Durch den Monat mit Danièle Gosteli Hauser (Teil 1): Shell boykottieren?
WOZ: Sie haben am Dienstag vor einer Tankstelle in Bern gegen den Erdölkonzern Shell demonstriert, weil der in Nigeria schwere Umweltschäden verursache. Wird Amnesty International zu einer zweiten Greenpeace?
Danièle Gosteli Hauser: Die Aktion fand zum Start einer internationalen Kampagne gegen Shell statt. Am gleichen Tag hat Amnesty einen Bericht zur Ölförderung in Nigeria publiziert. Darin geht es tatsächlich um die Verantwortung von Unternehmen bei Verschmutzung und Umweltzerstörung. Wir bringen aber einen anderen Blickwinkel ein als die Umweltschutzorganisationen, es geht uns primär um den Zusammenhang von Umweltschutz und Menschenrechten.
Um welche Menschenrechte geht es konkret?
Etwa das Recht auf sauberes Wasser oder das Recht auf Gesundheit. Oder grundsätzlicher gesagt: das Recht auf ein Leben in Würde. Ein Grossteil der Bevölkerung im Nigerdelta hat seine Lebensgrundlage verloren. Schlecht unterhaltene, rostende Ölleitungen mit Lecks, Methangasemissionen oder Luftverschmutzung durch das offene Abfackeln von Erdgas haben desaströse Auswirkungen auf die Bevölkerung. Sie lebt zu sechzig Prozent von Landwirtschaft und Fischerei. Wenn heute noch Fische gefangen werden, dann riechen die nach Öl und sind mit Giftstoffen verseucht.
Amnesty ist eher bekannt für Kampagnen zur Befreiung politischer Gefangener, gegen Folter oder für die Abschaffung der Todesstrafe. Ein Strategiewechsel?
Amnesty will sich tatsächlich stärker für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte einsetzen. Wichtig ist uns, zu zeigen, dass Menschenrechte gerade für arme Menschen von grosser Bedeutung sind und dass andererseits die Verletzung von Menschenrechten häufig direkt zu Armut führt. Den Kampf für die politischen Rechte werden wir deswegen aber nicht vernachlässigen.
Normalerweise kritisieren Sie Staaten, jetzt gehen Sie auf einen Privaten los.
Das ist ungewohnt und verlangt auch eine andere Taktik: Wir müssen die Unterstützung der Konsumenten gewinnen.
Wie?
Wir müssen das sehr bekannte Shell-Logo mit Bildern von der Realität der Umweltzerstörung in Nigeria verknüpfen. Wir haben das bei der Aktion am Dienstag bereits symbolisch gemacht, indem wir vor der Tankstelle Banner mit Fotos aus dem Delta hochhielten. An die Shell-Kunden haben wir dann Faltprospekte mit Protestpostkarten verteilt.
An wen richten sich die Postkarten?
Es sind zwei Postkarten. Die eine an Shell adressiert, die andere an die nigerianische Regierung. Im Kartentext werden die Säuberung der zirka 2000 verschmutzten Gelände und mehr Transparenz gegenüber der Bevölkerung gefordert. Zudem sollen bei bestehenden und künftigen Förderprojekten die Folgen für die Sozial- und Menschrechte zwingend geprüft werden.
Ein paar Tausend Postkarten werden wohl kaum ausreichen.
Wir rechnen ja auch mit einer langen Kampagne. Dabei kommt uns zugute, dass wir über Sektionen in vielen Ländern verfügen – auch in den Niederlanden und in Grossbritannien, wo Shell den Hauptsitz hat. Ich rechne in den kommenden Monaten mit vielfältigen Aktionen weltweit.
Ist sogar ein Boykottaufruf denkbar?
Shell ist leider nur ein Beispiel dafür, wie die Erdölindustrie Menschenrechte verletzt. Deshalb ruft Amnesty im Moment nicht zum Boykott auf. Wir werden aber alle Mittel prüfen, die mit unseren Prinzipien vereinbar sind und die den Druck auf Shell weiter erhöhen.
Am Tag nach dem Kampagnenstart hat bei Shell ein neuer CEO angefangen. Ist die Kampagne eine Art Begrüssungsgeschenk für ihn?
Der Zeitpunkt ist tatsächlich kein Zufall. Wie von Barack Obama nach seiner Wahl wird auch von einem neuen CEO erwartet, dass er in den ersten hundert Tagen seiner Amtszeit gewisse Taten vollbringt und Probleme anpackt. Wir haben Peter Voser, dem neuen Shell-CEO, bereits einen offenen Brief geschickt und hoffen sehr, dass er sich bald vor Ort in Nigeria ein Bild der Situation machen wird. Wir vermitteln ihm auch gerne unsere Kontaktpersonen in der Lokalbevölkerung.
Peter Voser ist ein Schweizer.
Das ist für unsere Sektion nicht unbedeutend. Die hiesigen Konsumenten können ihn so quasi als Landsmann ansprechen, wovon wir uns bessere Mobilisierungschancen versprechen – auch wenn sein Büro in den Niederlanden ist.
Danièle Gosteli Hauser (45) arbeitet seit siebzehn Jahren für Amnesty International Schweiz. Die bilinguale Bielerin ist zuständig für den Bereich Wirtschaft und Menschenrechte.