Der Gewerkschaftschef: «Es war ein einziger Blindflug»

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Paul Rechsteiner erklärt, warum das Parlament zu seiner schärfsten Waffe greifen muss: einer PUK zur Finanzkrise. Im neuen Jahr sind für ihn die Arbeitslosigkeit und die rechten Angriffe auf den Sozialstaat die vordringlichen Themen.


Vielleicht passt es ganz gut, dass er einer der wenigen Schweizer Politiker ist, nach deren Namen im Ratespiel «Trivial Pursuit» gefragt wird: Paul Rechsteiner, 57, ist als Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, als Nationalrat für die SP und als Anwalt neugierig und angriffig zugleich. Dass er der amtsälteste Nationalrat ist, würde einem jedenfalls nicht in den Sinn kommen. Doch wenn Rechsteiner, wie in der Wintersession geschehen, die Einsetzung einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) zur Aufarbeitung der Finanzkrise fordert, lässt das aufhorchen: Wer, wenn nicht der Alterspräsident, sollte wissen, wann der Zeitpunkt für dieses seltene Mittel gekommen ist? Erst recht, wenn er an der Einsetzung der legendären PUK, die 1989 zum Fichenskandal führte, massgeblich beteiligt war?

Zwischen Weihnachten und Neujahr traf die WOZ Paul Rechsteiner in seinem Anwaltsbüro in St. Gallen zu einem ausführlichen Gespräch: über seine Forderung nach einer PUK, die Wirtschaftskrise, den Angriff auf den Sozialstaat und die Demokratie in der Schweiz.

WOZ: Paul Rechsteiner, vor Weihnachten hat die Zürcher Staatsanwaltschaft bekannt gegeben, kein Strafverfahren gegen die UBS-Chefs einzuleiten ...

Paul Rechsteiner: Politische Fragen an einen Strafrichter zu delegieren, ist in der Regel nicht sehr erfolgversprechend. Obwohl man sich angesichts der Geschäftstätigkeiten der UBS auch in strafrechtlichen Kategorien einiges hätte einfallen lassen können ... Aber institutionell ist es nicht die Ebene, die eine Antwort bringen könnte: Eine Strafuntersuchung würde ja bedeuten, dass sich im Wesentlichen nur ein Einzelner krumm verhalten hat und nicht das System krumm ist. Aber das ist es ganz offensichtlich.

Sie fordern in einem Vorstoss eine Parlamentarische Untersuchungskommission zur Finanzkrise in der Schweiz. Weshalb die aussergewöhnliche Forderung nach einer PUK?

«Aussergewöhnlich» ist das richtige Stichwort: Die Finanzkrise – und was sie für die Schweiz bedeutet – ist eine Riesengeschichte. Seit der Bundesstaatsgründung von 1848 hat es nichts gegeben, was in der Grössenordnung vergleichbar wäre: der Beinaheuntergang einer Grossbank, das Rettungspaket mit 68 Milliarden Franken – per Notrecht am Parlament vorbei. Die toxischen Guthaben hängen weiterhin, je nach Berechnung, mit 30 bis 40 Milliarden in den Büchern. Zieht man ein Jahr später Bilanz, so muss man feststellen: Das war ein einziger Blindflug, und nichts wurde daraus gelernt.

Mit einer PUK könnten die Lehren gezogen werden?

Eine PUK ist die schärfste Waffe des Parlaments. Sie ist das Instrument, das das Parlament bei aussergewöhnlichen Ereignissen besitzt, um die Steuerungsfähigkeit des politischen Systems wiederherzustellen. Die Einsetzung einer PUK produziert praktisch einen Sachzwang – die Mitglieder müssen auch ein Resultat liefern: Konsequenzen für den Schweizer Staat oder die Schweizer Volkswirtschaft, eine institutionelle Antwort auf den Blindflug.

Sie sprechen immer wieder von einem «Blindflug» ...

Wenn man die Akteure gesehen hat, die in der wesentlichen Phase auftraten, etwa den damaligen UBS-Präsidenten Peter Kurer in der Wirtschaftskommission: Der hat nicht im Ansatz den Eindruck erweckt, dass er eine Ahnung hätte, was sich in seinen Bilanzen verbirgt. Die Behörde, welche die UBS überwachen sollte, die heutige Finma, war wegen der personellen Verfilzung völlig von der Grossbank abhängig: Auf dem Radar hatte sie nichts als das, was ihr von der Grossbank angegeben wurde – und das war falsch. Die wenigen Leute, die in dieser Krise einen einigermassen kompetenten Eindruck vermittelten, etwa bei der Nationalbank, waren bleich im Gesicht. Die anderen, inklusive des zuständigen Bundesrats, haben einfach geschwatzt.

Wenn Sie eine PUK fordern, hat das auch insofern ein rechtes Gewicht, als Sie 1989 zusammen mit Peter Bodenmann eine Fichen-PUK durchsetzten. Wo sehen Sie Parallelen?

Bei der Frage der Demokratie. Als 1989/90 die PUK eingesetzt wurde und die Bewegung gegen die Fichen entstand, war das ein Schlüsselereignis, das die Demokratie stärkte. Dies nach jahrzehntelanger Überwachung und der Ausgrenzung kritischer Menschen. Damals dachte man zuerst auch nicht, dass man daran etwas ändern könnte. Mit der Übermacht des Bankensystems, geprägt durch die Grossbanken, verhält es sich heute gleich: Sie haben den Staat infiltriert und diktieren die Regeln für alle. Auch hier scheint es manchmal unvorstellbar, dass man etwas ändern könnte. Aber die Akteure in den Grossbanken sind, das sollte man wissen, sehr unsicher. Sie bewegen sich auf dünnem Eis.

Wie könnte der Auftrag an eine Finanzkrisen-PUK lauten?

Der Auftrag müsste so breit wie möglich sein: die Stellung des Finanzplatzes Schweiz im Verhältnis zur Volkswirtschaft und zum politischen System zu untersuchen. Es gibt ja kein Land, das extremer von den Hochrisikospielen des Finanzsektors betroffen ist. Die Bilanzen der beiden Schweizer Grossbanken sind fünf- bis sechsmal so gross wie das Bruttoinlandsprodukt.

Auch die Geschäftstätigkeiten der UBS müssten nochmals untersucht werden?

Sicher. Sie sind die Ursachen des Ganzen.

Sie haben gesagt, eine PUK sei die schärfste Waffe. Sie könnte auch die letzte sein: Im letzten Jahr entstand zwar angesichts der breiten Diskussionen, beispielsweise zu den Boni, der Eindruck, es würden neue Regeln durchgesetzt. Aber es geschah gar nichts.

Es ist noch dramatischer. Die UBS legt wieder im gleichen Stil los. CEO Oswald Grübel hat bereits das Ziel von über zwanzig Prozent Eigenkapitalrendite verkündet. Das bedeutet nichts anderes, als eine Hochrisikopolitik auf dem Buckel des Schweizer Staats und der Volkswirtschaft. Auch die risikotreibende Boniwirtschaft geht – nur leicht verändert  – weiter. Dabei widerspricht es dem gesunden Menschenverstand, dass jemand mit einem Fixlohn von 300 000 Franken noch einen Bonus bekommen soll, damit er angeblich die Arbeit recht macht. Der Gewerkschaftsbund fordert deshalb eine Bonisteuer von fünfzig Prozent, mit der man jedem Haushalt tausend Franken ausrichten kann – als Kaufkraftimpuls.

Sie glauben nicht an die vorschnellen Aufschwungparolen?

Wenn man die Stellungnahmen der Nationalbank entschlüsselt – sie sind ja sehr vornehm formuliert –, so heisst das nichts anderes als: Die machen sich die grössten Sorgen. Die Nationalbank bildet bereits im grossen Stil Reserven für einen weiteren Crash. Oder wenn man die Debatte der Weltökonomen, von Paul Krugman oder Joseph Stiglitz, verfolgt: Die Kernschmelze im Finanzsektor ist noch immer nicht richtig verstanden. Das Einzige, was klar ist: Es müssen härtere Regeln her. Robert Shiller etwa fordert, dass Finanzprodukte wie Medikamente auf ihre Wirkung getestet werden müssen.

Das müsste dann auf der internationalen Ebene geschehen. Kann die Schweiz allein überhaupt regulieren?

Vorläufig ist die wirksamste Steuerebene die nationale, auch bei den Grossbanken. Aber auch hier läuft alles weiter wie gehabt. Kurz vor Weihnachten hat der Bundesrat seine Finanzmarktstrategie publiziert: Im Wesentlichen geht es um Steuererleichterungen für die Grossbanken. Unter Otto Stich wäre niemals möglich gewesen, was derzeit unter Hans-Rudolf Merz passiert: dass die Agenda der Grossbanken bis in die Verwaltung hinein diktiert wird.

Welche Chancen rechnen Sie sich für eine PUK aus?

Im Moment sind wir am Anfang eines mehrmonatigen Prozesses. 1989 spielten die Medien eine grosse und positive Rolle, etwa die damals kritische Inlandredaktion des «Tages-Anzeigers», sein seinerzeitiges Prunkstück. Das war mit eine Voraussetzung, dass die Krise nicht ausgesessen werden konnte. Gegenwärtig ist in den Mainstreammedien noch nicht sichtbar, woher der unabhängige Beitrag kommt. Dabei müsste diese Riesengeschichte doch Ambitionen freisetzen. Entscheidend wird aber vor allem sein, was sich in Bern abspielt: Das Parlament zeigt durchaus Eigenverantwortung, wie sich bei der Blocher-Abwahl zeigte. Die 246 Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Amt haben wie sonst niemand die Möglichkeit, etwas in Gang zu setzen. Auch wenn sie nicht handeln, handeln sie – dann setzen nämlich Oswald Grübel von der UBS oder Brady Dougan von der Credit Suisse die Regeln. Demokratiepolitisch gab es noch nie eine so extreme Situation.

Kommen wir auf die Wirtschaftssituation zu sprechen: 2009 stieg die Arbeitslosenquote von 3,3 auf 4,2 Prozent. Betroffen sind bestimmte Branchen wie Metall, Maschinen oder Uhren, bestimmte Regionen, etwa der Jurabogen, und bestimmte Altersgruppen, speziell die Zwanzig- bis Dreissigjährigen. Führt die Krise zu einer eingegrenzten, aber umso heftigeren Arbeitslosigkeit?

Bei Gewerkschaftsversammlungen erlebe ich ganz unterschiedliche Befindlichkeiten: An gewissen Treffen, etwa mit Eisenbahnern, sind es lauter Nichtbetroffene. In der Industrie ist es umgekehrt: Dort hat es nur Betroffene. Umso wichtiger ist die Solidarität zwischen den Branchen, und die ist spürbar. Die Finanzkrise hat auf die Exportwirtschaft durchgeschlagen und die Regionen, die stark vom Export abhängig sind, ganz schwer getroffen. Allerdings hat sich die inländische Wirtschaft – und die macht immerhin sechzig Prozent der Wirtschaftsleistung aus – gut gehalten.

Weshalb?

Die guten Lohnabschlüsse im Herbst 2008 haben eine wichtige Rolle gespielt und die Kaufkraft im vergangenen Jahr gestützt. Hinzu kamen die drei gewerkschaftlich angestossenen Konjunkturpakete: Sie blieben zwar in der Grössenordnung weit hinter dem zurück, was wir forderten. Aber immerhin hat es sie gegeben. Von der Verlängerung der Kurzarbeit profitieren jeweils bis zu 60 000 Beschäftigte. Kurzarbeit ist keineswegs ideal, aber noch immer besser, als entlassen zu werden. Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse und die bürgerlichen Parteipräsidenten argumentierten noch vor jedem Konjunkturpaket ideologisch, das bringe nichts.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco schreibt in seiner neusten Prognose hingegen, dass die gegenwärtige Entwicklung «massgeblich» von den Konjunkturpaketen getragen sei.

Wir befinden uns im Moment in einer labilen Situation: Die Lohnrunde für dieses Jahr war sehr bescheiden. Die Krankenkassenprämien steigen 2010 massiv an. Aus der Nordwestschweiz gibt es erste Signale, dass der Bausektor einbricht. Und bereits beginnen die Schuldenbremsen und Sparprogramme mit ihrer krisenverstärkenden Wirkung zu laufen. Je nach Entwicklung werden wir ein viertes Konjunkturpaket brauchen.

Sie fordern ein viertes Konjunkturpaket?

Wenn es so weitergeht, wird man mit einem vierten Paket starten müssen. Es sei denn, die Weltkonjunktur würde stark anziehen.

Von links her wird seit zwei Jahren gesagt, dass es bald noch schlimmer komme. Ist das nicht blosser Alarmismus?

Es kommt darauf an, was man als Alarmismus bezeichnet: Wenn man sagt, es gebe eine natürliche Arbeitslosigkeit von vier bis fünf Prozent – dann verbucht man es unter Spesen, wenn ein paar Zehntausend Junge ihren Einstieg verpassen und auf der Strecke bleiben. Aber in den Biografien der betroffenen Jungen ist das eine Katastrophe. Wir sind, wenn nicht Gegensteuer gegeben wird, in der Schweiz auf dem Weg zu Arbeitslosenzahlen, die es überhaupt noch nie gab. Das hat verheerende Folgen – für die Betroffenen und die ganze Gesellschaft.

Ausgerechnet dort, wo die Not am grössten ist, nämlich in den stark betroffenen Regionen und bei den jungen Arbeitslosen, sollen jetzt die Bezugsfristen bei der Arbeitslosenversicherung gekürzt werden ...

Die Revision der Arbeitslosenversicherung, die im Moment vom Parlament beraten wird, ist noch vom Denken einer besseren Zeit geprägt: In der Krise sollte man das Gegenteil machen und die Bezugsdauer verlängern. Aber hinter der Revision steckt mehr: Derzeit findet ein neoliberaler Angriff auf die Sozialversicherungen statt, den es in dieser Breite historisch noch nie gegeben hat: bei der beruflichen Vorsorge, der AHV, der Unfallversicherung.

Was ist die Folge?

Dass wir vierteljährlich zu Referenden gezwungen sein werden. Der erste Test wird die Abstimmung am 7. März über den tieferen Umwandlungssatz bei der beruflichen Vorsorge sein, gegen den Rentenklau bei den Pensionskassen, von dem vor allem die Privatversicherer profitieren würden.

Economiesuisse soll neun Millionen Franken in den Abstimmungskampf stecken, bereits hängen überall Plakate für den tieferen Umwandlungssatz, mit einem Geburtstagskuchen für Hundertjährige. Fühlen Sie sich manchmal in der Unterzahl?

Dieses Missverhältnis von finanziellen Mitteln gab es bis zum Aufstieg von Christoph Blocher nicht. Die Economiesuisse bewirtschaftet mit immer mehr Geld ausgewählte Vorlagen zum Sozialabbau. Aber in der Defensive haben wir noch immer eine grosse Stärke bewiesen. Die ganze verbündete Linke kommt an der Urne auf 30 bis 35 Prozent. Den letzten Angriff auf die AHV haben wir im 2004 mit zwei Dritteln der Stimmen für uns entschieden.

Wie schafft es die Linke, selbst wieder in den Angriff überzugehen?

Wir müssen die Diskussionen wieder von Grund auf führen: Wer produziert den gesellschaftlichen Reichtum? Wie wird er produziert? Und wie wird der Reichtum verteilt? Gibt es Ausgrenzungen, oder sollen alle eine Perspektive haben? Ausgehend von so konkreten Fragen könnte ein Wiederaufbau der Linken gelingen.

In den letzten Wochen dominierte ein anderes Thema: die Minarettabstimmung.

Dieses Resultat hat das Selbstverständnis der Schweiz erschüttert. Die Grundrechte sind nicht verhandelbar, das steht in der Verfassung. Man kann nicht darüber abstimmen, ob sie für eine Minderheit noch gelten sollen. Die Rechtsgleichheit ist die Basis des Bundesstaats von 1848. Die Schweiz war immer ein Land von Minderheiten, mit einer Dynamik hin zur Nichtdiskriminierung: Zuerst wurden die am Anfang noch ausgeschlossenen Juden, dann die Frauen Teil dieses Staates – wenn auch bedenklich spät. Jetzt hat es in dieser Dynamik einen fundamentalen Einbruch gegeben. Demokratiepolitisch bedeutet das eine riesige Herausforderung. Es ist vielleicht nicht ganz zufällig, dass sie sich gerade zusammen mit dem härtesten Angriff auf den Sozialstaat stellt.

Was meinen Sie damit?

Es geht um die Konkurrenz von zwei ganz verschiedenen Linien, die in der Krise kollidieren: einer rechten bis rechtsextremen Linie: Ulrich Schlüer begann seine Karriere als Sekretär von James Schwarzenbach mit seinen Überfremdungsinitiativen. Blocher war während der Apartheid Präsident der Arbeitsgruppe Südliches Afrika. Diese Linie hat durch die Minarettabstimmung eine Legitimation erhalten. Sie wird geprägt von Ausschluss und Ausgrenzung und die Hetze gegen Minderheiten. Sie ist gekoppelt mit der Forderung nach Sozialabbau.

Und welches ist die zweite Linie?

Die linke Position. Der Linken ging es immer um Gleichheit und Integration, um den Einschluss von allen. Ob beim Sozialstaat oder den Grundrechten. Wenn die Linke diese Fundamentaldebatte führt, kann sie einen Orientierungspunkt bilden für eine andere Schweiz. Sie verbindet die Errungenschaften des Bundesstaats von 1848 mit den Zielen der Menschenrechtserklärung.



Zur Person

Der in St. Gallen geborene Paul Rechsteiner (57) begann seine politische Karriere 1977 im Gemeinderat der Stadt. 1984 wurde er ins St. Galler Kantonsparlament gewählt, seit 1986 ist er SP-Nationalrat. Den Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) präsidiert er seit 1989.

Angriff auf den Sozialstaat 2010

Bei diesen Sozialversicherungen ist ein Abbau geplant:

Pensionskassen: Bereits 2003 beschloss das Parlament, den Umwandlungssatz der beruflichen Vorsorge bis ins Jahr 2014 von 7,2 Prozent auf 6,8 Prozent zu senken. Der angebliche Grund: die steigende Lebenserwartung der Bevölkerung. Im Dezember 2008 entschied das Parlament, noch weiter zu gehen und den Umwandlungssatz bis 2015 gar auf 6,4 Prozent zu senken. Die Gewerkschaften ergriffen das Referendum. SP, Grüne und Gewerkschaften lehnen die Vorlage als «Rentenklau» ab. Zu den Befürwortern gehören die bürgerlichen Parteien, die Lobby der Privatversicherer und der Wirtschaftsverband Economiesuisse. Die Abstimmung findet im März statt.

Arbeitslosenversicherung: Die Schulden der Arbeitslosenversicherung (ALV) werden Ende Jahr über sechs Milliarden Franken betragen. Um das Defizit abzubauen, könnte der Bund vorübergehend die Beiträge auf 2,5 Prozent erhöhen und ein Solidaritätsprozent für Reiche einführen. Der Bundesrat und die bürgerlichen Parteien im Parlament wollen allerdings die Beiträge nur auf 2,2 Prozent erhöhen, dafür aber die Leistungen kürzen. Gespart werden soll vor allem bei den Jungen und Langzeitarbeitslosen. Der Nationalrat entscheidet in der Märzsession. SP, Gewerkschaften und Arbeitslosenverbände stellen ein Referendum in Aussicht.

AHV: Eine Zweitauflage der 11. AHV-Revision will im Wesentlichen das Rentenalter der Frauen heraufsetzen, den Teuerungsausgleich bei den Renten verschlechtern und soziale Frühpensionierungen verhindern. Und das, obwohl die Stimmbevölkerung dies 2004 ablehnte. Das Bundesamt für Sozialversicherung erhofft sich Einsparungen von einigen Hundert Millionen Franken. Sollte das Parlament dieser Wiederauflage zustimmen, stellt Rechsteiner ein Referendum in Aussicht.

Invalidenversicherung: In diesem Jahr steht auch die 6. Revision der Invalidenversicherung (IV) an. Die IV ist mit 14,5 Milliarden Franken verschuldet. Der Bundesrat will im Januar oder Februar den ersten Teil der 6. IV-Revision vorlegen. Insgesamt soll laut Yves Rossier, Chef des Bundesamtes für Sozialversicherung, eine Milliarde Franken pro Jahr eingespart werden.

Unfallversicherung: Die Unfallversicherung ist laut Rechsteiner die bestfinanzierte Sozialversicherung. Dennoch liessen die bürgerlichen Parteien «im Solde der Versicherungslobby» nichts unversucht, um die Leistungen zu verschlechtern. Das Parlament berät derzeit eine Gesetzesänderung. Auch hier ist ein Referendum möglich.