Durch den Monat mit Heidi Hollenweger (Teil 2): Wer sind die Raser?

Nr. 50 –

Heidi Hollenweger: «Ein längerer Führerausweisentzug könnte wirksam sein.»

WOZ: Verschärfungen im Strafrecht werden zunehmend mit Volksinitiativen durchgesetzt. Jetzt plant auch die Strassenopferstiftung Roadcross eine Initiative für härtere Strafen gegen Raser. Was halten Sie davon?
Heidi Hollenweger: Junge Menschen nehmen bedingte Verurteilungen oft nicht ernst. Schärfere Strafen könnten deshalb unter Umständen besser wirken. Auch eine längere Dauer des Führerausweisentzugs könnte wirksam sein.

Aus Sicht der Öffentlichkeit sind Raser junge männliche Secondos, vorab vom Balkan. Ist dieses Bild korrekt?
Nein, das stimmt so nicht. Es gibt auch viele Schweizer in den Lernprogrammen, die wir in der Zürcher Bewährungshilfe anbieten. Allerdings sind etwa zwei Drittel jünger als 25 Jahre. Und es hat nicht nur sogenannte Raser in unseren Kursen, sondern auch Leute, welche auf der Autobahn rechts überholen oder den Mindestabstand massiv unterschreiten. Rund ein Drittel sind erstmals Verurteilte, und zwei Drittel kommen nach dem ersten Rückfall.

Raser sind also nicht nur junge Erwachsene, sondern auch der Manager, der gestresst zu einer Sitzung fährt, und der Familienvater, der auf der Autobahn kaum Abstand zum vor ihm fahrenden Auto hält?
Ja, das ist so. Leute fahren nicht nur wegen eines Kicks schnell, sondern auch, weil sie glauben, Zeit gewinnen zu müssen, oder aus Ärger. Rennen liefern sich jedoch vorwiegend die jungen Autofahrer, und hier geht es um das gute Gefühl, der Schnellste zu sein.

Geben Sie selber auch Antiraserkurse?
Nein, ich fahre zwar selber Auto, habe aber keine besondere Affinität dazu. Als Kursleiter für diese Zuschnellfahrer müssen Sie viel von Autos, Motoren, Fahrphysik und so weiter verstehen. Dann kommt das Geschlecht dazu: Die vorwiegend männlichen Teilnehmer akzeptieren einen Mann als Leiter eher als eine Frau.

Mit Ihren Lernprogrammen wurden Sie auf höchster Ebene ausgezeichnet: 2004 überreichte Ihnen Prinzessin Anne in London den International Community Justice Award.
Ja, der Preis wurde von der internationalen Konferenz für Bewährungshilfe vergeben. Wir waren für die Schweiz einmalig mit unseren Lernprogrammen.

Ist Zürich da weltweit führend?
Nein, die Programme sind lediglich für die Schweiz neu. In England, Irland, Holland und den skandinavischen Staaten gibt es sie schon lange. In der Schweiz hat der Kanton Luzern unser Lernprogramm jetzt neu übernommen.

In zwei Wochen räumen Sie Ihr Büro und gehen in Pension. Was haben Sie bei Ihrer Arbeit in der Bewährungshilfe über die Menschen gelernt?
Menschen, welchen Bewährungshilfe verordnet wird, stehen meistens in schwierigen Lebensumständen und haben mehrere Probleme, etwa ihre soziale Situation, Wohnen, Arbeit, Geld und Gesundheit. Hier brauchen sie Unterstützung. Das reicht jedoch in der Regel nicht aus, um Rückfälle zu verhindern. Ob jemand eine Straftat verübt, hat auch mit Einstellungen und Verhalten zu tun. Die Auseinandersetzung damit ist sehr wichtig.

In den letzten Jahren hatte ich vor allem mit Menschen zu tun, die wegen Verkehrsdelikten oder häuslicher Gewalt in einem Strafverfahren standen. Da ist mir aufgefallen, dass sie sich oft für ihre Taten schämen.

Bringt die Scham Menschen eher dazu, ihr Verhalten zu ändern?
Sicher erhöht sie die Motivation. Doch es ist anstrengend und anspruchsvoll, sich mit schwierigen Fragen zur eigenen Person auseinanderzusetzen und Gewohnheiten zu ändern. Bei uns ist das nicht anders: Wie oft nimmt man sich zum Beispiel vor, abzunehmen oder mit dem Rauchen aufzuhören – und vertagt es dann doch wieder. Gute Vorsätze allein genügen nicht für Verhaltensänderungen.

Wie knackt man jemanden, für den die Liebe zu seinem Auto das Grösste ist?
Indem ihm klar wird, aus welchem Grund das Auto so viel Bedeutung für ihn hat, und nach Alternativen gesucht wird. Es ist auch schon vorgekommen, dass Kursteilnehmer ihr schnelles Autos verkauft haben, nachdem ihnen bewusst geworden ist, dass nach wie vor eine Rückfallgefahr besteht. Zudem sind wir realistisch genug, um zu wissen, dass wir nicht alle Rückfälle verhindern können. Eine Hundert-Prozent-Garantie gibt es in dieser Arbeit nicht.

HEIDI HOLLENWEGER, 61, ist seit zwanzig Jahren in der Bewährungshilfe des Kantons Zürich tätig, seit 1999 leitet sie die Abteilung Lernprogramme, wo unter anderen Raser lernen, ihr Verhalten zu ändern.