Durch den Monat mit Schauplatz International (Teil 4): Ferien für immer?

Nr. 47 –

«Zu sagen, ‹ich bin jetzt die› – das geht eigentlich nicht»: Anna-Lisa Ellend von Schauplatz International (vorne) mit Pips, Mäxx, Nikki und Martin Bieri.

WOZ: Die Zürcher Vorstellungen von «Mascots II» sind zu Ende. Kommen nun die Maskottchen nach der unvollendeten Revolution wieder in den Keller?
Anna-Lisa Ellend:
Nein, sie treten weiter auf. Nun im Ruhrgebiet, im Februar in Basel, im Mai in Luzern. Aber wir denken schon ans nächste Projekt.

Worum gehts?
Albert Liebl:
Um die Modellfiguren der Firma Preiser. Besonders interessiert uns die Familie Krause, die seit Jahrzehnten und in allen möglichen Lebenslagen im Sortiment steht.

Ellend: Wir spielen einerseits den Katalog nach und versuchen andererseits, selbst als Figuren da reinzukommen. Es geht um die Sehnsucht nach Sorglosigkeit und Übersicht, die mit diesen Miniaturen verbunden ist.

Martin Bieri: Und nach Feierabend.

Lars Studer: Wenn ich mich in eine Preiser-Figur verwandle, reduziert sich mein Leben auf eine einzige angehaltene Bewegung. Diese Bewegung wird viel ausdrücken müssen. Ich werde sorglos und tot sein, keine Ansprüche mehr. Dann bin ich fertig.

Ellend: Man schaut sich die Lebensentwürfe der anderen an und fragt sich: Muss ich mich jetzt entscheiden? Ein bisschen sehnt man sich auch danach. Dafür steht die Familie Krause.

Studer: Ich werde sitzen, freundlich schauen, am besten Spritzguss, dann brauche ich keinen Stuhl. Ich kann mich überall dazusetzen, meine Umgebung bevölkern: auf der Bettkante, im Flugsitz, gelandet am Traumziel Mauritius. Ferien für immer.

Bieri: Der Preiser-Katalog ist das Libretto dieser Träume. Darum dient er uns als Vorlage.

Wenden Sie sich damit von der Realität ab?
Liebl:
Der Preiser-Katalog ist eine Realität, wie die Maskottchen. Aber die Fiktion als Realität annehmen, das gibt eine schöne Reibung. Mir gefällt dieses Missverständnis, Ideen auf die falschen Sachen anzuwenden. Die Revolution war für uns gedacht, nicht für die Maskottchen.

Bieri: Vielleicht ist das ja der gleiche Vorgang: Die Realität mittels der Fiktion abzubilden, was die Kunst klassischerweise tut, und die Fiktion als Realität misszuverstehen. Fiktionen haben grossen Einfluss auf die Realität.

Ellend: Bei der Familie Krause kommt das schön zusammen. Die Maskottchen sind eine fiktionale Setzung. Sie repräsentieren uns. Bei Krause versuchen wir, einen Schritt weiter zu gehen, denn die Preiser-Figuren sind ja dann wir, sie verkörpern uns wirklich. Wir sind in diesem Katalog.

Liebl: Durch diesen Dreh ermöglicht uns das Stück die grösstmögliche Distanz zu dem, was die Kunst, der Markt heute einzunehmen verlangt: Authentizität.

Aber der Kunstmarkt liebt solch schräge Ideen.
Liebl:
Eine Auseinandersetzung mit der schrägen Welt des Modellbaus ist auf dem Markt gefragt, ja. Aber nicht etwas, das einem dermassen fremd ist, ernst zu nehmen.

Ellend: Zu sagen, ‹ich bin jetzt die› – das geht nicht. Das steht dann vielleicht doch im Widerspruch zum eigenen verborgenen Lebensentwurf. Mir gefällt dieser Ansatz, etwas, das man nicht ernst nehmen kann, Kindliches meinetwegen, so ernst zu nehmen.

Sie wollen den Preiser-Katalog als «Buch des Lebens» verwenden?
Liebl:
Ja, er steht für die Gesellschaft. Ein Schaukasten der Normalität. Eine Norm, die gerade aktualisiert wird, Sex and Crime. Es findet eine Rückkoppelung statt mit anderen medialen Wirkungsstrategien. Es gibt immer mehr Dramaturgie in diesem Katalog, Zuspitzung, die Poetik des Katalogs hat sich verändert. Jetzt gibt es sogar eine bewaffnete Geiselnahme. Dabei wäre das im Deutschland der achtziger Jahre viel aktueller gewesen.

Bieri: Aber Preiser ist nicht Pop, sondern ein ziemlich peripheres Phänomen, auch spiessig. Sicher kein hegemoniales Medium. Das gibt dem Ganzen auch eine Melancholie, eine stille Verzweiflung. Sehnsucht nicht nur nach Normalität, sondern auch danach, eine solche bestimmen zu können. Darin liegt ein totalitärer Anspruch.

Studer: Preiser könnte Hunderte Exemplare von mir produzieren. Plötzlich tauche ich in einem chinesischen Architekturmodell auf, weil ich so normal bin. Als Fortführung und Umkehrung des Maskottchenproblems könnte ich mich dann fragen, ob ich jetzt frei bin. Aber vielleicht gibt es dann nicht mal mehr das als Ziel. Sondern nur noch den Satz: So ist das Leben.

Schauplatz International (Anna-Lisa Ellend, Albert Liebl, Martin Bieri, Lars Studer), Theaterkollektiv, wurde 1999 gegründet.

Homestories: www.schauplatzinternational.net/homestories.html