100 Wörter: Orientierungslose Wolken

Nr. 28 –

Auf hoher See herrscht meist gutes Wetter, weil den Wolken über dem Meer die Orientierung fehlt. Sie finden auch keine Berge zum Ausregnen, höchstens ein paar Wetterschwalben, die dem Klimawandel eine lange Nase drehen. Darum fläzten die beiden Hochseepassagiere Köbi und Röbi meist in Plastikliegestühlen auf dem Hinterdeck und warteten, bis der Seegang sie in einen angenehmen Dämmerzustand schaukelte. Dann träumten sie von Meerjungfrauen und Tiefseemonstern, erlebten wilde Tauchgänge und wachten mit gestärktem Appetit auf, um alsbald die nächste der täglichen sechzehn Speisungen einzunehmen. So kam es, dass sie am Zielhafen nicht nur gut ausgeruht, sondern kugelrund von Bord purzelten.

Stephan Pörtner ist Krimiautor («Köbi der Held») und momentan in den USA unterwegs, sonst lebt er in Zürich. Für die WOZ schreibt er Geschichten, die aus exakt 100 Wörtern bestehen.