Durch den Monat mit der Theatergruppe Schauplatz International (Teil 2): Verzauberte Menschen?

Nr. 45 –

«Für mich sind und bleiben sie Ware»: Albert Liebl von Schauplatz International (vorne) mit Pips, Lars Studer, Mäxx, Anna-Lisa Ellend, Nikki und Martin Bieri.

WOZ: Die Auftritte im Schlachthaus in Bern haben Sie hinter sich. Wie geht es den Maskottchen, kurz vor der Zürcher Aufführung von «Mascots» in der Roten Fabrik?
Anna-Lisa Ellend: Insgesamt gut, eher besser sogar. Sie sind sehr motiviert.

Martin Bieri: Vielleicht sogar leicht euphorisiert.

Ellend: In ihrer Glücksbringerrolle, die sie im Stück gegen Schluss verkörpern sollen, scheinen sie sich von Vorstellung zu Vorstellung wohler zu fühlen. Inzwischen bringen sie es zustande, sich einem Zuschauer auf den Schoss zu setzen, ohne auch nur eine Spur aufdringlich zu wirken.

Aber was sind denn diese Maskottchen: mehr Mensch oder mehr Objekt?
Bieri: Etwas dazwischen. Sie verkörpern ein neues Subjektivitätsmodell. Und dabei sind sie uns überlegen: weil sie beides in sich haben und so auch den direkten Zugang zu beiden Welten  – zu jener der Dinge und zu jener der Menschen. Sie haben nicht diese entweder positive oder negative Haltung zu Objekten, wie wir Menschen sie einnehmen. Sie verkehren mit den Dingen auf Augenhöhe.

Albert Liebl: Für mich sind und bleiben sie Ware. Eingesetzt werden sie als eine Art Trojanisches Pferd, mit dem die Menschen kaufwillig gemacht werden sollen.

Bieri: In den Köpfen der Menschen aber werden sie zu mehr ...

Könnte man vielleicht sagen: Je mehr wir diese Dinge «vermenschlichen», desto mehr «entmenschlichen» wir die Menschen und machen sie zu Objekten?
Lars Studer: Was wir in unserer Arbeit festgestellt haben, ist, dass sich die meisten Menschen im Kontakt mit den Maskottchen auf eine niedere Ebene begeben. Sie vereinfachen ihre Sprache, sprechen in einer anderen Melodie. Alles geht in Richtung Verniedlichung.

Also sozusagen das Tamagotchi-Phänomen: Indem die leblosen Objekte mit Augenaufschlägen, Schmollmündchen und dergleichen ausgestattet werden, werden sie niedlich, liebenswürdig ...
Bieri:
... und damit vor allem käuflich. Doch was bringt es, sich marxistisch korrekt gegen die Realität der Warenfetische aufzulehnen? Vielleicht wäre es befreiender, sich damit zu -ver-söhnen. Das schlagen die Maskottchen vor.

Ellend: Das wäre vielleicht tatsächlich ein Ansatz – «zurück zur Natur» können wir eh nicht mehr.

Sie meinen also: Um eine «humanere» Gesellschaft zu erkämpfen, müssten wir nicht den Warenfetischismus zerschlagen und den Dingen ihre Scheinlebendigkeit nehmen, sondern ...
Bieri:
... der Auflösung der Grenzen zwischen Mensch und Objekt freie Bahn geben. In der Tat: Vielleicht sollten wir Mensch und Objekt weniger als Gegensatz, sondern vielmehr unter dem Aspekt der Wechselwirkung verstehen.

Mit der Konsequenz, dass sich der postmoderne Mensch mehr um das Innenleben von Geräten kümmert als um jenes seiner Mitmenschen?
Liebl:
Das Problem ist, dass es noch immer diese Konkurrenz zwischen Mensch und Maschine gibt. Dass wir unter den Objekten insbesondere die Maschinen verteufeln, weil in ihnen nicht nur menschliche Arbeit steckt, sondern sie uns die Arbeit gleich auch noch wegnehmen. Solange wir das als Konkurrenzverhältnis erleben, kommen wir nicht weiter. Vielleicht müsste man eine alte Idee wieder aufnehmen: Maschinensteuerabgaben.

Studer: Das wäre nichts als gerecht. Ein mir bekannter Aurafotograf hat unlängst bewiesen, dass selbst Stofftiere eine sichtbare Aura haben.

In Ihrem Stück heisst es ja auch, dass Waren «verzauberte Menschen sind, weil Arbeit in ihnen steckt»? Zum Beispiel dieses Nokia-Handy: ein Produkt von Ausbeutungsverhältnissen. Um was geht es nun?
Liebl:
Vielleicht nicht darum, etwas ganz anderes zu machen, indem man sich den Spielregeln des Systems zu verweigern versucht. Sondern es eben doch auch zu machen, aber anders ...

Ellend: Auf die Maskottchen bezogen heisst das: Wir lehnen die Regeln des Unterhaltungsgeschäfts nicht partout ab, aber wenn wir das schon mitmachen, dann wissen wir auch wozu.

Selbstbestimmte Maschinen sozusagen? Wir müssen zuerst die Dinge befreien, um uns selbst befreien zu können?
Bieri:
Für den automatischen Staubsauger zum Beispiel würde das heissen, dass er zwar seine Fähigkeit weiterhin ausübt, nun aber selbstbestimmt – -indem er entscheidet, wann und wo und wozu und für wen er gerade saugen will.

Liebl: Und in unserem Stück hat er dabei ja auch noch Zuschauer ...

Das Theaterkollektiv Schauplatz International (Anna-Lisa Ellend, Albert Liebl, Martin Bieri, Lars Studer) wurde 1999 gegründet.

Homestorys: www.schauplatzinternational.net/homestories.html