihn Fraktionsmitglieder gebeten, «ins Rennen zu steigen». Es gehe nicht um persönliche Ambitionen, auch nicht darum, ob er Lust habe auf das Amt; es gelte, den fähigsten Mann zu bringen: «Ich will nicht Bundesrat werden um meiner selbst willen.» Als er Ende 2007 als Nachfolger von SVP-Präsident Ueli Maurer gehandelt wurde, hatte er noch geprahlt: «Wenn ich Präsident würde, dann wäre ich der Chef. Sonst will ich das Amt nicht.»

Und jetzt ist es so weit: Amstutz gilt als Kronfavorit. Am 27. November entscheidet die Fraktion. Wählt ihn am 10. Dezember das Parlament, hat die Schweiz einen neuen zürichkonformen SVP-Bundesrat. Keinen mit «Ecken und Kanten», wie Amstutz sich so gerne beschreibt. Sondern einen Karrieristen.