Fussball und Gewalt: Die sogenannte Lösung

Nr. 40 –

Nach den Ausschreitungen beim Zürcher Fussballderby am letzten Sonntag fordern Vereine, Politik und Presse einhellig die Ächtung der Fehlbaren. Und blenden dabei Entscheidendes aus.


Die Verantwortlichen beim FC Zürich wollten sich am Sonntagabend nicht näher zu den Vorfällen äussern. In ihrer knappen Medienmitteilung schreiben Klubpräsident Ancillo Canepa und die beiden FCZ-Medienverantwortlichen: «Es ist in höchstem Masse bedauernswert, dass eine Minderheit sogenannter ‹Fans› permanent derartige Probleme verursacht.» Ein kurzer Satz der Entrüstung. Doch er erzählt eine lange Geschichte von Missverständnissen, Annäherung und enttäuschten Hoffnungen.

Rund eine Stunde war gespielt im Zürcher Stadtderby, dem spielerisch dürftigsten seit Jahren, als sich einige Dutzend Fans der Grasshoppers in ihrem Sektor vermummten und mit abgebrochenen Plastikfahnenstangen bestückten. So zurechtgemacht, führten sie ein kleines Theaterstück auf, gedacht als Verhöhnung der FCZ-Fangruppierung «Boys»: Ein als Ritter – das Logo der «Boys» – verkleideter GC-Fan tanzte hinter mehreren Fahnen, die vor Jahren bei einem Einbruch in ein FCZ-Fanlokal erbeutet worden waren und nun, mit einem Geburtstagswunsch an die «Boys» versehen, verschmiert präsentiert wurden. Die Provokation verfehlte ihr Ziel nicht: Aus dem Sektor der Zürcher Südkurve kletterten zahlreiche, meist vermummte Leute über die Absperrungen, überquerten die Osttribüne und rannten Richtung GC-Sektor. Zwei der vordersten schleuderten je eine Leuchtfackel in die Masse der gegnerischen Fans. Auf der Osttribüne stellten sich einzelne Empörte den entfesselten FCZ-Anhängern in den Weg. Sie wurden von diesen hart traktiert. Der Schiedsrichter brach das Spiel in der 76. Minute aus Sicherheitsgründen ab. Das hatte es in der Geschichte der Schweizer Fussballliga noch nie gegeben.

Aus der Mitte der Kurve

Was folgte, glich einem Ritual: Fernsehen, Radio und Presse schalteten auf Skandal. LeserInnen sandten beflissen Handyfilme an Onlineportale, der Zuger Sicherheitsdirektor forderte Eingangskontrollen bis in den Intimbereich und Zürichs Stadtrat Gerold Lauber Spielabbruch beim Abbrennen der ersten Fackel. Als der «Blick» am Dienstag einen der Fackelwerfer unvermummt präsentierte, schien das dringlichste Bedürfnis der Bevölkerung gestillt. Im Leben des jungen Mannes wird nichts mehr sein wie zuvor. Er wird nicht nur für seine Tat büssen.

Der junge Mann, von Ringier kenntlich gemacht im Sinne einer neuen Moral, ist einer jener «sogenannten Fans», die dem FCZ «permanent Probleme bereiten»: eine kleine, schlagkräftige Randgruppe nihilistischer Chaoten, denen mit keinen Mitteln beizukommen ist und von denen sich der Rest der guten, friedlichen Fans in der Kurve partout nicht abgrenzen will. So wird es dargestellt. Und daraus werden Lösungen formuliert: mit noch mehr Repression, noch mehr Überwachung und noch härteren Strafen die bösen Elemente eliminieren, damit die guten endlich ungestört die hübschen, kreativen Choreografien aufziehen können – das kann doch nicht so schwierig sein!

Es ist nicht schwierig, es ist unmöglich. In seiner Mitteilung suggeriert der FCZ zweierlei: Diese Leute hätten zum einen mit dem Verein nichts zu tun, zum andern seien sie ein Dauerproblem. Beides ist nachweislich falsch. Die Männer, die am Sonntag aus ihrem Sektor gestürmt sind, kommen aus der Mitte der Kurve. Sie sind Teil einer Bewegung, die über Jahre Zeit, Geld und Energie in den Support ihres Fussballklubs gesteckt hat. Sie waren immer dabei: beim Vorbereiten von Choreografien, beim Singen, beim Organisieren von Auswärtsfahrten, beim Verfassen von Medienmitteilungen und Flugblättern, bei der Produktion von Fanzines, aber auch beim Zünden von Rauch und Fackeln, bei Konfrontationen mit dem Sicherheitsdienst oder gegnerischen Fans. Es gibt sie nicht, die Guten, die man hätscheln, und die Bösen, die man einsperren kann. Die Fankultur, wie wir sie heute bei allen grossen Schweizer Vereinen antreffen, ist eine für Aussenstehende zutiefst widersprüchliche. Klubs und Liga stehen seit Jahren vor dem Problem, sich mit dieser Kultur arrangieren zu müssen, weil sie dem Schweizer Fussball unbestritten das bisschen Leben einhaucht, das er zu einer halbwegs vernünftigen Vermarktung braucht.

Die «sogenannten Fans» (die Bezeichnung ist längst Szenenjargon: Eine CD mit Fanliedern des FC Luzern heisst «So genannti Fuessballsongs») sind Teil des Vereins, und Probleme bereiten sie, gerade im Fall des FC Zürich, höchst selten. Im Gegenteil: Der Profit, den der Verein aus der seit einem Jahrzehnt blühenden Südkurve zieht, lässt sich kaum beziffern. Vor zehn Jahren kannte der FCZ noch keine Merchandisingabteilung. Während 2002 zaghaft erste Versuche mit Biergläsern, Jasskarten und Kugelschreibern unternommen wurden, blühte in der Südkurve bereits ein reger Handel mit eigenen, zeitgemässen Fanartikeln. Erst als der Verein Produkte und Stil seiner Fans aus der Kurve kopierte (und dabei gar deren Slogans patentieren lassen wollte), schlug sich der Umsatz in Zahlen nieder. Heute liegt er bei rund zwei Millionen Franken, und der Mann, der im dunklen Kapuzenpullover (Preis: hundert Franken) finster für die FCZ-«Urban Collection» Modell steht, ist kein Ultra, sondern FCZ-Verteidiger Heinz Barmettler.

Der Teufel und der lange Löffel

Wenn sich der Vereinspräsident nun von den unliebsamen Begleiterscheinungen seiner Fankurve lossagen möchte, wirkt er wenig glaubwürdig.

Die 2010 im NZZ-Verlag erschienene Chronik des FCZ heisst, angelehnt an einen Fangesang, «Eine Stadt, ein Verein, eine Geschichte». Der Gesang negiert offensiv die Existenz des zweiten Zürcher Profivereins, des Grasshopper Clubs. Mit dieser Titelgebung wählt der FCZ ganz offiziell die Rhetorik jener, die im Fussball mehr sehen als ein Spiel und die, wie es in der aktuellen Ausgabe des Muttenzer-Kurve-Fanzines «Schreyhals» heisst, «die Auseinandersetzung mit gegnerischen Fangruppen als Bestandteil der Fankultur» sehen. «Wenn du mit dem Teufel isst, nimm einen sehr langen Löffel», lautet ein englisches Sprichwort. Es hat in der Führungsetage des FCZ offenbar noch nicht die Runde gemacht.

Beim Grasshopper Club, der sich bei seiner schwarz gekleideten Fanfraktion wohl demnächst für die Aberkennung eines sicher geglaubten Derbysiegs bedanken darf, sind die Verflechtungen zwischen Verein und Anhängerschaft laut gut informierten Kreisen noch viel enger. Die Fans übernehmen beim skelettierten Rekordmeister immer mehr Aufgaben, etwa im Hinblick auf das geplante Stadion Zürich. Mit Ausnahme des Medienchefs kennt sich mittlerweile kaum jemand im Tagesgeschäft von GC besser aus als die Fans, die im Gegensatz zu Vorstand und Management seit Ewigkeiten dieselben sind. Ohne sie – und die Provokateure vom Sonntag gehören dazu – würden die Grasshoppers wohl vom Netz genommen.

Schädliche Ehre

Die Zürcher Vereine wären gut beraten, offen zu kommunizieren und das mühsam aufgebaute Vertrauensverhältnis zu Teilen ihrer Anhängerschaft nicht durch Brachialrhetorik zunichte zu machen. Sie könnten sich dabei ein Beispiel an Alex Miescher nehmen, dem Generalsekretär des Schweizerischen Fussballverbands, der in diesen Tagen Standhaftigkeit und einen liberalen Geist bewies und auf billige Polemik verzichtete. In einem Interview sagte Miescher: «Es wird uns vorgehalten, wir gingen mit diesen Leuten zu pfleglich um. Ich akzeptiere den Vorwurf, weil ich der Überzeugung bin, dass es nicht anders geht.»

Die in die Vorfälle vom Sonntag involvierten Fans stellen sich derweil die Frage, ob verängstigte Unbeteiligte oder Spielabbruch, mediales Sperrfeuer und politisches Entrüstungsspektakel ein angemessener Preis sind für ein verqueres, archaisches Gezeter um Fahnen, Ehre und Revierhoheit. Die Ultrakultur, wie sie die Stadien seit einem Jahrzehnt überzieht, hat den Fussball aus einer muffigen, dumpfen, rechtsnationalen Misere befreit und sich innert Kürze zur grössten städtischen Subkultur entwickelt. Die Maxime der Härte als wesentlicher Bestandteil dieser Bewegung bringt jedoch nichts als Schaden, gegen innen wie gegen aussen. Wenn die Stärke einer Fanszene daran bemessen wird, ob sie sich klubfarbene Sturmmasken herstellen lässt oder zum Pyroschmuggel Stadiontore von Dorfvereinen stürmt, hat eine lebendige Subkultur ihren Zenit überschritten. Auf die Sympathien gemässigterer MatchbesucherInnen können ultraorientierte Fans so nicht mehr zählen. Das wurde am Sonntag im Zürcher Letzigrund deutlich. Wenn sich aber nicht nur der Verein, sondern auch Gleichgesinnte entsetzt abwenden, ist alles verspielt. Und die bedingungslose Unterstützung der Mannschaft wird zur Floskel.