Das AKW Beznau und das Klima: Sauber falsch gerechnet

Nr. 8 –

Das Energieunternehmen Axpo hat eine Umweltbilanz publiziert, die belegen soll, wie umweltfreundlich das AKW Beznau ist. Der Ökobilanzierer Gabor Doka zersaust das Papier.


Das Klimaargument verunsichert sogar atomkritische Kreise. Die Atomlobby setzt deshalb mit voller Kraft auf dieses Argument. Auf ihrem Internetportal www.kernenergie.ch steht zum Beispiel unter dem Bild eines schmelzenden Gletschers: «Klimawandel: die Kernenergie ist Teil der Lösung.» Weiter heisst es: «In der Schweiz erzeugen Wasserkraft und Kernenergie pro Kilowattstunde die geringsten Mengen an Treibhausgasen.»

So einfach ist es nicht, sagt der Zürcher Ökobilanz-Experte Gabor Doka. Er hat im Auftrag von Greenpeace ein bislang unveröffentlichtes Gutachten zur Ökobilanz des AKW Beznau erstellt. Das Energieunternehmen Axpo betreibt dieses Atomkraftwerk in der Nähe von Baden – notabene das älteste der Schweiz. Im vergangenen Herbst hatte die Axpo die «Umweltdeklaration Kernkraftwerk Beznau» publiziert. Liest man diese Umweltbilanz, gibt es keinen umweltfreundlicheren Strom als den aus Beznau.

Doch eine Umweltbilanz erstellen ist sehr kompliziert. Zum Beispiel müsste man exakt wissen, woher das Uran stammt, das in Beznau verbrannt wird. Greenpeace zweifelte schon früher an der Behauptung der Axpo, man setze in Beznau zu einem beträchtlichen Teil waffenfähiges Uran aus Russland ein (vgl. «Die Axpo antwortet» weiter unten). Die Axpo präsentierte dies als Beitrag zur Abrüstung – gleichzeitig liess das Waffenuran aber auch die Umweltbilanz des AKW besser aussehen (weshalb das so ist, erklärt Doka im nachfolgenden Gespräch).

Vor Kurzem musste nun die Axpo eingestehen, dass Greenpeace recht hatte und in Beznau tatsächlich kein Waffenuran zum Einsatz kommt; man werde deshalb auch die Umweltbilanz überarbeiten.

Die Herkunft des Urans hat einen grossen Einfluss auf die Umweltbilanz, weil das CO2, das im Atomstrom steckt, nur zu einem geringen Teil in den Atomkraftwerken entsteht – sondern vor allem beim Uranabbau, der Urananreicherung und der Herstellung der Brennstäbe produziert wird.

Die Beznau-Umweltbilanz weist aber noch ganz andere, nicht minder gravierende Mängel auf, wie Gabor Doka darlegt.


WOZ: Gabor Doka, eine Kilowattstunde Beznau-Strom verursacht – laut der Axpo-Umweltbilanz – nur drei Gramm CO2. Strom aus Wasserkraft verursacht im Durchschnitt vier Gramm. Ist der Beznau-Strom wirklich so toll und klimafreundlich?

Gabor Doka: Atomstrom produziert tatsächlich relativ wenig klimaschädigende Abgase – doch das ist nicht neu, und CO2 repräsentiert nur einen Teil der Umweltbelastung durch Atomstrom.

Trotzdem: Drei Gramm CO2 klingt weltmeisterlich. Andere Berechnungen kommen auf wesentlich mehr. Ist Beznau wirklich besser als andere Atomkraftwerke?

Das ist eine komplexe Frage und hängt mit der EPD zusammen ...

EPD?

Die Axpo hat ihre Umweltdeklaration nach einem international zertifizierten System, dem sogenannten EPD, verfasst, damit die Ergebnisse vergleichbar sind. Die Resultate hängen aber von vielen Einzelaspekten ab wie zum Beispiel der Frage, woher das Uran stammt.

In Ihrem Gutachten werfen Sie die Frage auf, ob die Brennstäbe tatsächlich Waffenuran enthalten, wie die Axpo ursprünglich behauptet hat. Es könnte auch Uran sein, das früher in atombetriebenen russischen U-Booten eingesetzt war. Warum soll das eine besser als das andere sein?

Die Axpo gab in ihrem Umweltbericht an, es werde hoch angereichertes, russisches Atomwaffenuran verwendet. Dieses Waffenuran gilt als rezykliert, wenn es im Reaktor eingesetzt wird. Die Umweltbelastung, die bei der Herstellung dieses Urans entstanden ist, wird deshalb nicht den Atomkraftwerken angerechnet.

Sondern?

Dem ursprünglichen Zweck – also dem russischen Militär.

Und die Atomkraftwerke kommen sauber weg?

Genau. Das EPD-System macht diesbezüglich klare Vorgaben: Wenn rezykliert wird, wird sauber geschnitten – was vor dem Recycling war, geht zulasten des alten Produktes. Lediglich die Umweltbelastung, die entsteht, um aus Waffenuran Brennstäbe zu machen, wird dem Atomstrom angerechnet. Das ist nicht viel, weil man dieses Uran nur verdünnen muss.

Inzwischen hat die Axpo eingeräumt, dass die Brennstäbe, die in Beznau eingesetzt werden, nicht aus Waffenuran hergestellt werden – wie Sie es vermutet haben. Was bedeutet dies nun für die Ökobilanz von Beznau?

Sie fällt schlechter aus, denn dieses Uran muss zuerst aufbereitet werden, sonst kann man es nicht weiterverwenden. Ein solches Recyclingverfahren braucht viel Energie und belastet die Umwelt stark, was dem Atomstrom angerechnet werden muss. Wenn das Recycling überdies in problematischen Anlagen wie etwa jener von Majak im Ural stattfindet, verschlechtert sich die Ökobilanz zusätzlich, da diese maroden Produktionsstätten die Umwelt vermutlich massiv belasten.

Die Axpo will in den nächsten Monaten genauer prüfen, in welchen russischen Anlagen der Brennstoff für das AKW Beznau wiederaufbereitet wird. Warum kennen die AKW-Betreiber die Produktionskette so schlecht?

Offensichtlich fehlen ihnen die genauen Angaben. Eigentlich würde man meinen, sie sollten von ihren russischen Lieferanten in solch wichtigen Fragen Transparenz einfordern. Das haben sie aber bislang nicht getan.

Weist die Umweltbilanz von Beznau noch andere Mängel auf?

Ja, drei Punkte könnte man da erwähnen. Der erste betrifft die Berechnung des Stromverlustes. Die Deklaration geht davon aus, dass bis zum Kunden drei Prozent des Stroms verloren gehen. Der Kunde ist in diesen Berechnungen der Stromhändler, nicht der Endkonsument. Korrekt müsste man aber den Stromverlust bis zur Steckdose im Haushalt berücksichtigen, da gehen insgesamt zwölf Prozent des Stroms verloren. Das verschlechtert natürlich das Ergebnis und ist ein Fehler, der nicht hätte passieren dürfen.

Der zweite Punkt betrifft die toxischen Emissionen – wie zum Beispiel Schwermetalle oder radioaktive Stoffe –, auf die in der Ökobilanz nur mangelhaft eingegangen wurde. Diese Emissionen sind bei einem Atomkraftwerk aber viel relevanter als die Frage, wie viel CO2 es erzeugt.

Und der dritte Fehler?

Der betrifft das Natururan, das Beznau benötigt – dieses wird in der Deklaration nicht als Energieträger gezählt, obschon es einer ist. Und das sind immerhin 97 Prozent der nicht-erneuerbaren Energieressourcen, die Beznau braucht, die unter den Teppich gekehrt wurden.

Laut Umweltbilanz stammt weiteres Beznau-Uran aus dem sogenannten Lösungsbergbau, der nicht sehr umweltbelastend sein soll.

Axpo sagt, ihr Lieferant verarbeite ausschliesslich Uran aus Lösungsbergbau, welches aus Kasachstan stamme. Dieser Lieferant, Springfields Fuels Limited, gibt hingegen selber an, Uran zu verarbeiten, das überall auf der Welt gefördert wurde – deshalb habe ich meine Zweifel an der Aussage der Axpo. Das Uran, das Springfields Fuels aus Kasachstan nach Europa importiert, beträgt auch nur einen Bruchteil ihrer Verarbeitungskapazität. Der Rest ihres importierten Urans stammt aus Tagebauminen in Russland, Kanada, Niger und Australien. Der Tagebau verursacht jedoch grosse Mengen an radioaktiven und giftigen Abfällen.

Ist der Lösungsbergbau tatsächlich umweltfreundlicher? Da pumpt man Säure in den Boden, um das Uran herauszulösen. Danach pumpt man dieses strahlende, flüssige Gemisch wieder aus dem Boden, doch ein Teil der Säure bleibt im Boden. Klingt nicht besonders sauber.

Stimmt, langfristig kann auch diese Methode schwere Probleme verursachen. Ein Gebiet, aus dem man so Uran gefördert hat, müsste man meiner Meinung nach als Deponie-Altlast behandeln. Die Gesteinsstruktur wurde durch den Menschen verändert – man hat Säure und gelöste Schwermetalle im Boden drin, die verschwinden nicht einfach. Vielleicht kann man diese Stoffe für einige Jahrzehnte im Untergrund zurückhalten. Aber irgendwann kommen sie raus, wenn auch vielleicht erst nach Jahrhunderten oder Jahrtausenden. Aber nach unserem gegenwärtigen Wissen kommen sie raus, in grösseren oder kleineren Mengen, das ist nur eine Frage der Zeit.

Wenn die Axpo korrekt gerechnet hätte, wie viel CO2 würde nun eine Kilowattstunde Beznau-Strom verursachen?

Die CO2-Belastung wäre vermutlich etwa doppelt so hoch. Aber das ist nicht das Problem, sondern das «Burden shifting», das Verlagern der Lasten.

Was meinen Sie damit?

Wenn – wie die Axpo es in diesem Fall tut – primär vom Kohlendioxid gesprochen wird. Die anderen gravierenden Belastungen kommen in der Kommunikation gegen aussen gar nicht mehr vor. Man verengt den Fokus auf einen einzigen Umweltaspekt: das Klimaargument. So kann man kurzschliessen: Atomkraftwerke sind super. Doch wenn man die gesamte Ökobilanz anschaut, sieht man, dass das nicht stimmen muss.

In vielen Ökobilanzen kommen Atomkraftwerke gut weg. In einigen Berechnungen stehen sogar Windturbinen oder Solarstrom schlechter da. Das ist doch irritierend.

Wenn man bei den Berechnungen nur den Normalbetrieb betrachtet – und das tut man in den klassischen Ökobilanzen –, steht die Kernenergie bezüglich Umweltschäden relativ gut da. Doch sobald man bei den Berechnungen zum Beispiel Risiken von Unfällen und Proliferation mit einbezieht, kommt sie sehr schlecht weg, weil die Mehrheit diese Risiken nicht tolerieren mag.



Gabor Dokas Gutachten: www.doka.ch/GutachtenEPDBeznauDoka.pdf

Gabor Doka

An der Universität Zürich studierte Gabor Doka (45) Chemie, seit 1992 arbeitet er als Ökobilanzierer und unterhält in Zürich ein eigenes Büro. Er ist vor allem im Bereich Entsorgung und Deponien tätig. Vor zwei Jahren untersuchte er im Auftrag des Paul-Scherrer-Instituts (PSI) die Umweltbelastung des Uranbergbaus. Dokas Berechnungen führten dazu, dass sich in der wohl wichtigsten internationalen Umweltdatenbank ecoinvent die Ökobilanz von Atomstrom schlagartig um den Faktor 2,7 verschlechterte.

Die Axpo antwortet – wenig überzeugend

Die WOZ hat die Axpo mit den Vorwürfen von Gabor Doka konftrontiert. Vor allem geht es dabei um die drei offensichtlichen Fehler, die in der Umweltdeklaration gemacht wurden – um die Berechnung des Stromverlustes, die mangelhaft aufgeführten toxischen Emissionen und das Natururan, das nur als Material-, nicht aber als Energieressource aufgeführt wird.

In ihrer Stellungnahme weist Axpo-Sprecherin Anahid Rickmann, die für Atomfragen zuständig ist, sämtliche Vorwürfe zurück.

Zum Stromverlust: «In der Deklaration weisen wir die Umweltbelastung für unsere Kunden aus. Dies sind die Kantonswerke», schreibt Rickmann.

Gabor Doka hält an seiner Kritik fest. Nach den Regeln der standardisierten Umweltdeklaration müsse unmissverständlich bis zu den Endkonsumentinnen und nicht etwa nur bis zu den Zwischenhändlern bilanziert werden.

Zu den toxischen Emissionen: «Der Vorwurf entbehrt jeder Grundlage», schreibt die Axpo-Sprecherin: «Die Umweltdeklaration umfass detailliert auch toxische Emissionen.» Die Gewichtung von Emissionen sei subjektiv und entspreche nicht den Regeln der Umweltdeklaration.

Gabor antwortet darauf, sein Vorwurf habe nie gelautet, die toxischen Emissionen seien nicht in der Deklaration, sondern sie seien mangelhaft aufgeführt. Es würden Angaben gemacht, aber diese seien «spärlich bis falsch, weil Wesentliches weggelassen wurde». Wenn die Axpo-Sprecherin die spärlichen Angaben als «detailliert» bezeichne, zeige das eher, dass sie nicht wisse, welcher Detaillierungsgrad in Ökobilanzen üblich sei: «Diese Details standen den Machern der Studie vermutlich zur Verfügung, wurden aber wohl bei der Publikation bewusst weggelassen.»

Zum Natururan: Eine unabhängige Stelle habe die «korrekte Berechnung der Deklaration bestätigt», schreibt Axpo-Sprecherin Rickmann dazu.

Doka kontert: Auch hier habe er nie kritisiert, dass das Natururan nicht aufgeführt werde, sondern eben unzureichend. Die Deklaration führe die gesamthaft benötigten «fossilen Ressourcen» an (0,0489 Megajoule pro Kilowattstunde) – ignoriere in diesem Zusammenhang aber das Natururan, inklusive wären es etwa 2,25 Megajoule.

Fazit: Die Umweltdeklaration hatte offensichtlich nur ein Ziel: Vorzurechnen, wie klimafreundlich Beznau-Strom ist. Doch die CO2-Frage ist bei einem AKW irrelevant, kritisch sind ganz andere, bedrohliche Umweltbelastungen. Wenn die Axpo schon eine standardisierte Umweltdeklaration machen lässt, muss sie sich an die geltenden Regeln halten und darf nicht kleinrechnen oder weglassen, was dem Image schaden könnte. Sonst verkommen Ökobilanzen zu reinen Greenwashing-Aktionen.