«Herz – Passion und Pumpe»: Die Welt im Innersten

Nr. 19 –

Jeweils am zweiten Tag des Monats sendet Radio DRS 2 einen sechsstündigen «Hörpunkt», der ein einziges Thema behandelt. Die Sendung vom 2. Mai war dem «Herz» gewidmet.


«Doch gut ist ein Gespräch und zu sagen des Herzens Meinung.»

Friedrich Hölderlin, «Andenken»

Herz gehört zu jenen Worten, zu denen das Etymologische Lexikon kleinlaut mitteilt: «Weitere Herkunft unklar». Mit den Untertiteln «Passion» und «Pumpe» war bereits die ganze Tücke des Themas angezeigt, dem sich der «Hörpunkt» von Radio DRS Anfang Mai widmete.

Zum einen ist «Passion» ganz unterschiedlich konnotiert – als Leiden (Passion Christi) oder als Leidenschaft (von der Liebesleidenschaft bis zum «passionierten Schachspieler»); die dritte und vielleicht wesentlichste Bedeutungsebene des Begriffs des Herzens – die einer universalen und uralten Chiffre, Metapher für die Mitte, das «Innerste» der Welt und des Menschen – war so von vornherein schon aus der Sendung gekippt. Ebenso wie die Geschichte des Herzens in verschiedenen Kulturen und Religionen, deren abendländische Manifestation mit den Ärzten Hippokrates und Galen anhebt und bei William Harvey – mit der Entdeckung des Blutkreislaufs (1628) – und René Descartes ihren Drehpunkt zur modernen Medizin findet.

Die Redakteurinnen Patricia Moreno und Jennifer Chakschouri moderierten die Sendung sympathisch und engagiert. Sie taten dies – etwas bizarr, jedenfalls überraschend – von ihrer Basler Küche aus, sodass das Verzehren eines gefüllten Kalbskopfs etwas wie die Mitte der Sendung bildete.

Und Batailles «Erotik des Herzens»?

Im ersten Teil war diese der Pumpe zugewandt. Serviert wurden: Herztöne eines Embryos, ein langes Gespräch mit einem Chefkardiologen, eine höchst zweifelhafte Lobrede eines Kunsthistorikers auf den Marktkünstler Jeff Koons und sein überdimensionales «Hanging Heart»; skandiert wurde dies mit einer Schreibperformance des Rappers Andri Perl, Klavierimprovisationen nach alten «Herz-Schnulzen» von Natascha Stuhler und Demonstrationen eines Uhrmachers. Berührende Mitte des Ganzen war das Gespräch mit einer herztransplantierten jungen Frau – hier wurde ein Echoraum der Ernsthaftigkeit, des Ernstfalls geöffnet.

Schon der erste Teil zeigte, wie sehr die Redakteurinnen um Abwechslung besorgt waren. Doch gerade diese Polyphonie verkam im zweiten Teil zu seltsamer Unterhaltung: Gestreift wurde das Thema in Gesprächen mit einer «Annabelle»-Redaktorin (Thema «Dating»), einer Sexualtherapeutin, der «einzigen schweizerischen Isolde-Sängerin» (der nur die letzten Takte ihrer Todesarie zugestanden wurden) sowie den «schönsten Herz-Schmerz-Szenen der Filmgeschichte» (die sich auf Klassiker wie «Casablanca» beschränkten).

Übersehen wurde demgegenüber Georges Batailles «Erotik der Herzen» wie auch jede andere Liebespassionsepisode aus der hierzu überreichen Literatur von Homer über Goethe und der «Herz-Inflation» der Romantik bis zu Paul Celan, dem die vielleicht eindrücklichsten «Herzworte» zu verdanken sind: «Auch mir steht der tausendjahrfarbene Stein in der Kehle, der Herzstein / Verkerbstes, hierhergekarrt, sank über den Herzrücken weg / Dreizehnter Feber. Im Herzmund erwachtes Schibboleth.»

Nicht thematisiert blieb auch die eigentlich zentrale Bedeutungsebene: jene des Symbols, des «Herzens aller Dinge und der Welt», die in der abendländischen Tradition mit Aristoteles begann und sich durch deren ganze Geschichte – wie auch die der östlichen Weisheit – durchzog. Und wozu es zeitlose Sätze gibt wie etwa: «Der gesamte im Raum ausgedehnte Kosmos ist nichts als die Ausweitung von Gottes Herz» (Friedrich Willhelm von Schelling); «Die Welt braucht ein offenes Herz» (Bertrand Russell), «Das Herz ist der Schlüssel der Welt und des Lebens» (Novalis) oder «Doch wer das Selbst im Herzen fand, dem erstrahlt fortan ein Ich als grenzenloses Licht» (Ramana Maharshi).

In solchen Sätzen ist Herz eine Chiffre: Metapher für Geist, Gott, Selbst, Gemüt, Seele, das sich immer Entziehende, niemals Fassbare, aber notwendig Zugrundeliegende – jenes alles umfassende Eine also, auf das auch eine teletechnologische Gesellschaft (zeitgenössische Politik, Unterhaltung, Religion, Wissenschaft und Kunst) nicht verzichten kann. Was Novalis meinte, ist also jener «Raum», in dem sich Materielles, Imaginäres und Symbolisches unentscheidbar kreuzen, überlagern und überschneiden. Demnach wäre das Sprechen vom Herzen nichts anderes als Fausts Obsession, jenes zu finden, «was die Welt im Innersten zusammenhält».

Doch auch Jean-Luc Nancys Werk «Der Eindringling» (2000), das dessen Herztransplantation schildert, fand keine Erwähnung – und damit auch sein Buch «Corpus», ein Versuch, den Körper als Ganzes neu zu denken. Was aber vor allem unterging: Blaise Pascals klassischen Überlegungen zu einer «Logik des Herzens» («ordre du cœur»), in der er die Unterwerfung der Vernunft unter die Logik des Herzens fordert und umsetzt und mit deren Entstehung er (einer der genialsten Wissenschaftler seiner Zeit) jegliche Beschäftigung mit den Naturwissenschaften aufgab. Pascal war es ernst mit dem Satz: «Das Herz hat seine Gründe, von denen der Verstand nichts weiss.»

Der Hang zur Biologisierung

Ausgeblendet blieben auch die fundamentalen Widersprüchlichkeiten und Unlösbarkeiten, die damit zusammenhängen – und auf die etwa der französische Philosoph Jacques Derrida hingewiesen hat. Natürlich kann das fleischliche Herz niemals diese begriffliche Mitte bedeuten. Es ist, indem es nicht ist, indem es sich beständig entzieht, indem es ein Wort in der Sprache bleibt und damit allen Sprachspielen unterworfen ist. In die Herzmetapher hat sich alles zurückgezogen, was keinen Ort hat – wie in ein schwarzes Loch. Oder wie Giorgio Agamben schrieb: «In der Tat sind die Erklärungen nur ein Moment in der Überlieferung des Unerklärlichen.»

Was dieser «Hörpunkt» also auch hören liess (wie schon der vorangegangene zum Thema «Schmerz», der dem Seelenschmerz kaum Raum gab), war eine Tendenz nicht nur zur Faktisierung, Spektakularisierung aller Themen, sondern auch zu ihrer Bio-Logisierung – einem zunehmenden Einfluss der Medizin, in der Michel Foucault und Agamben das lange sich vorbereitende Verhängnis der Moderne aufzeigten. Die Zurückstellung von Philosophie und Theologie, also auch Reflexion und Debatte, ist jedenfalls ein Symptom – bezeichnend nicht nur für diese DRS-2-Sendung, sondern für das ganze Programm von DRS 2. Dennoch bleibt dieses einer der letzten Anker in einer entkulturalisierten Medienlandschaft.

«Hörpunkt» auf Radio DRS 2. Jeweils am zweiten Tag des Monats von 10 bis 16 Uhr, Wiederholung von 17 bis 23 Uhr. www.drs2.ch