Durch den Monat mit Jyoti Guptara (Teil 2): Sind Sie ein Krieger?

Nr. 20 –

Jyoti Guptara: «Ich würde mich gerne als Krieger gegen Ignoranz und engstirniges Denken bezeichnen.»

In Ihren Calaspia-Romanen geht es häufig um Krieg und Konflikt. Woher kommt die Faszination für das Thema?
Jyoti Guptara: Das ist vielleicht ein grundlegendes Phänomen bei Schriftstellern: Eine Geschichte muss einen Konflikt enthalten, eine Konfrontation zwischen Protagonisten und Antagonisten. Krieg und Kampf gehören da zu den gängigsten Ausdrucksformen, ganz besonders in der Fantasy-Literatur. Allgemein faszinieren uns Menschen Abenteuer und Kampf, da diese einen tieferen kosmischen Krieg reflektieren, der jedes Menschenleben ins Kreuzfeuer zerrt. Auf irgendeiner Ebene wissen wir, dass dieser Kampf existiert; darum sprechen uns diese Geschichten an. Die Anziehung, die Konflikte auf uns ausüben, ist die Anziehung der Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse selbst.

Sie sind aber selbst kein Fan von Krieg?
Auf keinen Fall. Ich bin eher ein Pazifist, auch wenn ich anerkenne, dass es Fälle gibt, in denen Gewalt verhindert werden kann, indem man Gewalt anwendet.

Sie sind vor kurzem eingebürgert worden. Leisten Sie Militärdienst?
Ich bin für die Rekrutenschule, die ich demnächst beginnen werde, als Panzergrenadier in Thun eingeteilt. Ich wollte eigentlich Zivildienst machen, da ich das für sinnvoller halte, stand aber genau vor dem Dilemma, dass ich als Schriftsteller vom Krieg erzähle, ohne die Erfahrung gemacht zu haben: Wie sieht das aus mit Befehlsstrukturen? Was sind das für Erfahrungen auf Märschen?

Militärdienst als Recherchemöglichkeit …?
… und auch, um fit zu werden. Das Leben als strukturloser selbstständiger Schriftsteller fordert seine Opfer – die Gesundheit allem voran – und dachte mir, das sei wohl die letzte Möglichkeit, meine jugendlichen Kräfte zu mobilisieren.

Das erklärt nicht, wieso Sie zu den Grenadieren gehen. Das ist fast eine Eliteeinheit?
Ich sagte mir, wenn schon, denn schon. Ich fand es ziemlich witzig, dass ich, der seit fünf Jahren keinen Sport betrieben hatte, die dafür nötigen Punkte im körperlichen Eignungstest zusammenbrachte, ohne mich sonderlich anzustrengen. Und an der Aushebung hörte ich, die durchschnittliche Lebenserwartung eines Panzergrenadiers im Kriegsfall liege bei sieben Sekunden.

Das war ein Argument, sich für diese Einheit zu melden?
Es ging darum, dass das eine richtige Kampfeinheit ist. Und ich darf ja zum Glück davon ausgehen, dass die Schweiz in nächster Zeit nicht in einen Krieg eintreten wird. Und gegen Piraten braucht es auch keine Panzergrenadiere.

Sie haben sich früher für Promofotos immer mit einem Schwert ablichten lassen. Wieso?
Das passte natürlich zum Klischee des Fantasyautors, diese mittelalterliche Romantik und Mystik des Ritters. Im zweiten Calaspia-Roman «Der Schwertkodex» geht es auch um solche Konzepte: Elitekrieger, die einem strengen Ehrenkodex folgen. Wobei sich immer die Frage stellt, wie so ein Kodex interpretiert wird.

Oder wer ihn interpretiert?
Genau. Das ist bei religiösen Texten nicht anders. In der Bibel gibt es zum Beispiel einen Vers, der besagt, dass eine Mutter vierzig Tage lang als unrein gilt, wenn sie einen Jungen geboren hat, und achtzig Tage, wenn sie ein Mädchen geboren hat. Mich hat letzthin eine Bekannte darauf aufmerksam gemacht, dass dies nicht frauenfeindlich sei, sondern auch als «Feier des Frauseins» ausgelegt werden kann. Was heisst schon unrein? Die Mutter darf während dieser Zeit nicht arbeiten – das ist nichts anderes als ein Mutterschaftsurlaub.

Der Schriftsteller Paulo Coelho beschrieb sich selbst als Krieger des Lichts. Sehen Sie sich auch als Krieger?
Ich würde mich gerne als Krieger gegen Ignoranz und engstirniges Denken bezeichnen. Vielleicht ist das anmassend, aber ich gebe mir Mühe, diesem Bild gerecht zu werden. Als Autor habe ich da gewisse Möglichkeiten erhalten: So sind mein Bruder Suresh und ich am Global Humanitarian Youth Forum, einem Projekt von Ex-Uno-Generalsekretär Kofi Annan, eingeladen, über Eskapismus und Klimaerwärmung zu sprechen. Das ist eine einzigartige Gelegenheit für uns, den «Krieg» auf einem ganz anderen Podium auszufechten.

Jyoti Guptara (20) ist einer der jüngsten Berufsschriftsteller der Welt. Mit sechzehn Jahren wurde sein Erstling «Die Verschwörung von Calaspia», den er gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Suresh verfasst hatte, in Indien veröffentlicht und entwickelte sich zum Bestseller. Der zweite Band «Calaspia. Der Schwertkodex» ist im April auf deutsch erschienen. Jyoti Guptara lebt und arbeitet in Weinfelden.