Durch den Monat mit Rudolf Rechsteiner (Teil 5): Haben Sie Feinde in Bern?

Nr. 17 –

Rudolf Rechsteiner, abtretender Nationalrat: «In unserem System hilft dir auch mal der übelste Gegner.»

WOZ: Herr Rechsteiner, Sie haben fünf SP-PräsidentInnen erlebt. Erzählen Sie mal.
Rudolf Rechsteiner: Peter Bodenmann war ein Intellektueller. Manchmal war es ein bisschen l’Art pour l’Art bei ihm, viel Selbstdarstellung, Christian Levrat hat einfach mehr menschliche Kompetenz.

Können Sie Ihre Exchefs kurz charakterisieren?
Also: Bodenmann hat militärisch geführt, mit Erfolg. Ursula Koch war chaotisch. Das ist typisch für ehemalige Exekutivmitglieder: Sie hatten zuvor Angestellte, die alles für sie gemacht haben. Im Nationalrat muss man aber alles von A bis Z selber machen. Koch konnte nie Tritt fassen.

Und die anderen?
Christiane Brunner vertrat die Devise «Jeder, wie es ihm gefällt», sie war eine Integrationsfigur. Was sie nicht unter Kontrolle hatte, waren die Kämpfe zwischen linkem und rechtem Flügel, zwischen Pierre-Yves Maillard und Rudolf Strahm, die sich gegenseitig in die Suppe spuckten. Aufgehört hat das unter Hans-Jürg Fehr. Er fuhr einen Kuschelkurs.

War das nicht etwas langweilig?
Ja, klar, für die Presse sind Kämpfe viel attraktiver.

Und intern? Wirkt Konkurrenz nicht belebend?
Die Kämpfe wurden oft in den Medien geführt, es ging um Profilierung. Ich fand das eher lähmend.

Hans-Jürg Fehr war Präsident, als die SVP aufstieg ...
... ja, und er war dem aggressiven Spiel von SVP und FDP nicht immer gewachsen.

Christoph Blocher wurde 2007 als Bundesrat nicht mehr gewählt. Wie war das?
Seine Abwahl ging zuerst stark von den Welschen aus. Natürlich haben wir mitgezogen, ich gehörte ja zu diesem Klub der Dreizehn, der die Gespräche zwischen den Fraktionen organisierte.

Wie fühlte sich das an?
Die SP hatte die Wahlen verloren. Wir waren niedergeschlagen. Eine Abwahl Blochers war da zuerst eine sehr abstrakte Idee. Und wir wussten bis zum Vorabend nicht im Geringsten, ob es funktioniert. Der Dokumentarfilm über Blochers Bruder Gerhard hat damals sehr viel bewirkt. Entscheidend war auch der Wandel bei der Zusammensetzung des Ständerats – früher hatte ich den immer nur als reaktionäre Truppe wahrgenommen.

Und als Sie realisierten, dass es klappt – mussten Sie vor lauter Schreck nicht gleich einen Schnaps trinken?
Es war wie nach einem Krieg. Als wir aus dem Bundeshaus traten, waren wir verwundert, dass alle Busse, alle Trams, alle Züge noch fuhren, als wäre nichts passiert. Für uns stand die Welt einen Moment lang still.

Kein Gefühl des Triumphs?
Eins der Befreiung, nicht des Triumphs. Es war ein Akt innerer Pflicht.

Sie gingen nicht sofort feiern?
Nein, nein. Erst am Abend in Basel fragte mich mein neunjähriger Sohn, weshalb uns alle Leute im Tram so fröhlich anlachten. Da sind mir schier die Tränen gekommen.

Sind Sie eigentlich befreundet mit Leuten aus der SVP?
Nicht eng befreundet, aber sie sind als Einzelpersonen häufig sympathischer als manche wirtschaftlich sehr gut gestellte Freisinnige. In der SVP gibt es viele Schattierungen. SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli hat auf das Parlament etwa gleich viel Einfluss wie Jean Ziegler: sozusagen keinen. Aber Extremisten sind in den Talkshows sehr gefragt. So funktionieren manche Medien – leider.

Lassen Sie Feinde zurück in Bern?
Nein. In der Schweiz grüsst man auch diejenigen, die man nicht mag. Und in unserem System hilft dir auch mal der übelste Gegner, wenn es in seinem Interesse liegt. Man ist zu gegenseitigem Respekt gezwungen, und das ist ganz gut so.

Wie sind Sessionen? Wie ein grosses Klassentreffen?
Anstrengend, man erlebt viel, hat dauernd Sitzungen und Veranstaltungen, ist immer etwas unausgeschlafen. Es ist wie ein Theater mit täglich wechselndem Programm. Und es ist auch ein Basar, wo man versucht, für alte und neue Anliegen Unterstützung zu finden und Stimmen zu gewinnen.

Was wird Ihnen fehlen?
Die Handlungsfähigkeit auf der operativen Ebene. Doch ich werde weiter mit der SP zusammenarbeiten. Es ist für mich nicht denkbar, dass ich mich vier Jahre vor der AKW-Abstimmung aus allen Diskussionen verabschiede.

Letzte Frage: Kennen Sie einen Parlamentarierwitz?
Ich vergesse Witze immer. Aber ich maile Ihnen, wenn mir noch einer einfällt.

Rudolf Rechsteiner (51) tritt nächsten Monat nach vierzehn Jahren als SP-Nationalrat zurück. Zu seinen Hobbys gehören Baritonsaxofon, Wandern, Velofahren, Schwimmen, Jazz und klassische Musik.