OECD-Mindeststeuer: Wenn die Pharmabranche pfeift
Die Tiefsteuerkantone haben bei der OECD-Mindeststeuer alle ausgetrickst: In Basel kann sich Novartis künftig sogar die Löhne von Manager:innen vom Kanton bezahlen lassen.

Während sich Basel im November den Ablenkungen der Herbstmesse hingab, machten sich aus den Konzernzentralen der Stadt gestrenge Männer und Frauen auf den Weg, um die lokale Politik auf Kurs zu bringen. Einer nach der anderen trafen sie in einem Sitzungszimmer der grossrätlichen Wirtschafts- und Abgabenkommission ein: David Schoebel, «Head of Transfer Pricing» von Bayer, Katja Fleischer, «Vice President» von Lonza, dazu als Ehrengäste die Emissäre der Pharmagiganten Novartis und Roche. Vor der Sitzung war vorsorglich die höchste Geheimhaltungsstufe ausgerufen worden. Denn die Konzerne taten etwas, was sie vorher nie getan haben und künftig auch nie mehr tun werden: Sie legten ihre Bücher offen.
An der Kommissionssitzung lässt sich die gelenkte Basler Demokratie in Reinkultur bestaunen: Wenn die Pharmaindustrie pfeift, dann folgen alle, egal welcher politischen Couleur. Oder zumindest fast alle. Aber eins nach dem anderen.
CEO-Gehälter aus dem Steuertopf?
Seit 2024 gilt in der Schweiz die OECD-Mindeststeuer: mindestens fünfzehn Prozent auf Unternehmensgewinne für Konzerne mit einem Jahresumsatz ab 750 Millionen Euro. Für Firmen wie Lonza, Bayer, Novartis oder Roche also. Die Steuer soll dem ruinösen Steuerwettbewerb zwischen den beteiligten Staaten eine Untergrenze setzen; von rund 140 Ländern wurde sie mittlerweile implementiert, zwar noch immer nicht von den USA, aber etwa von den oft beschworenen asiatischen Standortrivalen Hongkong und Singapur. In der Schweiz wurde die Einführung per Volksabstimmung im Juni 2023 bestätigt, mit 78,5 Prozent Zustimmung. Zur Umsetzung wurde das Mittel einer Ergänzungssteuer gewählt: Bleiben die Kantone unter der vereinbarten Untergrenze von fünfzehn Prozent, zieht der Bund die Differenz ein – und verteilt den Grossteil der zusätzlichen Erträge wieder an die betreffenden Kantone zurück.
Keine zwei Jahre nach der Abstimmung zeigt sich, dass vom ursprünglichen Gedanken der Mindeststeuer kaum etwas übrig geblieben ist: Die Tiefsteuerkantone haben sie nach allen Regeln der Kunst ausgehebelt. In Basel-Stadt haben sich die zwei zuständigen Regierungsrät:innen Tanja Soland und Kaspar Sutter (beide SP) einen Fonds ausgedacht, in den die zusätzlichen Steuereinnahmen fliessen. Die Summe ist gewaltig: Bis zu 300 Millionen Franken sollen es gemäss der Regierung jährlich sein. Das Geld kommt jedoch nicht dem Gemeinwohl zugute, es soll so schnell wie möglich und möglichst umfangreich an die besteuerten Firmen zurückfliessen: Wer in Basel-Stadt und im Umland Forschung betreibt, kann sich künftig die Löhne der Forscher:innen aus dem Steuertopf bezahlen lassen.
Diese Form der Subventionierung mag durchaus mit den OECD-Regeln konform sein. Aber selbst für die Gehälter der Manager:innen soll es Geld aus dem Fördertopf geben, sofern sie «forschungsbezogen» zustande kommen, wie das Wirtschaftsdepartement auf Anfrage bestätigt. Gut möglich also, dass Novartis den Lohn von CEO Vas Narasimhan künftig dem Kanton in Rechnung stellt. Eine neue Dimension des Standortwettbewerbs. «Das Basler Standortpaket stützt die Idee eines fairen Steuerwettbewerbs», findet dazu das Wirtschaftsdepartement. Eine doch erstaunliche Interpretation.
Rote und grüne Zückerchen
Noch im letzten Sommer meldete Finanzdirektorin Soland grosse Vorbehalte gegenüber dem Fondsmodell an. Damals debattierte das Kantonsparlament die Schaffung eines Klimafonds. Das Parlament würde sich der eigenen Kompetenzen berauben, wenn es öffentliche Mittel in einen Fonds verschiebe. «Ermöglichen Sie keinen Parallelhaushalt», forderte Soland damals – und stellte nur wenig später einen regelrechten Schattenstaat für die Bedürfnisse der Pharmaindustrie auf die Beine. Nicht einmal eine jährliche Berichterstattung zu den geplanten Fördermassnahmen ist vorgesehen. Vor dieser Art der Subventionierung warnt sogar der wirtschaftsnahe Thinktank Avenir Suisse: «Bei einer solchen Förderpolitik ist höchste Vorsicht geboten», konstatiert dieser. Die Forschung werde dadurch kaum angekurbelt.
Dafür aber das Geschäft der Konzerne. Wobei dieses in Basel, das zeigten die Gesandten der Pharmaindustrie an der Kommissionssitzung im November auf, sowieso prächtig läuft. So erklärten sie den staunenden Politiker:innen, es seien viel höhere Einnahmen durch die Mindeststeuer zu erwarten als geschätzt, nämlich um die 500 Millionen Franken. Deshalb müsse der Fonds dringend erweitert werden, wie es im Bericht der Kommission heisst. Was hingegen nicht drinsteht, ist die gemäss WOZ-Informationen geäusserte Drohung, dass einzelne Firmen über den Abzug von Abteilungen nachdenken würden, sollte der Fonds nicht zustande kommen.
Die rot-grün dominierte Kommission vergrösserte den Rückzahlfonds daraufhin kurzerhand auf den gewünschten Betrag. Aber ganz fremdbestimmt wollte das Gremium dann doch nicht erscheinen – und verlangte deshalb, dass bis zu zwanzig Prozent der bereitgestellten Gelder in firmeneigene Klimaprojekte oder in die Unterstützung von Elternzeit fliessen.
«Ein Zückerchen für Grün und ein Zückerchen für Rot», befand Basta!-Grossrätin Heidi Mück, die sich in der Kommission gegen den Fonds gestellt hat. Die Debatte dazu findet im Grossen Rat in der kommenden Woche statt. In der Kommission forderte Mück, dass das viele Geld, wenn es schon nicht dem ordentlichen Haushalt zugutekomme, stattdessen für Projekte im Globalen Süden zur besseren medizinischen Versorgung aufgewendet werde. Doch ihre Vorschläge blieben chancenlos. Mück ist konsterniert: «Der Grundgedanke der Mindeststeuer war doch, den Steuerwettbewerb zu dämpfen, aber wir wechseln einfach vom Steuerwettbewerb zum Förderwettbewerb.»
Basel-Stadt will nicht nur jährlich 500 Millionen Franken an Unternehmen verschenken, der Kanton prellt auch den Bund um seinen Anteil an der Steuer. Die Gesamteinnahmen via Ergänzungssteuer wurden vom Bundesrat vor der Abstimmung im Juni 2023 auf 2,5 Milliarden Franken geschätzt, davon sollten 25 Prozent an den Bund gehen. Diese Formel war ein Kompromiss, eingebracht hatte ihn der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler (SVP). SP und Grüne hatten einen viel höheren Bundesanteil gefordert, der damalige Finanzminister Ueli Maurer gar keinen. Doch der vermeintliche Kompromiss überdauerte den Abstimmungssonntag nur kurz. Weil Basel-Stadt – wie mittlerweile die meisten anderen Tiefsteuerkantone von Genf bis Schaffhausen – nun die kantonale Gewinnsteuer anhebt, schmilzt die Ergänzungssteuer auf einen Bruchteil zusammen.
Mindeststeuer nach Schweizer Art
«Das ist eine Mentalität wie bei Ali Baba und den vierzig Räubern», sagt David Roth, SP-Nationalrat. Er stammt aus dem Kanton Luzern, der selbst mit den «haarsträubendsten Instrumenten Geld verteilt», so Roth (siehe WOZ Nr. 38/24). Für Roth ist die OECD-Mindeststeuer gescheitert: «Das wird man nicht korrigieren können.» Er fordert einen neuen Finanzausgleich zwischen den Kantonen, der die sich verschärfenden Unterschiede bei der Wirtschaftskraft berücksichtigt.
Ein Versuch, auf Bundesebene an der Umsetzung der OECD-Mindeststeuer rumzuwerkeln, ist aber noch traktandiert: Die Finanzkommission des Ständerats hat in seltener Eintracht verlangt, dass statt eines Viertels künftig die Hälfte der Ergänzungssteuererträge an den Bund gehen sollen. Mit dem zusätzlichen Geld soll die bislang unfinanzierbare Aufrüstung des Militärs angeschoben werden. Die Idee kommt im Frühling ins Parlament, hat es aber bereits schwer: Kompromissmacher Tännler hat als Reaktion auf den Vorstoss angekündigt, der Kanton Zug werde nun die kantonalen Steuern erhöhen, um dem Bund nicht mehr Geld überweisen zu müssen.
«Ein dummer Vorschlag», findet David Roth. Wenn schon, dann hätte die Finanzkommission eine Erhöhung der Bundessteuer auf Unternehmensgewinne verlangen müssen. Und Kommissionspräsident Jakob Stark (SVP) geht auf Distanz zur eigenen Idee: Er wolle sich nicht mehr dazu äussern, sagt er, zuerst nehme seine Kommission eine Gesamtschau der Armeefinanzierung vor.
So passt der ständerätliche Effort letztlich ins Bild der OECD-Mindeststeuer nach Schweizer Art: Statt mehr dürfte es am Ende für den Bund sogar weniger Geld geben. Und der Steuerwettbewerb dürfte ungebremst weitergehen.