Fussball und Gewalt: Wollen wir Härte?

Nr. 22 –

Knallt es im Fussball, fordern PolitikerInnen jedes Mal mehr Repression. Doch alle Härte blieb bisher ohne Resultat. Wie denn auch: Wer Gewalt auf diese Weise abschaffen will, muss das Publikum abschaffen.


Schnellrichter, Stehplatzverbot, Geisterspiele, Biometrie, Gefängnis, Pranger, Fanpass - die Liste der geforderten Massnahmen gegen Fussballgewalt ist lang. Und vielsagend. Seit Jahren gelangt das Thema in berechenbarer Regelmässigkeit auf die Titelseiten, doch die Stossrichtung bleibt stets dieselbe: Wir wollen Härte! Weil Härte bisher aber keine sichtbaren Folgen gezeitigt hat, muss jede neuerliche Kampagne die jeweils letzte übertreffen, indem sie mehr Härte fordert. Und dann noch mehr. Bis es, wie jetzt, nur noch grotesk wird.

Gute Idee, Frau Keller-Sutter!

St. Gallens Justizdirektorin Karin Keller-Sutter kündigt eine Reise nach England an, um zu erfahren, wie dort das Hooligan-Problem gelöst wurde. Das ist eine gute Idee. Frau Keller, 45, wird hören und sehen, dass in Englands höchster Liga Menschen wie sie die Spiele besuchen: Frauen und Männer mittleren Alters, mit etwas Geld. 44-jährig ist im Durchschnitt, wer sich Premier-League-Spiele im Stadion anschaut, und nicht unter fünfzig Franken kostet das günstigste Ticket. England hat nicht die Gewalt aus den Stadien verbannt, sondern die Klientel, die zu Handgreiflichkeiten tendiert: junge Männer.

In der Schweiz existiert keine aktuelle Erhebung zum Durchschnittsalter von Fussballfans, doch wer sich gelegentlich in einem der zehn Super-League-Stadien aufhält, wird auf den ersten Blick erkennen, dass die Spiele zu einem grossen Teil von Männern zwischen fünfzehn und dreissig besucht werden. Sie bilden das Gros jeder Fankurve - und die selbst in sportlich kargen Zeiten dicht bevölkerten Fankurven machen den Hauptteil des Publikums aus. «Es ist die freie Wahl der Schweizer Klubs, ob man diese Leute überhaupt in den Stadien will», sagte FC-Basel-Vizepräsident Bernhard Heusler vergangenen Oktober bei einem Gespräch mit der WOZ. Um sogleich klarzustellen, dass der FCB diese Leute will: «Hundertprozentig! Will man sie nicht, kann man über den Preis den Fussball so kommerzialisieren, dass die Identifikation völlig wegfällt, die Ideale verloren gehen und damit auch die Fans, welche heute den Kern bilden.»

Heusler ist ein kluger Mensch und in seiner Differenziertheit eine wohltuende Stimme gegen den kläffenden Repressionsmob. Doch Heusler ist auch Realist: Die Fans über den Preis aus den Kurven verbannen hiesse die Stadien zu leeren, und zwar langfristig. Im Gegensatz zu England steckt im Schweizer Fussball kaum Geld. Attraktive, international bekannte Spieler lassen sich frühestens als Sportinvalide von unseren Klubs verpflichten, vorher sind sie um Welten zu teuer. Schweizer Fussballfans kommen aus Gewohnheit, nicht in Erwartung einer spielerischen Offenbarung. Und die Nachwuchsfans im Kindesalter, um deren Sicherheit gerade alle so fürchten, schielen mindestens so oft in die Kurve wie aufs Feld. Denn dort wird jenes Spektakel geboten, das sich die Klubs beim Personal nicht leisten können.

Was tun wir mit den Lümmeln?

All jenen, die heute mehr Härte gegen Fehlbare und FeuerwerkerInnen fordern, sei empfohlen, einmal in ihrem Leben eine Auswärtsfahrt mitzumachen. Wenn ein Turnverein mit dem Zug an ein Fest fährt, wird es laut und heiter, und die Minibar wird geleert. Ob sich Mitreisende an der oft hemdsärmligen Frivolität stören, ist den gut Gelaunten egal. Die Auswärtsfahrt von Fussballfans ähnelt einem solchen Ausflug, mit dem Unterschied, dass statt fünfzehn fünfhundert Leute unterwegs sind, die sich zuvor im Coop für einen Betrag unter zehn Franken zehn Dosen Bier gekauft haben. Noch Mitte der neunziger Jahre beschränkte sich das Phänomen der Auswärtsfans auf den FC Basel. GC oder der FCZ brachten es oft nicht auf eine dreistellige Zahl SchlachtenbummlerInnen. Heute bewegen sich Wochenende für Wochenende Tausende junger Leute durch die Schweiz. Fussballfans sind die mit Abstand grösste, lauteste und auffälligste jugendliche Subkultur. Viele davon geben ihr ganzes Geld für den Fussball aus, malen in der Freizeit neue Fahnen, beteiligen sich an Choreografien (ja, oft mit Feuerwerk!), üben neue Lieder ein, setzen sich kritisch mit der Kommerzialisierung im Profifussball auseinander und organisieren mit den SBB Extrazüge durch halb Europa. Die massenmedial gefütterte Öffentlichkeit stellt sich aber nur eine Frage: wie diesen Lümmeln beizukommen ist.

Bevor diskutiert werden kann, warum sich die Fronten zwischen den gegnerischen Fangruppierungen so verhärtet haben, warum das Freund-Feind-Schema dermassen aus dem Ruder gelaufen ist, dass Steine fliegen und Hass regiert, wäre es sinnvoll, das Schweizer Fussballpublikum als gegeben zu akzeptieren und die Arbeit aufzunehmen. Sie wird lange dauern. Bernhard Heusler vom FCB weiss es.