Durch den Monat mit Peter Niggli (Teil 4): Sind Sie revolutionär?

Nr. 17 –

WOZ: Peter Niggli, Sie sind Geschäftsleiter der entwicklungspolitischen Arbeitsgemeinschaft Alliance Sud, die die Frauenemanzipation in Entwicklungsländern fördern will. Besteht nicht die Gefahr, dass die Emanzipation als westlicher Import gesehen wird?
Peter Niggli: Wenn es eine soziale Bewegung gibt, die global ist und überall Fuss gefasst hat, dann ist es die Frauenemanzipationsbewegung. Gute Entwicklungszusammenarbeit arbeitet mit diesen lokal vorhandenen Gruppen zusammen. Natürlich gibt es von Land zu Land Unterschiede. Frauengruppen aus den Hauptstädten artikulieren sich anders als militante Kleinbäuerinnen. Was FeministInnen in New York bewegt, steht bei Frauenorganisationen in Bangladesch nicht zuvorderst.

Europa und die USA sehen sich oft als Frauenbefreier in der Dritten Welt.
Das ist ideologisches Geschwätz. Ausgerechnet die politische Rechte in Europa und Nordamerika, die jeden Emanzipationsschritt der eigenen Frauen bekämpft, posiert als Vorkämpferin für die Rechte der Frauen in muslimischen Ländern. Gleichzeitig blockierte jeweils die Bush-Regierung zusammen mit dem Vatikan und Saudi-Arabien in internationalen Organisationen Fortschritte im Abtreibungsrecht oder in der Aidsprävention.

Sprechen wir über Ihre Zeit vor der Alliance Sud. Sie waren in Ihrer Jugend bei der Revolutionären Aufbauorganisation Zürich.
Das ist Urgeschichte. Unser Grüppchen haben wir 1976 beerdigt. Aus offensichtlichen Gründen: Die Schweiz war von einer sozialen Revolution weit entfernt. Ich sah diese Revolution als Befreiungsakt der «Massen», also der Mehrheit der Bevölkerung. Die Resultate der Volksabstimmungen führten uns vierteljährlich ganz andere Mehrheiten vor Augen und wirkten sehr ernüchternd.

Haben Sie sich danach aus der Politik zurückgezogen?
Ich wollte aus dem linksradikalen Ghetto ausbrechen und die Welt erkunden. Als freier Journalist bereiste ich Konfliktregionen, die quer zum West-Ost-Konflikt standen: zum Beispiel Äthiopien, wo «68er»-Guerillas gegen eine von der Sowjetunion gestützte Regierung kämpften. Mich interessierte, wie dieser Konflikt ihre kommunistische Weltsicht veränderte. Die heutigen Machthaber Äthiopiens – eine dieser Guerillas – reagierten auf den Widerspruch mit gesteigertem Sektierertum: Sie orientierten sich damals an Albanien als letztem Hort des wahren Kommunismus. Nach 1989 haben sie diese Rhetorik dann rasch vergessen.

Wie kamen Sie in die Politik zurück?
Ich stieg Ende der achtziger Jahre wieder in die Politik ein. Damals war die Grüne Partei in einer sehr dynamischen und erfolgreichen Phase. Die Grünen schienen mir attraktiv, weil sie sich nicht an den Trümmern einer linksradikalen Vergangenheit abarbeiten mussten.

Sie waren dann sechs Jahre lang in Zürich Gemeinderat für die Grünen. Seit 1998 sind Sie Geschäftsleiter der Alliance Sud. Ist Ihre Arbeit hier befriedigender?
Ja. Es ist ein grosser Unterschied, ob man Parteipolitik oder professionelle Politikbeeinflussung macht. Parteipolitik ist selten berauschend. Zudem verbringt man einen grossen Teil der Zeit damit, Wahlkampf zu betreiben. «Wahlkampf» gibt es auch parteiintern – die grössten Rivalen sitzen in der eigenen Partei, ihnen gegenüber sind die eigentlichen politischen Gegner harmlos. Da ich im Gegensatz zu meiner Partei den EU-Beitritt befürwortete, verlor ich den internen «Wahlkampf» – und bis zu meiner Pensionierung wollte ich nicht im Gemeinderat sitzen bleiben.

Wie erlebten Sie den Wechsel zu Alliance Sud?
In einem gewissen Sinn knüpfe ich wieder an meiner politischen Jugend an. Nach der Beerdigung der «Revolution» habe ich mich lange mit dem real existierenden Sozialismus beschäftigt, um zu verstehen, wieso Anspruch und Wirklichkeit derart weit auseinanderdrifteten. Heute beschäftige ich mich mit den Konflikten zwischen Entwicklungs- und Industrieländern und den Problemen der Globalisierung  mit anderen Worten mit dem real existierenden Kapitalismus. Dessen Anhänger haben ein ähnliches Problem wie die alten Kommunisten. Sie beklagen, dass ihre Ideen durch die Menschen oder die Politik nur ungenügend, fehlerhaft oder zu wenig konsequent umgesetzt würden – weshalb wir uns heute in der grossen Krise befänden. Auf ähnliche Weise versuchten wir früher die gute emanzipative Idee des Kommunismus von seiner abschreckenden Realexistenz abzuheben. Das sind die Probleme der Utopien des 19. Jahrhunderts, von denen nach 1989 nur noch der Liberalismus übrig geblieben ist.

Peter Niggli (59) ist Geschäftsleiter von Alliance Sud, der entwicklungspolitischen Arbeitsgemeinschaft von Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas und Heks.