Finanzkrisen-PUK: Der Briefkastenkönig

Nr. 3 –

FDP-Ständerat Hans Hess soll Einsicht in alle Akten zur UBS-Steueraffäre erhalten. Pikant: Hess wurde 1989 wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung verurteilt. Er ist bereit, sein Mandat allenfalls niederzulegen.


Die Drohung tat ihre Wirkung. Am Mittwochnachmittag ist der Bundesrat auf den Vorschlag der Geschäftsprüfungskommission (GPK) eingegangen und will ihr Zugang zu heiklen Dokumenten in der UBS-Steueraffäre gewähren. «Im Interesse der Transparenz», wie Bundesratssprecher André Simonazzi erklärte. Andernfalls hätte die GPK eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) gefordert. Sie hatte sich vergangene Woche beklagt, der Bundesrat behindere ihre Arbeit. Die GPK-Präsidentin Maria Roth-Bernasconi sprach von «Obstruktion». Der Bundesrat verweigere den Zugang zu Akten, die relevant seien, um die Herausgabe von 255 UBS-Kundendossiers an die USA vom Februar 2009 zu untersuchen.

Bundespräsidentin Doris Leuthard bot daraufhin dem Präsidium der GPK an, die Akten in der Bundeskanzlei einsehen zu können. Kopien allerdings erlaubte sie nicht – zu gross sei die Gefahr, dass die vertraulichen Dokumente der Presse zugespielt würden.

Nun händigt der Bundesrat die Dokumente doch aus. Die von der Arbeitsgruppe verlangten Akten werden im Tresor des GPK-Sekretariats aufbewahrt. SVP-Nationalrat Pierre-François Veillon, FDP-Ständerat Hans Hess und zwei MitarbeiterInnen des Sekretariats dürfen die Akten dort einsehen und den Mitgliedern der zwölfköpfigen Arbeitsgruppe nur eine Zusammenfassung der Dokumente geben. Das müssen sie dem Bundesrat schriftlich garantieren. Damit werden Veillon als Präsident und Hess als Vizepräsident zu den wichtigsten Mitgliedern dieser Arbeitsgruppe. Nur sie können die Akten im Detail studieren.

Einer der beiden mächtigen Männer, die Licht in die UBS-Steueraffäre bringen sollen, hat allerdings selber eine einschlägige Vergangenheit: Hans Hess wurde Ende der achtziger Jahre vom Bundesgericht verurteilt – wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung.

Hess, der Jungstar

Hans Hess ist seit bald dreissig Jahren in der Politik. Und trotzdem zählt der 64-jährige Obwaldner nicht zu den politischen Schwergewichten im Bundeshaus. Dabei hatte er in jungen Jahren eine steile Karriere vor sich gehabt.

Der in Engelberg geborene Sohn eines Kantonalbankdirektors studierte Ende der sechziger Jahre in Bern, Paris und Florenz Jura, doktorierte 1975 in Bern und eröffnete ein Jahr darauf eine eigene Anwaltskanzlei. In dieser Zeit lernte er den deutschen «Kaiser» Franz Beckenbauer kennen, der es als Fussballstar zu einem beachtlichen Vermögen gebracht hatte. Der Kanton Obwalden betraute Hess mit der Aufgabe, Beckenbauer nach Sarnen zu locken.

Beckenbauer erhielt zwei unwiderstehliche Angebote: eines aus New York, wo er drei Jahre lang für den Fussballklub New York Cosmos spielen sollte. Und eines aus Sarnen, wo er nur minimale Steuern von rund 20 000 Franken zahlen musste. Beckenbauer nahm beide Offerten an. Er arbeitete in New York und verlegte seinen Wohnsitz nach Sarnen. Er verdiente Geld in den USA und sparte Steuern in Obwalden.

Für Hess war das der Anfang einer grossen Zeit. Auf Beckenbauer folgten – von den einzigartigen Steuerkonditionen angelockt – weitere reiche AusländerInnen, unter anderem der argentinische Tennisprofi Guillermo Vilas. Hess’ fortschrittliche Tiefsteuerpolitik zahlte sich aus – zumindest vorerst. Das Obwaldner Stimmvolk dankte es dem 33-jährigen Hess mit der Wahl in den Kantonsrat.

Hess war ein Star. Und das ist in Obwalden noch heute so. Er kennt fast jeden und jeder kennt ihn. «Ich kann in jedes Lokal, an jeden Stammtisch sitzen, und man kennt mich», sagt Hess. Im kleinen Kanton ein unwahrscheinliches politisches Kapital. Nur drei Jahre später, 1981, kürte ihn die Landsgemeinde denn auch zum Regierungsrat. Hess übernahm das Amt des Justizdirektors und galt schnell als der starke Mann in der Obwaldner Regierung.

Aber das reichte ihm nicht. Nebenbei arbeitete der Regierungsrat weiter in seiner Anwaltskanzlei und übernahm zudem zahlreiche Verwaltungsratsmandate – bis sich jemand an seiner Doppelrolle störte. Sein Gegenspieler war kein Geringerer als der damalige Finanzminister Otto Stich.

Die «Steueraffäre Beckenbauer»

1986 warf der Sozialdemokrat Stich Hans Hess Interessenkonflikte vor. Zudem seien durch die Tiefsteuerpraxis über zwanzig Millionen Franken an Steuereinnahmen verloren gegangen.

Aber das war noch nicht alles. Kurz darauf wurde bekannt, dass Franz Beckenbauer versucht hatte, einen Liquidationsgewinn der Firma Heka (abgekürzt von Hess-Kaiser) über 1,2 Millionen Franken am Fiskus vorbeizuschleusen. Sein Gehilfe: Hans Hess.

Es erschienen zahlreiche Zeitungsartikel über das sonst unbeachtete Obwalden in den grossen Schweizer Zeitungen und auch in Deutschland – eine Berichterstattung, die nicht allen gefiel. Es kam wegen mutmasslicher Indiskretionen aus dem Finanzdepartement zu einer Hausdurchsuchung beim «Beobachter», die Unterlagen eines Journalisten wurden beschlagnahmt. Ein anderer Journalist, der über die Affäre schrieb, erzählt heute, er habe damals zahlreiche anonyme Drohungen von ObwaldnerInnen erhalten. Hess wähnte sich in einer «Schlammschlacht», die Obwaldner BürgerInnen schlugen sich auf seine Seite. Für sie war der Bösewicht nicht Hans Hess, der Beckenbauers Geld versteckt hatte, sondern der «Steuervogt» Otto Stich. Hess überstand die Steueraffäre unbeschadet: Die Landsgemeinde wählte ihn 1986 mit glanzvoller Mehrheit für eine weitere Legislaturperiode.

Aber auf Bundesebene zog die Steueraffäre weiter ihre Kreise. Sie endete damit, dass Obwalden seine Steuerhoheit vorübergehend verlor – die Höchststrafe für einen Kleinkanton, der so grosse Stücke auf den Föderalismus hält. Beckenbauer und Hess wurden erstinstanzlich zu einer Busse verurteilt. Hess weigerte sich zurückzutreten und rekurrierte bis vor Bundesgericht. Dieses fällte im Sommer 1989 das endgültige Urteil und bereitete Hess’ Karriere erst mal ein jähes Ende: Es befand ihn der «eventualvorsätzlichen Beihilfe zur Steuerhinterziehung» für schuldig und büsste ihn mit 124 000 Franken. Hess sagt heute: «Die Geschichte ist abgeschlossen. Ich zog die Konsequenzen und trat als Regierungsrat zurück.»

Danach war es still um Hess. Zumindest in Bern. Im Kanton Obwalden war er weiterhin beliebt, auch wenn der Kanton im innerschweizerischen Steuerwettbewerb von den Kantonen Zug und Schwyz längst abgehängt worden war: Zehn Jahre nach dem Steuerskandal wählte das Obwaldner Stimmvolk den einstmals Parteilosen 1998 für die FDP in den Ständerat. Und heute, zwanzig Jahre nachdem das Bundesgericht Hans Hess wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung verurteilt hatte, soll ausgerechnet er, der Steueranwalt aus Sarnen, Licht in die Steueraffäre der UBS bringen.

Hess, der Steueranwalt

Montag, 18. Januar 2010: Hans Hess fühlt sich wohl. Die GPK hat vor den Medien eben ihre Forderungen an den Bundesrat bekannt gegeben. Hess geniesst das Gewicht seiner Worte. Er wähnt sich im Aufwind.

Mittwoch, 20. Januar: Der Bundesrat gibt bekannt, die verlangten Akten freizugeben. Macht das eine PUK unnötig? Die NZZ hatte bereits am Dienstag hinter der PUK-Drohung der GPK reine Taktik gewittert: Die Drohung diene lediglich als Druckmittel. «Eigentlich möchte die GPK die Einsetzung einer PUK verhindern.» Hess sagt, man solle erst die Resultate der GPK abwarten. Erst dann könne man entscheiden, ob es eine PUK brauche: «Es wäre unsinnig, jetzt nochmals von vorne zu beginnen.»

Hess hat als FDP-Mitglied kein Interesse an einer PUK. Die Partei von Finanzminister Hans-Rudolf Merz hat sich bisher am deutlichsten gegen eine solche Untersuchung ausgesprochen, würde doch ein allfälliger PUK-Bericht wohl das Handicap Merz im Wahljahr 2011 zu einem der Hauptthemen machen. Hess kümmert das wenig. Er schätzt Merz trotz seiner zweifelhaften Rolle in der Finanzkrise sehr: «Ich bin der Überzeugung, dass Merz einen sehr guten Job macht.»

Ernennung zum Botschafter

Hess kennt Merz aus der gemeinsamen Zeit in der Sicherheitskommission. 2003 lud Hess die Kommission in seinen Heimatkanton ein, um sich im Schiesstunnel Lungern an der Waffe zu üben. Aber die beiden verbindet nicht nur ihre Vorliebe fürs Schiessen, sondern auch die Herkunft aus einem steuergünstigen Kanton. Wie Merz ist Hess ein Befürworter des Steuerwettbewerbs unter den Kantonen und Gemeinden. Der Steueranwalt Hess schreibt auf der Website seiner Anwaltskanzlei unter dem Titel «Steuerparadies Obwalden», das Obwaldner Finanzdepartement habe ihn «aufgrund seiner vielseitigen Kontakte zum ‹Botschafter zur Umsetzung der Steuerstrategie›» ernannt. Jener Strategie also, die mit degressiven Steuern schweizweit für Kopfschütteln sorgte und kürzlich bei den Sonderzonen für Reiche nicht einmal mehr vom eigenen Stimmvolk mitgetragen wurde. Hess’ Aufgabe als Botschafter: «Neue natürliche sowie juristische Personen für den Kanton Obwalden zu akquirieren und bei einer Umsiedlung nach Obwalden zu unterstützen.»

Darin scheint Hess ziemlich gut zu sein. Und er ist heute als Anwalt fast wieder so umtriebig wie damals. Er hat mindestens vierzehn Verwaltungsratsmandate und ist in zwei weiteren Firmen zeichnungsberechtigt. Der Firmenauskunftsdienst Moneyhouse kürte Hess kürzlich zu einem der «Briefkastenkönige von Obwalden», weil an Hess’ Büroanschrift 67 Domizilgesellschaften beherbergt sind.

«Domizilgesellschaft» sei ein vornehmer Ausdruck für Briefkastenfirmen, sagt Andreas Missbach von der entwicklungspolitischen NGO Erklärung von Bern. «Eine Briefkastenfirma hat keine Geschäftstätigkeit in der Schweiz.» Briefkastenfirmen könne man für alle möglichen Zwecke brauchen, viele Unternehmen unterhalten solche Gesellschaften. Um nur ein Beispiel zu nennen: Eine Firma XY verkauft ihre Markenrechte an eine Domizilgesellschaft in einer Steueroase, zum Beispiel in Sarnen. Die Firma XY darf die Marke nur gegen eine Abgabe von Lizenzgebühren an die Domizilgesellschaft nutzen, obwohl es eigentlich ihre eigene Marke ist.

So kann die Firma mit Hauptsitz in einem Hochsteuerland ihre Gewinne in die Steueroase verlagern, sodass sie keine (oder kaum) Gewinnsteuern bezahlen muss. Andreas Missbach: «In der Regel dienen Domizilgesellschaften vor allem dazu, Vermögen von Privatpersonen hinter einer Firmenfassade zu verstecken.» Steuervermeidung nennen es die einen, «Steueroptimierung» nennt es Hans Hess. «Und das ist absolut legal.» Damit hat er Recht. Auch hat er sich kein zweites Mal wegen Beihilfe an Steuerhinterziehung strafbar gemacht.

«Trete in Ausstand»

Hess profitierte von einem System, das dank Bankgeheimnis und staatlich geförderter Steuervermeidungspolitik Steuerhinterziehung und -betrug über Jahrzehnte ermöglichte – oder gar begünstigte. Früher trugen die SteuerbetrügerInnen Koffer voller Geld in die Banken an der Zürcher Bahnhofstrasse, heute verstecken sie es in Tarngesellschaften, Briefkastenfirmen und anderen Steuervehikeln. So taten es auch Tausende von UBS-Kunden. Die Daten von 255 solcher SteuerdelinquentInnen lieferte die UBS auf Anordnung der Finma im Februar 2009 an die USA.

Hess kennt das Steuergeschäft von innen. Und er verdient nach wie vor an Briefkastenfirmen.

Ist Hans Hess der richtige Mann, um die UBS-Steueraffäre lückenlos aufzuarbeiten? Hess sieht da kein Problem: «Ich finde es geradezu unglaublich, was für eine Kombination Sie da fertigbringen. Ich versuche mit aller Objektivität an die Sache heranzugehen. Wenn jemand das Gefühl hat, ich sei befangen, dann trete ich in den Ausstand. Und wenn die Medien solche Konstrukte machen, dann kann es sein, dass ich im Interesse der Sache sage: Dann solls jemand anderes machen.»

PS: Bis Ende Mai will die GPK ihren Bericht zur UBS-Steueraffäre vorlegen – das Parlament scheint aber an seiner Forderung nach einer PUK festzuhalten. Die gewichtige Wirtschaftskommission des Nationalrats sprach sich Anfang Woche mit achtzehn zu vier Stimmen für eine PUK aus. Nicht einmal mehr die Merz-Partei FDP stimmte geschlossen dagegen.

Kurz vor Redaktionsschluss mailt Hans Hess übers iPhone: «Wegen der späten Zustellung meiner Zitate war es mir infolge anderweitiger Beanspruchung nicht möglich, zu Ihren Ausführungen Stellung zu nehmen. Fügen Sie diese Zeilen Ihrem Artikel bitte an.»