Künstlerpartei: Jeder Mensch ein Hofnarr

Nr. 34 –

Die neu gegründete Partei will Gesellschaft, Wirtschaft und Politik umkrempeln. Als Erstes verlangt sie vom Bund 68 Milliarden Franken, die den Sozialwerken zufliessen sollen. Protokoll einer Parteisitzung.


Ort: Das Atelier von Arthur Berini in Zürich Wollishofen, nur einen Steinwurf von der Roten Fabrik entfernt.

Zeit: Ein warmer Dienstagabend im August, zwischen 18 und 20 Uhr.

AkteurInnen: Vorstand und Mitglieder der Künstlerpartei der Schweiz, abgekürzt KPdS (in Anlehnung an die Kommunistische Partei der Sowjetunion KPdSU).

Der harte Kern des Vorstands, bestehend aus den Kopräsidenten Marco Pellanda und Arthur Berini sowie den Mitgliedern Peter Pellanda und Jasmin Attinger-Stierli, sitzt um den langen, mit Farbspuren übersäten Holztisch, raucht Selbstgedrehtes und Filterware, trinkt Kaffee und diskutiert über die Lage der Nation.

Marco (zündet die erloschene Zigi nochmals an und dreht nervös am goldenen Fingerring): «Ja, ich glaube, es braucht eine andere Denkweise, es braucht auch mehr kulturelles Denken im normalen Umgang, im sozialen Umfeld und so, nicht dass man abends einfach nur noch Bock hat, irgendein Michael-Jackson-Memorial in der Kiste zu schauen, wie es fast alle gemacht haben, und auch die anderen Sachen, die uns hingeworfen werden, damit die Volksverblödung fortschreitet, siehe jeweils im Tram die Gratiszeitungen ...»

Jasmin (die Genferin hat einen welschen Akzent. Vor ihr auf dem Tisch liegt das Büchlein «Geld – Irdische Form für himmlischen Fluss» von Elisabeth Bond. Sie zitiert daraus): «Die materielle Dimension ist Teil der spirituellen Dimension, und hinter dem irdischen System des Geldes stehen die universellen spirituellen Lebensgesetze der Versorgung und der Fülle.»

Peter (hat Kaffee aufgesetzt und holt die zischende Espressokanne vom Herd. Dazu schweigt er, denn sein Bruder Marco und Gastgeber Arthur haben das Wort an sich gerissen).

Arthur (steht auf, weil er etwas klarstellen will und dafür genügend Anlauf nehmen muss. Es folgt ein Monolog, der von Trotzki über Hitler bis zu den USA und zur UBS reicht. Zum Abschluss sagt er:) «Wir müssen uns innerhalb des herrschenden Systems bewegen, aber wir treten als Hofnarr auf, der unbequeme Wahrheiten ausspricht.»

Alles ist miteinander verhängt

Kultur- und Medienfragen, soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Ethik, spirituelles Denken, globale Politik – die Künstlerpartei KPdS, im Dezember 2008 von Arthur Berini (59), Marco Pellanda (54), Markus Lumpert (56) und Urs Aliesch (41) gegründet, beschäftigt sich mit praktisch allen Zeitfragen, «weil ja alles miteinander verhängt ist», wie Berini betont, der unter anderem als Lichtkünstler arbeitet. Diese ganzheitliche Denkweise ist Segen und Fluch zugleich für die junge Kraft: Einerseits ist die Partei offen für jedwelche Ideen und wird so zum Sammelbecken für Fantasten aller Art; andererseits droht sie zum Jekami-Verein zu werden und sich mit ausschweifenden Diskussionen über Gott und die Welt zu blockieren. Um der «Partei ohne Programm» (Selbstdeklaration KPdS) mit einem harten Kern von einem Dutzend InitiantInnen und bislang etwa siebzig Mitgliedern dennoch eine gewisse Stossrichtung zu geben, hat die Gruppierung die eidgenössische Volksinitiative «68 Milliarden für die soziale Sicherheit» lanciert. Die Sammlung der Unterschriften startete im Juni; bis November 2010 müssen 120 000 beisammen sein.

Bei der Initiative geht es um die Geldspritze, die der Bund in der Hitze der Finanzkrise gesprochen hat. So kaufte die Nationalbank der UBS für 25 Milliarden Franken faule Kredite ab; das gesamte Rettungspaket umfasst laut KPdS stolze 68 Milliarden. Exakt diese Summe soll nun wieder «zurück ans Volk» fliessen, sagt Marco Pellanda. Ursprünglich habe man die Initiative auch so benennen wollen, doch die Bundeskanzlei meinte, «Volk» sei ein zu ungenauer Begriff. Also änderte der Zürcher Fotograf, dessen Bilder in Modepublikationen und Kochbüchern zu sehen sind, das Begehren in «68 Milliarden für die soziale Sicherheit» um. Die Idee ist die, dass der Bund diesen Betrag in einen Fonds einzahlt und mit den Zinsen AHV, IV und Arbeitslosenkasse saniert. Pro Jahr fliesst eine Milliarde Franken wieder zurück, sodass das Geld nach 68 Jahren, sprich drei Generationen, wieder in der Staatskasse ist.

JedeR darf dabei sein

Verspätet treffen ein: Reto, der Protokollführer; Eva, die Ideenbringerin; Jimmy, der Kassier, der auch Nachschub an Tabak mitbringt; Marcel, der schweigt; Iwan, der für die Partei zwei Handyklingeltöne gestaltet hat; und Markus Lumpert, der als Bundesratskandidat ins Rennen um die Couchepin-Nachfolge steigen wird.

Marco (verschafft sich, weil die Runde angeregt debattiert, mit lauter Stimme Gehör): «Wir möchten heute die Vollversammlung organisieren, wir brauchen Geld und Mitglieder für die Initiative.»

Eva (spricht wegen ihrer ungarischen Herkunft mit Akzent und bereitet sich sehr gründlich auf die Sitzungen vor, wie die dicke Arbeitsmappe beweist): «Ich bin enttäuscht, dass es mit der Sammlung der Unterschriften nicht besser läuft.»

Marco:«Das liegt an der Ferienzeit, aber klar müssen wir schauen, wie wir noch aktiver werden können. Wir müssen vor der Migros oder am Theaterspektakel Unterschriften sammeln und Leserbriefe in die Zeitungen bringen.»

Eva: «An der VV müssen wir vor allem Markus vorstellen, unseren Kandidaten für den Bundesrat!»

(Markus, ehemaliger Flight Attendant, heute Galerist, fährt sich über die gewellten Haare und nickt. Dann beginnt eine lebhafte Diskussion um Ort und Zeitpunkt der VV. Die Aschenbecher füllen, die Wassergläser leeren sich. Nach einer halben Stunde fällt der Entscheid: Die VV steigt am 16. September in der Kanzleiturnhalle Zürich.)

Warum eine Künstlerpartei? «Weil es in der Schweiz gut 200 000 Kulturschaffende gibt, die jährlich eine Summe von siebzehn Millionen Franken generieren», sagt Marco Pellanda. Hinzu kämen viele LebenskünstlerInnen, die bepfändet oder ausgesteuert seien; auch ihnen wolle man eine Stimme geben. Der Küsnachter mit Wohnsitz in Italien schwärmt zudem von der Achtzigerbewegung. Damals hätten die AktivistInnen mit wenigen Mitteln viel Kreatives geschaffen, was man heute wieder tun sollte. Parteimitglied könne jeder werden, man müsse nicht Künstler sein – hier hält man sich an Joseph Beuys («Jeder Mensch ein Künstler»). Dennoch verfolge die Gruppe «durchaus ernste Absichten»; die Initiative sei «keine Aktionskunst» und schon gar kein Gag. Komme sie zustande, müsse das Parlament zwingend darüber debattieren – schon das und das Zustandekommen der Volksabstimmung wären ein Erfolg, vergleichbar mit der Armeeabschaffungsinitiative. Pellanda: «Es geht uns um Werte wie Ehrlichkeit, Würde, Moral und um einen realen Sozialismus.» Diese Ziele wolle man aber «mit Humor und Ironie» angehen, die KPdS habe auch «etwas Dadaistisches».

Und etwas Prophetisches: «Als Künstler haben wir uns an ein Leben ohne Lohnarbeit gewöhnt», heisst es auf der Website der KPdS, «andere werden noch drauf kommen, dass das Schöpferische notwendig ist. Und ihre Zahl wird wachsen.» Dieses Zitat, das auch zu den Leitsprüchen einer Freikirche gehören könnte, wird in einem internen Arbeitspapier noch überflügelt: «Wir haben kein Programm, weil wir auf jede Frage, die sich stellt, unter neuem Himmel und über neue Erde zugehen wollen – um ihr gerecht zu werden und um am Leben zu bleiben.» Amen. In dieser Sprache sind auch die Argumentationen von Eva Jelmini gehalten, die sich engagiert mit dem ideologischen Unterbau der KPdS befasst. Konkret will die Web-Publisherin aus Uster «die Menschen aufrütteln». Dafür holt sie weit aus: «Vor dem Zweiten Weltkrieg hat sich eine antifaschistische Front formiert. Heute sollte sich auch ein umfassender Widerstand gegen das totalitäre System bilden, eine Bewegung gegen die Diktatur des Finanzsystems.» Um Unterschriften zu sammeln, will Jelmini als Sandwichfrau – mit einer Plakattafel vorne und hinten, wie es während der grossen Depression 1929 unter Arbeitslosen in New York üblich war – die Zürcher Bahnhofstrasse auf und ab gehen. Auf den Tafeln wird stehen: «Ich will kein Auto. Ich will keine Strassen. Ich will keinen Beton. Ich will kein Bankkonto. Ich will atmen!»

Auf die Frage, ob die KPdS missionarisch sei, antwortet Arthur Berini: «Was ist eine Mission? Wenn ein Christoph Blocher das Gefühl hat, ohne ihn gehe es nicht, dann hat er ja auch eine Mission. Jeder Politiker muss eine Art Mission haben, und auch wir wollen etwas an den Mann bringen. Aber wir vertreten das nicht diktatorisch, und auch nicht so wie die normalen Parteien. Bei uns können alle mitmachen, wie sie wollen; wenn einer eine Hanfinitiative lancieren will, dann kann er das, die anderen können mitziehen oder nicht. Das strukturiert sich wie in der Natur von selbst, aus dem Gefühl heraus und als Teil einer Ordnung, die wir in unserer Grobstofflichkeit oft kaum noch wahrnehmen.»

Etwas nüchterner bewerten Aussenstehende die Partei. «Die Initiative mit den 68 Milliarden ist sicher gut», sagt Adi Blum, Initiant des alternativen Schweizer Kulturministeriums, doch sei es fraglich, so viel Energie für den Aufbau einer neuen Partei einzusetzen. Monothematischen Gruppen könne zudem leicht der Schnauf ausgehen – siehe Autopartei. «Man kann sich fragen, ob man nicht besser innerhalb der bestehenden Gremien vermehrt für die Kultur lobbyieren sollte», bilanziert Blum. Hans Läubli vom Dachverband der Kulturschaffenden Suisseculture teilt seine Einschätzung: Die Idee einer Künstlerpartei und die 68-Milliarden-Initiative findet er persönlich sympathisch, aber «eine reine Künstlerpartei hat wohl auf dem realpolitischen Parkett kaum eine Chance».

Lautes Stimmengewirr im Atelier, die untergehende Sonne taucht die Rauchschwaden, die im Zimmer hängen, in leuchtendes Rot.

Marco: Wir müssen noch klären, wann die nächste Sitzung ist.

Arthur: Dienstag in einer Woche?

Plenum: Das ist schlecht, wegen der Champions League.

Arthur: Dann eben Mittwoch. Ich gebe noch eine Einladung raus.

Um 20.15 Uhr ist die Sitzung dann beendet.