Durch den Monat mit Jyoti Guptara (Teil 3): Sind Sie gläubig?

Nr. 21 –

Jyoti Guptara: «Viele Christen glauben lieber an einen kirchenförmigen Gott, ­anstatt gottförmige Kirchen zu haben.»

Jyoti Guptara, Ihre Calaspia-Romane drehen sich um den Kampf zwischen Wahrheit und Wahnsinn. Ist das ein zentrales Thema in Ihrem Leben?
Das müsste für jeden ein Thema sein: So vieles, das derzeit geschieht, kann man nur noch als Wahnsinn bezeichnen. Die Finanzkrise ist da nur ein Beispiel von vielen: Da werden wir mit exotischen Erfindungen wie Credit-Default-Swaps und Derivaten konfrontiert, in denen plötzlich mehr Geld steckt, als die Welt wert ist! Da bleibt mir nur ein Kopfschütteln.

Gibt es denn eine Wahrheit, die diesem Wahnsinn gegenübersteht?
Vieles ist zur Wahrheit geworden, einfach, weil es immer wiederholt wurde. Sogar heute nehmen wir an, dass das meiste richtig ist, was uns von gewissen Autoritäten erzählt wird, bloss sind es nicht mehr religiöse, sondern wissenschaftliche, ökonomische, politische. Immerhin ist die Frage, was Wahrheit überhaupt sei, mit der Postmoderne wieder hip geworden.

Was ist mit der Religion? Sie stammen selber aus einer christlichen Familie …
Meine Familie ist gemischter Herkunft. Meine Mutter ist Christin, kommt aber aus einer rationalistischen, spirituell faulen Familie. Mein Vater war Atheist, heute bezeichnet er sich als «Hindu Nachfolger Jesus». Als ethnischer Hindu, der den Lehren Jesus folgt. Die Familie seiner Mutter wurde vor fast 2000 Jahren vom Apostel Thomas bekehrt, gehört also zu den sogenannten Thomas-Christen.

Davon habe ich noch nie gehört …
Viele glauben, die indischen Christen seien von den Engländern missioniert worden. Aber es gab in Indien schon Christen, bevor die Religion in Europa aufkam.

Wie verträgt sich der christliche Glaube mit anderen kulturellen Gegebenheiten, zum Beispiel dem Kastensystem?
Die indische Philosophie befiehlt die Ungleichheit der Menschen, während Jesus Gottes Realität aufzeigt, in der alle Menschen gleichwertig sind. Die Nachfolger Jesu lehnen darum das Kastensystem ab und werden als Folge davon ausgestossen und «unberührbar». Die Familie meiner Grossmutter väterlicherseits gehörte ursprünglich zu den Brahmanen, der höchsten Kaste, trotzdem war sie für ihren traditionell hinduistischen Schwiegervater inakzeptabel, weil sie Christin war. Er gehörte zu den Banjas, den Händlern, eine Tradition, die mein Vater als Banker fortsetzt. Meine Grosseltern hätten gar nicht heiraten dürfen.

Und Ihr Grossvater konvertierte, um heiraten zu können?
Sein Studium in Oxford überzeugte ihn, dass das Kastensystem ungerecht sei. Er wurde Christ, damit er heiraten konnte. Ob er sich Jesus anvertraute, weiss nur Gott.

Wie fliessen diese Geschichten in Ihre Bücher ein?
In Calaspia gibt es den «Orden von Itrim», eine Mischung aus Wissenschaftlern und Magiern, die das Wissen kontrollieren, das meiste davon für sich behalten und dann gezielt einen kleinen Teil der Technologie, die sie besitzen, ans Volk weitergeben. Das erinnert auf jeden Fall an das Kastensystem: Das Wissen lag lange Zeit nur bei den Brahmanen; Mitgliedern einer tieferen Kaste, die etwas Verbotenes gehört hatten, wurde Blei ins Ohr gegossen, als symbolische Strafe.

Sind Sie selber auch gläubig?
Metaphysische Fragen können Menschen von sich aus nur begrenzt beantworten; alles beruht auf nicht beweisbaren Grundannahmen. Es sei denn, die Wahrheit wird offenbart. Jesus offenbart die Realität, und wenn ich darauf vertraue, werde ich als Mensch verwandelt, ich entdecke meine Verantwortung der Gesellschaft und der Umwelt gegenüber, und ich finde den Zweck meiner Schöpfung. Das ist nicht das Gleiche, wie religiös zu sein.

Inwiefern nicht?
Laut der Bibel ist Gott «Logos», die Ordnung, der Sinn, die Wahrheit – Religionen verzerren diese Wahrheit, genauso nichtreligiöse Menschen. Jesus selber war ja auch nicht religiös. Im Gegenteil: Er hat viele religiöse Konzepte weggewischt. Das sollten seine Nachfolger auch. Viele Menschen, die sich als Christen bezeichnen, tun dies nur aus Tradition: Sie glauben lieber an einen kirchenförmigen Gott, anstatt gottförmige Kirchen zu haben. Diese Christen folgen Jesus nicht nach, und viele Nichtchristen folgen Jesus nach. Kirchen sind konform und traditionsträchtig. Jesus ist radikal and revolutionär.

Jyoti Guptara (20) ist einer der jüngsten Berufsschriftsteller der Welt. Sein Erstling «Die Verschwörung von Calaspia», den er gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Suresh verfasst hatte, wurde in Indien zum Bestseller. Der zweite Band «Calaspia. Der Schwertkodex» ist im April auf Deutsch erschienen. Jyoti Guptara lebt und arbeitet in Weinfelden.