Durch den Monat mit Heidi Hollenweger (Teil 3): Wer schlägt zu Hause zu?
WOZ: Wir haben letzte Woche vor allem von den Rasern gesprochen, die in Ihren Programmen lernen, ihr Verhalten zu ändern. Sind Sie in der Bewährungshilfe auch mit häuslicher Gewalt konfrontiert?
Heidi Hollenweger: Ja. Da haben wir ein Lernprogramm «Partnerschaft ohne Gewalt».
Seit zwei Jahren gilt häusliche Gewalt als Offizialdelikt. Hat sich durch das neue Gesetz die Situation verbessert?
Mir ist nicht bekannt, dass es nun weniger Fälle gibt. 975 Schutzmassnahmen hat die Polizei im Kanton Zürich dieses Jahr bei häuslicher Gewalt schon angeordnet. Und was die Offizialdelikte anbelangt, so besteht aus meiner Sicht ein Schlupfloch.
Inwiefern?
Das Opfer – mehrheitlich die Frau – kann auf der Staatsanwaltschaft die Sistierung des Verfahrens beantragen. Wenn innerhalb eines halben Jahres kein neuer Vorfall gemeldet wird, wird das Verfahren in der Regel definitiv eingestellt. Das passiert relativ oft.
Warum lassen sich die Opfer darauf ein?
Ein Grund kann sein, dass die Frau von ihrem Partner unter Druck gesetzt wird. Die geschlagenen Frauen haben oft auch Schuldgefühle. Es gibt zudem viele Frauen, die ihren Partner nicht verlieren wollen, obwohl sie von ihm geschlagen werden.
Weil sie wirtschaftlich von ihm abhängig sind?
Ja. Viele würden nach der Trennung sehr schlecht dastehen, finanziell, aber auch – wenn sie keinen Schweizer Pass haben – hinsichtlich ihrer Aufenthaltsbewilligung. Dann gibt es auch Frauen, die nicht loslassen können, weil sie Angst vor dem Alleinsein haben, Angst, die Kinder alleine aufziehen zu müssen.
Welcher Typ Mann schlägt zu Hause zu?
Es sind alle Bevölkerungsschichten vertreten – Ausländer wie Schweizer, Arbeiter wie Akademiker, 25- wie 60-Jährige. Und Frauen sind nicht immer nur die Opfer. Wie in der gesamten Delinquenz beträgt der Frauenanteil auch hier rund neun Prozent. Uns werden von der Polizei pro Woche eine bis zwei Frauen gemeldet.
Wie bringt man Männern Gewaltfreiheit bei?
Im Lernprogramm geht es um folgende Themen: Verantwortung für die Tat übernehmen, sich mit der eigenen Gewalt auseinandersetzen, Auswege erkennen, Selbstkontrolle üben, partnerschaftlich denken und handeln sowie Rückfälle verhindern.
Was gibt es denn für Strategien, nicht zuzuschlagen, wenn die Faust schon in der Luft ist?
Besser ist, innezuhalten, noch bevor die Faust in der Luft ist. Es geht beispielsweise darum, Reizwörter zu erkennen. Weiter gibt es das Auszeitmodell, das wirklich wirksam ist. Im kritischen Moment sagt der Betroffene: «Stopp! Jetzt gehts mir zu weit. Ich laufe um den Block, gehe einen Kaffee trinken und komme in einer Stunde wieder zurück.» Dann hat sich die Situation häufig beruhigt.
Und das soll helfen, auch dann, wenn der Betroffene alkoholisiert ist?
Je mehr Alkohol im Spiel ist, desto weniger ist er in der Lage dazu. Deshalb ist das Thema Alkohol auch ein Bestandteil des Programms. Ganz wichtig ist auch, dass sich die Teilnehmer damit auseinandersetzen, was Gewalt für das Opfer heisst.
Täter argumentieren oft, sie seien provoziert worden ...
Vielfach liegen Streitereien zugrunde, auch gegenseitige Provokationen. Unsere Haltung ist jedoch, dass Gewalt einfach nicht drinliegt. Derjenige, der sie ausübt, ist im Unrecht und muss sein Verhalten ändern. Um einen anderen Kommunikationsstil zu lernen, braucht es in manchen Fällen aber schon beide Parteien.
Hat die Wirtschaftskrise Auswirkungen auf Gewalt in Beziehungen?
Aktuell spüren wir noch nichts. Aber ich kann mir vorstellen, dass bereits bestehende Probleme in Beziehungen sich durch die Wirtschaftskrise noch verschärfen werden, etwa wenn jemand arbeitslos wird. Der Hang, Gewalt auszuüben, muss allerdings schon vorher gegeben sein.
Diese Woche gehen Sie vorzeitig in Pension. Wie sehen Ihre letzten Arbeitstage aus?
Ich bin dabei aufzuräumen und arbeite meinen Nachfolger ein. Und dann heisst es Abschied nehmen von Menschen, mit denen ich viele Jahre zusammengearbeitet habe. Das ist natürlich auch mit Wehmut verbunden.
Vorfreude und Wehmut – wie haben Sie sich auf den Ruhestand vorbereitet?
Mir ist wichtig, möglichst viel offen zu lassen und den nächsten Lebensabschnitt nicht schon zu verplanen. Darauf freue ich mich.
HEIDI HOLLENWEGER, 61, geht in Pension. Sie war zwanzig Jahre in der Bewährungshilfe des Kantons Zürich tätig, seit 1999 leitete sie die Abteilung Lernprogramme, wo unter anderen Raser und Schläger lernen, ihr Verhalten zu ändern.