«Alaaf und Heil Hitler»: «Hurra, wir werden die Juden los»

Nr. 9 –

Die närrische Saison ist vorbei, die Aufmüpfigen sind wieder untermüpfig geworden und haben ihre Maskerade abgelegt. Aber wie war das damals, als die Nazis in Deutschland herrschten?


Im Nachhinein war natürlich keiner dabei gewesen, nach 1945 sahen sich fast alle als Opfer. Schwer traumatisiert von der Niederlage im Zweiten Weltkrieg duckte sich eine Mehrheit der Deutschen unter der Verantwortung hinweg und ignorierte die Verbrechen, die viele begangen hatten. Das war in allen Teilen der zerstörten Reiches so, auch in Köln – nur dass dort, in der Hochburg des rheinischen Karnevals, ein prominenter Politiker den kleinen Nazis und ihren vielen MitläuferInnen schon frühzeitig einen «Persilschein», eine Unbedenklichkeitserklärung ausstellte. Nirgendwo, sagte 1946 Konrad Adenauer, sei «seit 1933 so viel geistiger Widerstand geleistet worden» wie in Köln. Die jungen Edelweisspiraten kann der konservative Christdemokrat, der bis 1933 Kölner Oberbürgermeister war, damals nicht gemeint haben. Die linken Antifaschisten, die in Köln und im Ruhrgebiet wirklichen Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime geleistet hatten und dafür auch hingerichtet wurden, sind erst 2005 offiziell rehabilitiert worden.

Verschwundene Unterlagen

Adenauer, von 1949 bis 1963 der erste deutsche Bundeskanzler, sprach in seiner Rede den Mittelstand frei, auf dem er in den folgenden Jahren seine Politik gründen sollte. Derart ermuntert präsentierten sich die Honoratioren der Stadt auch bald als aktive «Widerstandskämpfer», die vor allem in den Karnevalsgesellschaften dem Nationalsozialismus die Stirn geboten haben wollten. So ganz geheuer muss den Narren der politische Freispruch von höchster Stelle aber nicht gewesen sein. «Viele Dokumente, die die innige Verbindung von Karneval und NS-Ideologie belegen, [sind] nach dem Krieg vernichtet worden», schreiben Carl Dietmar und Marcus Leifeld in ihrem Buch «Alaaf und Heil Hitler». «Aus Chroniken mancher Gesellschaften hatte man Aufzeichnungen kurzerhand herausgerissen, belastende Unterlagen in Archiven waren ‹irgendwie verschwunden›, Zeitzeugen hatten ‹kriegsbedingte Erinnerungslücken›.»

Wie konnte es kommen, dass sich der Karneval so problemlos dem Faschismus unterordnete und gleichschalten liess? Und warum liessen die Fasnachter so schnell ein wesentliches Element ihres Brauchtums fahren – Kritik an den Mächtigen, Spott gegen die Obrigkeit? Dietmar und Leifeld beschreiben in ihrem faktenreichen Buch sehr schön die Gemeinsamkeiten von närrischer Volkstümelei und nationalsozialistischer Volksgemeinschaft. Der Mittelstand, der im Rheinland den Karneval repräsentierte, war wie die Nazis gegen den «Knebelvertrag» von Versailles, gegen die «Schwätzer» im Parlament der Weimarer Republik, gegen die Juden. «Hitler, der grosse Stratege / führt uns herrliche Zeite entgege / da krien mir mit der Kochlöffel gewunke / und könne Fleischworscht in de Kaffe dunke», reimte schon 1931 ein Mainzer Büttenredner.

Illegale Narrenblätter

Und so hiess es denn auch bald: «Hurra, mer wäde jetzt die Jüdde los / die janze koschere Band trick nohm jelobte Land / mir laachen uns for Freud kapott / der Itzig und die Sara trecken fott!» Die mittelständischen Kaufleute vermarkteten die Karnevalsumzüge als touristische Attraktion, die Nazis entdeckten den ideologischen Nutzen des scheinbar klassenübergreifenden «Volkstums». Der Karneval, schreiben die beiden Autoren, «scheint geradezu prädestiniert gewesen zu sein, die Schaffung einer nationalsozialistischen Volksgemeinschaft zu unterstützen, standen doch bei diesem Fest das kollektive Erleben, das gemeinsame Schunkeln und Singen als einheitsstiftende Rituale traditionell im Vordergrund».

Hier und da gab es vereinzelt auch unangepasstes Verhalten und vorsichtige Formen von Widerstand. So hatte der Karnevalsverein von Heddernheim, einem Frankfurter Vorort, 1936 eine Hitlermaske mit Schnapsnase für die Titelseite seiner Narrenzeitung zeichnen lassen. Der NS-Gauleiter liess die Zeitung beschlagnahmen, den Karnevalsumzug verbieten und die Redakteure für drei Wochen inhaftieren – obwohl die Beiträge auf den nächsten Seiten durchweg antisemitisch waren. Da hatte offenbar jemand den Begriff Narrenfreiheit zu weit gefasst: Der Führer war stets tabu. Zwei Jahre später tauchte in Köln eine Ausgabe der «Kölner Karnevalszeitung» mit Antinaziwitzen, Goebbels-Satiren und spöttischen Beiträgen über Korruption und Ämteranmassung auf. Diesmal war es jedoch keine Narrentat: Kommunisten hatten das Blatt illegal hergestellt und unter die Leute gebracht.

«Alaaf und Heil Hitler» ist kein Grundlagenwerk über Fasnacht und Faschismus. Es ist gut dokumentiert und zeigt ausdrucksstarke Bilder. Das Buch – es ist das Nebenprodukt eines Dokumentarfilms für das Westdeutsche Fernsehen – erhebt jedoch einen Allgemeingültigkeitsanspruch, dem es nicht gerecht wird. Der rheinische Karneval ist von seiner Form (Saalveranstaltungen und Rosenmontagsumzüge) und seiner hierarchischen Struktur her etwas völlig anderes als etwa die schwäbisch-alemannische Strassenfasnacht mit ihren dezentralen Sketchdarbietungen in Beizen (dem «Schnurren») und dem ungeregelten Umherziehen der MaskenträgerInnen in vollem Häs (zum Begriff "Häs" siehe hier). Deren wildes Treiben wurde selten registriert. Man weiss aus Polizeiprotokollen von ein paar Widerstandshandlungen wie jener in Stuttgart Ende der deissiger Jahre, als eine maskierte Menge ein Gefängnis stürmen wollte; viel mehr aber nicht. Aufzeichnungen der Konstanzer Narrenzünfte legen jedoch den Schluss nahe, dass auch dort die Gleichschaltung problemlos funktionierte.

Und noch ein Manko hat das Buch: Es beschreibt ganz ausgezeichnet die ideologische Nähe von Faschismus und Fasnachtsbräuchen, vermeidet aber jeden Hinweis auf die systemstabilisierende Funktion der «fünften Jahreszeit» heute. Mal die Sau rauslassen, kräftig meckern, über die Stränge schlagen; dann ist wieder alles gut. Kein Wunder, haben die protestantisch-disziplinierten Preussen, die 1815 das katholische Rheinland übernahmen, den Karneval nicht nur toleriert, sondern tatkräftig gefördert.

Carl Dietmar und Marcus Leifeld: Alaaf und Heil Hitler. Herbig. München 2010. 224 Seiten. Fr. 42.90