Durch den Monat mit Rudolf Rechsteiner (Teil 3): Eine moralische Frage?

Nr. 15 –

Rudolf Rechsteiner, SP-Energiespezialist: «Erneuerbare Energien sind effizienter – es geht ohne Verzicht.»

WOZ: Herr Rechsteiner, bedauern Sie, dass die SP rot ist und nicht grün?
Rudolf Rechsteiner: Nein. Auch wenn wir es waren, die die Knochenarbeit in der Umweltpolitik geleistet haben: Rot ist okay! Man kann nicht die Umwelt schützen und den Menschen nicht. Die Grünliberalen müssen sich entscheiden, ob sie weiterhin nur Nashörner schützen wollen oder auch Menschen.

Wie geht es weiter nach dem Ende Ihrer Politkarriere?
Ich werde als Berater und Dozent arbeiten. Zudem bin ich Verwaltungsrat in den verselbstständigten Industriellen Werken Basel (IWB), die dem Kanton Basel-Stadt gehören. Ich war ja beteiligt an einer Initiative, die diese neue Organisationsform zur Folge hatte.

Sie arbeiteten also an einem Gesetz mit, das Ihnen jetzt einen Job verschafft?
Gute Politiker haben immer auch Wirtschaftszyklen mitgestaltet. Ausserdem: Die Initiative haben wir vor drei Jahren lanciert, um eine Privatisierung der Industriellen Werke Basel zu verhindern. In den Verwaltungsrat wurde ich erst kürzlich gewählt. Nun möchte ich die IWB zur Marktleaderin für grüne Energie machen. Das Ziel: Wir liefern unendlich viel saubere Energie.

Unendlich viel saubere Energie? Also gibt es keine Energiekrise?
Nein, es geht einzig um die Frage, ob wir rechtzeitig in erneuerbare Energie investieren. Die ist unerschöpflich. Ich glaube an eine Vollversorgung durch erneuerbare Energien. Und zwar bald.

Müssten wir nicht einfach weniger Energie verbrauchen?
Es geht ohne Verzicht. Ein Elektrofahrzeug mit Windstrom verbraucht achtzig Prozent weniger Energie als ein herkömmliches Auto! Erneuerbare Energien sind eben effizienter. Verzichten müssen wir allenfalls aus anderen Gründen, etwa, weil zu viele Autos die Landschaft zerstören. Mich erstaunt, dass die Leute meinen, eine Umstellung auf grüne Energien sei eine moralische Frage.

Ist es das nicht?
Nein, heute nicht mehr. Die bessere Wirtschaftlichkeit entscheidet. Das ist der Grund, warum sich der Umsatz der Windenergiebranche alle zweieinhalb Jahre verdoppelt. Die Atombranche wird sich bald nur noch mit der eigenen Stilllegung und mit ihren Altlasten beschäftigen, weil sie nicht mehr wettbewerbsfähig ist.

Sie reden hier auch als Berufsmensch: Sie wissen, wie man Kraftwerke baut.
Ja. Ich stieg 1988 bei einer kleinen Energiegenossenschaft ein, das war zunächst eine reine Feierabendbeschäftigung. Als ich 1995 in den Nationalrat kam, war ich der Mann, der wusste, wie man Wind-, Solar- und Wasserkraftwerke baut, und der wollte, dass diese Industrie wächst. Ich wurde quasi vom Rebell, der das AKW-Baugelände in Kaiseraugst mit besetzt hatte, zum Wirtschaftsvertreter.

Wie lief der Start in die Politik?
Die ersten Jahre waren hart, ich wurde richtig ausgelacht. Die SVP stieg steil auf, die Ölpreise sanken, niemand wollte etwas hören von erneuerbaren Energien. Doch mit den technologischen Fortschritten haben selbst Freisinnige ihre Meinung geändert.

Und dann?
Ich sass mit meinem Parteikollegen Rudolf Strahm in der Umweltkommission, er hat mir viel beigebracht. Der Preis dafür war, dass immer er in den Medien kam und nicht ich. Sein Rücktritt brachte mir einen Karriereschub. Es gelang mir auf hervorragende Weise, Rahmenbedingungen zu schaffen, etwa die Einspeisevergütung durchzusetzen. Oder für die Strommarktliberalisierung einzutreten. Zur Überraschung mancher Bürgerlicher unterstützte ich diese von Anfang an.

Dabei erlitten Sie aber erst mal eine Niederlage. Sie befürworteten 2002 das umstrittene Elektrizitätsmarktgesetz und hatten dabei nicht nur die eigene Partei, sondern an der Urne auch die Bevölkerung gegen sich.
Dass ich als AKW-Gegner für die Öffnung der Netze war, haben die SP-Kollegen respektiert – das alte Monopol der Atomkonzerne war für mich der absolute Horror. Später wurde das Referendum gegen das Strommarktgesetz ein Riesenerfolg. Und ich muss sagen: Das heutige Gesetz ist viel besser als der erste Vorschlag.

Damals waren Sie verbittert über die Partei. Wie gingen Sie damit um?
Ja, was macht man? Man geht früh ins Bett und schläft darüber! In der SP ist man sich gewohnt, Abstimmungen zu verlieren.

Welche Niederlage hat Sie besonders geschmerzt?
Das war 2003, als meine Initiative «Strom ohne Atom» so wenig Stimmen erhielt. Interessant war aber, dass wir kurz darauf grosse Erfolge erzielten für die erneuerbaren Energien. Verlieren und Gewinnen liegen in der direkten Demokratie sehr nahe beieinander.

Inwiefern?
Der Sieger wirft dem Verlierer gerne ein paar Guetzli hin.

Rudolf Rechsteiner (51), zurücktretender SP-Nationalrat, ist Experte für Energiefragen. Er sass in der Aussenpolitischen und der Umweltkommission.