Pazifismus: Israels friedliche Stimmen

Nr. 3 –

Wo steckt die israelische Linke? Warum steht eine Mehrheit der israelischen Bevölkerung hinter dem Krieg? Ein israelischer Politologe erklärt.


Einige Stunden nachdem die israelische Luftwaffe damit begonnen hatte, den Gazastreifen zu bombardieren, versammelten sich die ersten israelischen FriedensaktivistInnen auf der Strasse zum Protest.

Zu Beginn waren es nur wenige - und dies hat mit den Entwicklungen der letzten Jahre zu tun: 2005, als der damalige Ministerpräsident Ariel Scharon den einseitigen Rückzug aus dem Gazastreifen durchsetzte, erhielt er von den Moderaten und PazifistInnen - in Israel wie im Westen - grossen Applaus. Wunderbar, sagten sie, darauf haben wir seit 1967 gewartet. Und da die israelischen SiedlerInnen und ihre rechten politischen Verbündeten Scharons Plan lauthals verurteilten, fühlten sich die Moderaten in ihrer Position bestärkt. Dennoch gab es auch eine kleine Minderheit von Linken, die gegen den Rückzug waren - und sie hatten guten Grund: Zwar sei ein Rückzug überfällig, sagten sie, doch dazu brauche es ein Abkommen mit den PalästinenserInnen.

Ein grosses Gefängnis

Genau dies war nämlich nicht der Fall: Israels Rückzug war vor allem ein Mittel, um die Besetzung des palästinensischen Westjordanlandes zu stärken. Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas wurde im Vorfeld zu keinem einzigen Gespräch eingeladen; kurz drauf verlor seine Fatah-Partei die palästinensischen Parlamentswahlen von 2006 gegen die Hamas, und der Gazastreifen wurde in ein grosses Gefängnis umgewandelt, welches seither von aussen durch die israelische Armee kontrolliert wird.

Der Beschuss von Sderot, einer kleinen armen israelischen Stadt, und deren Umgebung durch Kassamraketen hatte bereits 2000 mit dem Beginn der zweiten Intifada begonnen. Die EinwohnerInnen dachten zuerst, dass dies mit dem israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen aufhören würde. Doch das war nicht der Fall. Deshalb bestrafte Israel die PalästinenserInnen etwa durch die Abriegelung der Grenzübergänge und den Unterbruch von Öllieferungen. Daraufhin intensivierte sich der Raketenbeschuss.

Der Waffenstillstand, der vor rund sieben Monaten begann, war für beide Seiten ein Segen. Von Zeit zu Zeit schossen verschiedene palästinensische Gruppen einige Raketen ab. Doch die Lage war ziemlich friedlich - bis zum Zeitpunkt, als israelische Truppen Anfang November die Grenze überschritten und mehrere Palästinenser töteten, die verdächtigt wurden, einen Angriff auf israelische Soldaten vorzubereiten. Von da an fielen immer mehr Raketen auf Israel und viele Israeli fingen an, der rechten Opposition zuzustimmen: Israel müsse handeln.

«Verräter!»

Kurz nach den ersten israelischen Angriffen vor drei Wochen begann es überall im Süden Israels Raketen zu hageln - unter anderem auch iranische, mit einer weitaus grösseren Reichweite. Genau dies mobilisierte die grosse Mehrheit der Israelis für den Krieg - und lähmte die moderaten Kräfte. Von da an sprachen auch führende Mitglieder der linken Meretz-Partei und bekannte Schriftsteller wie Amos Oz von einem «gerechten Krieg». Rund achtzig Prozent der israelischen Bevölkerung unterstützen laut Meinungsumfragen den Krieg.

Die Medien, die Polizei und die politische Klasse sprechen vor allem von Antikriegsdemonstrationen in den arabischen Dörfern und Städten Israels - die Beteiligung jüdischer Israelis daran wird gänzlich ignoriert. Gut, die AraberInnen sind gegen den Krieg, aber die JüdInnen? Nur einige Verräter und Ignorantinnen können gegen einen gerechten Frieden sein, denken sie sich. Selbst in der liberalen Zeitung Haaretz gab es Stimmen, wie jene ihres Kolumnisten Ari Shavit, die den «gerechten Krieg» lobten und andere wie den Journalisten Gideon Levy an den Pranger stellten, der in derselben Zeitung über die Verbrechen der Flugwaffepiloten schrieb.

Für den Dialog

Eine Woche nach Beginn des Krieges demonstrierten Zehntausende AraberInnen in Sahnin, einer arabischen Stadt im Norden Israels. Einige Stunden danach gingen fast 10000 JüdInnen und AraberInnen in Tel Aviv auf die Strasse. Auch die Friedensorganisation Peace Now und die Meretz-Partei fordern inzwischen ein Ende des Krieges und haben am letzten Samstag zu einer Kundgebung aufgerufen. Und selbst im Süden des Landes, wo die Leute den Raketen ausgesetzt sind, beginnen die Menschen zu begreifen, dass die einzige Antwort auf die Raketen Verhandlungen sind. Der Widerstand wächst.